Neue Heimat:Eishockey? Kein Sport für Nigeria!

90th Spengler Cup

Viele erwachsene Männer kämpfen um eine kleine Kunststoffscheibe - und das in Eiseskälte.

(Foto: dpa)

Denn es ist kalt im Stadion, der Wind pfeift - und an den wenigen warmen Orten riecht es wie im Hühnerstall. Unser Kolumnist aus Nigeria fragt sich: Warum zahlen die Fans dafür auch noch?

Kolumne von Olaleye Akintola

Das Publikum wirkte im Abendgewand leicht aufgedunsen. In ausgestopften Jacken und rot-weißen Pullovern sahen die Zuschauer aus wie saftige afrikanische Zwiebelknollen. Ausgerüstet mit Handschuhen und Wollschals würde sie wohl nicht mal ein Schneesturm daran hindern, ihrem Team beim Eishockeyspielen zuzusehen.

Im Gegenteil: Je mehr es schneite, desto lauter wurde es auf den Plastikschalen im Grafinger Stadion. Hier, wo der Bezirksligist EHC Klostersee zu Hause ist, saß nun auch ich. Unweit meiner neuen Heimat Ebersberg, im tiefsten Bayern: Ein Afrikaner inmitten von 300 hartgesottenen Eishockeyfans.

Eishockey muss einen besonderen Reiz auf den Menschen ausüben, warum sonst würde man bei Minusgraden in der Kälte sitzen und dafür auch noch Geld bezahlen. Der eisige Wind wehte durchs Stadion und pfiff wie eine quietschende Palme. Wie gerne hätte ich eine dieser Jacken angehabt. Die sind zwar nicht unbedingt fesch, darum geht es aber hier nicht. Bei Eishockey kommt es nicht auf Ästhetik an, sondern auf Härte.

Im Grafinger Stadion gibt es etwa nur zwei Orte, wo man nicht friert: Die Toiletten und die Umkleiden. Beide Räume verbindet nicht nur Wärme, sondern ein auffällig strenger Geruch. Bevor es losging, schaute ich in der Mannschaftskabine des EHC Klostersee vorbei. Wenn die Tür aufgeht, steigt einem ein rassiger Duft in die Nase, vergleichbar mit dem Aroma eines Hühnerstalls. Einigen Spielern fehlte ein Zahn, so wie in afrikanischen Schauergeschichten. Nigerianischen Kindern erzählt man, dass Ratten im Schlaf die Zähne wegknabbern. Eishockeyspieler würde das wohl kaum erschrecken, sie lassen sich dann Kunststoff in den Mund einbauen.

Mit Schlittschuhen würde ich wahrscheinlich gleich auf die Nase fallen, kein Wunder also, dass Eishockeyspieler wie beschwipste afrikanische Palmwein-Zapfer aufs Eis watscheln. Ziemlich furchterregend sehen die Torhüter aus, mit ihren Rüstungen und Schützern, doch die Kinder hatten keine Angst, sie schüttelten den Spielern die Hände und riefen ihnen Mut zu.

Ein Sport für Menschen, die gut versichert sind

Dann ging es los, Grafing gegen Berchtesgaden: Mitten im Getümmel wischte ein Spieler dem anderen eine, da klatschte und johlte das Publikum - je rustikaler Eishockeyspieler zu Werke gehen, desto besser ist die Stimmung. Auf dem Kopf trugen alle Spieler Helme, im Kopf drin dürfte verankert sein, wie gut die medizinische Versorgung der Deutschen ist und wie gut man hier für Verletzungen versichert ist.

In einem Land, wo die Menschen so wenig Zugang zu Ärzten haben wie in Nigeria, würde sich ein Sport wie Eishockey selbst bei einem Kälteeinbruch kaum durchsetzen. Hier verdienen Menschen ihr Geld damit, dass sie über Schneepisten rasen, Hunderte Meter durch die Luft springen oder ihr Leben an eine Spitzhacke in Eiswänden hängen. Die sportlichen Leistungen sind enorm, ohne Frage. Wenn ich manche Sportler sehe, frage ich mich aber, ob die Europäer einen Doppelgänger in der Hinterhand haben, der einspringt, wenn einem Gummischeiben das Hirn zerschießen oder wenn der Wind den Skispringer in die ewigen Jagdgründe weht.

Ich hatte vor, auch nach dem Spiel in die Kabine der Grafinger zu schauen, aber mit zunehmender Dauer wurde meine Gänsehaut schlimmer und ich musste wieder an das Aroma in den Umkleiden denken. Tote Männer erzählen keine Geschichten, sagen wir in Nigeria. Und auch wenn mich wohl weder der Gestank noch der Frost ins Grab gebracht hätten: Als klar war, das die Grafinger gewinnen würden, machte ich mich auf den Weg aus dem Stadion ins Warme.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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