Reinhard Marx wird Kardinal:Machtmensch mit Mission

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Er hat sich als Aufklärer, Sozialethiker und konservativer Theologe profiliert. Trotz seiner Linientreue finden ihn auch Jugendliche klasse. Nun wird Erzbischof Reinhard Marx Kardinal. Der Rang wird seinen Einfluss noch vergrößern.

Matthias Drobinski u. Monika Maier-Albang

Ein paar haben es dann doch gewusst, bevor Papst Benedikt XVI. die Neuigkeit mittags kurz nach zwölf auf dem Petersplatz in Rom verkündet. In München feiert am Vormittag das Katholische Jugendsozialwerk sein 125-jähriges Jubiläum, Erzbischof Reinhard Marx feiert den Festgottesdienst und spricht ein Grußwort. Danach bekommt er einen Blumenstrauß: weiß-gelb ist der, die Kirchenfarben. Eine einzige Rose steckt darin. Sie ist rot. Kardinalsrot.

Der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, wird Kardinal. Am 20. November wird er in sein Amt eingeführt. (Foto: dapd)

Nun wird der Münchner Erzbischof Reinhard Marx also Kardinal, der jüngste der acht deutschen Kirchenmänner in Purpur. Marx habe, versichert sein Sprecher, die Ernennung "sehr kurzfristig" erfahren. Am Mittwoch um 14 Uhr tritt er vor seinen derzeitigen Wohn- und Amtssitz, das Schloss Suresnes im Münchner Stadtteil Schwabing. Es nieselt, die Journalisten warten unter dem Balkon, die vorbereitete Stellungnahme trägt er auswendig vor. Er redet von "großer Ehre", von "Ansporn, Rückenwind, Herausforderung". Und sagt spontan: "Ich freue mich, dass der Papst sein Vertrauen unterstreicht."

Der Kanon 531 des katholischen Kirchenrechts bestimmt, dass der Papst die Kardinäle frei auswählt. Völlig frei ist er aber auch wieder nicht; so gibt es Diözesen, deren Bischöfe traditionell den Kardinalshut bekommen. In Deutschland sind das die Erzbistümer Berlin, Köln und München-Freising: Seit 1914 ist dort jeder Erzbischof Kardinal geworden. So gesehen war die Erhebung zum Kardinal absehbar, seit Papst Benedikt im November 2007 den Trierer Bischof zum Münchner Erzbischof machte.

Reinhard Marx hat aber auch nie verborgen, dass er Kardinal werden will. Er will etwas bewegen und bewirken, da ist es gut, zu den höchsten Würdenträgern nach dem Papst zu gehören. Er war ja auch gefragt als Macher und Krisenmanager, in diesem dramatischen Jahr 2010, dem Jahr des Missbrauchsskandals. Auch im Ettaler Benediktiner-Internat hatten Lehrer und Pädagogen Schüler geprügelt und sexuell missbraucht, auch Priester des Bistums hatten Übergriffe begangen.

Marx handelte, als andere Bischöfe noch zögerten oder gar von einer Medienkampagne redeten. Er schickte seinen Generalvikar Peter Beer nach Ettal, der die Benediktiner erst zur Offenheit und dann Abt Barnabas Bögle zum Rücktritt drängte. Er verordnete radikale Aufklärung, als bekannt wurde, dass in der Zeit des Erzbischofs Joseph Ratzinger ein übergriffig gewordener Priester aus dem Bistum Essen in München wieder als Seelsorger eingesetzt worden war. Und als die Vorwürfe gegen den Augsburger Bischof Walter Mixa immer konkreter wurden, empfahl er ihm öffentlich, eine Auszeit zu nehmen; als Mixa an den Rücktritt vom Rücktritt dachte, reisten er mit dem Chef der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, nach Basel, um ihm das auszureden.

Er hat die Maßstäbe gesetzt, das hat ihn zum mächtigsten Bischof in Deutschland gemacht, das hat ihn aber auch angreifbar gemacht. Selbst gestandene Hirten fühlen sich von ihm überfahren: Da kommt einer und macht, was er will, für den gelten eigene Regeln, so wie er sich in der katholischen Akademie München eine Zigarre ansteckt, obwohl dort Rauchen streng verboten ist, so wie er laut und fröhlich im Oktoberfestzelt sitzt, wo sich die meisten Amtsbrüder so wohl fühlen wie im Fegefeuer.

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Marx ist aber nicht einfach ein karriereorientierter Machtmensch. Er steht hinter seinen Entscheidungen, er hat für sie Niederlagen riskiert und Rückschläge einstecken müssen. In Ettal ist das Erzbistum aus Sicht des Vatikans zu scharf gegen das Kloster vorgegangen. Und als am Ende der Mixa-Affäre Papst Benedikt "die Mitbrüder im bischöflichen Amt" bat, Mixa mehr als bisher ihre freundschaftliche Nähe" spüren zu lassen, da musste sich auch Marx gerüffelt fühlen. So sehr, dass Gerüchte die Runde machten, der Papst würde Marx diesmal übergehen, um ihm Grenzen zu setzen.

Doch der Münchner Erzbischof ist kein Revoluzzer, den der Papst in die Schranken weisen müsste. Der profilierte Sozialethiker redet scharf, wenn er soziale Ungerechtigkeiten anprangert; er stellt sich auch ohne Problem den 700 jungen Menschen, die ihn auf dem "Jugendforum" des Erzbistums mit Forderungen nach einer Kirchenreform bombardieren.

Da steht er mit mächtiger Gestalt und starker Stimme, die Jugendlichen finden ihn klasse, aber am Ende hat er strikt die kirchliche Linie vertreten. Die Kirche muss mutiger ihre Anliegen vertreten und trotzdem demütiger daherkommen, sagt Marx immer wieder. Vor allem aber muss sie aus seiner Sicht besser und effizienter werden, ohne das Dogmengebäude zu verändern. So hat Marx auch auf der Herbstversammlung in Fulda argumentiert, wo die Bischöfe über Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal berieten.

Im Kollegium der Bischöfe wird Marx künftig noch stärker sein als bisher - in Rom zählt die Kardinalswürde, nicht so sehr der Vorsitz einer Bischofskonferenz. Er sitzt gemeinsam mit dem Osnabrücker Bischof Franz Josef Bode und dem konservativen Essener Bischof Franz-Josef Overbeck in der Steuerungsgruppe, die nun den Dialog der Kirche mit der Welt voran bringen soll - Marx dürfte dafür sorgen, dass der Dialog stattfindet - und dafür, dass er nicht zu weit geht.

Marx der Macher - das ist nicht die ganze Wahrheit. Er ist nachdenklicher geworden in diesem Jahr, das ihn tief erschüttert hat, das er ein "annus horribilis", ein Jahr des Schreckens nennt. Er hat sich mit Missbrauchsopfern getroffen, sich von ihren Geschichten berühren lassen. Er hat auch eine sensible Seite, sagen Mitarbeiter - eine Seite, die ihm manchmal nicht geglaubt wird.

So steht er sogar ein bisschen schüchtern da an diesem Mittwochmorgen, als spüre er auch die Last der neuen Würde, redet von den "Erschütterungen der vergangenen Monate", die "zum Ausgangspunkt einer geistlichen Erneuerung werden" müssten. Bevor der künftige Kardinal anhebt, platzt der Postbote herein. Ein Paket. Inhalt unbekannt.

© SZ vom 21.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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