München:Schutzschirm für das Villenviertel

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Das Landesamt für Denkmalpflege erweitert das Ensemble Bogenhausen um mehrere Wohnblöcke. Das Besondere dieser Quartiersstruktur aus dem 19. Jahrhundert: Es gibt keinen einzigen rechten Winkel im Straßennetz

Von Ulrike Steinbacher

Haidhausen ist nicht Bogenhausen, das ist klar. Trotzdem gehören ganze Straßenzüge zwischen der Einstein- und der Prinzregentenstraße neuerdings zum nördlichen Nachbar-Stadtbezirk - zumindest aus Sicht der Denkmalschützer. Das Landesamt für Denkmalpflege hat das Ensemble Bogenhausen erweitert und zusätzliche Wohnblöcke unter Schutz gestellt. Ein Großteil davon mag zwar geografisch im fünften Stadtbezirk liegen, architektonisch gesehen gehören die Häuserzeilen aber zu der "städtebaulichen Gesamtanlage von hohem Rang und überregionaler Bedeutung", die nach der Eingemeindung des Bauerndorfs Bogenhausen im Jahr 1892 am östlichen Isarhochufer entstanden ist.

Damals wurde ein ganz neuer Stadtteil hochgezogen. Man kann es sich vielleicht ein bisschen so vorstellen wie vor 20 Jahren die Messestadt Riem, derzeit Freiham oder demnächst die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Nordosten (SEM). Nur war das Projekt Bogenhausen, also das heutige Alt-Bogenhausen, von Anfang an in erster Linie für den wohlhabenden Teil der Münchner Bevölkerung gedacht, mit repräsentativen Villen, herrschaftlichen Mietshäusern und einem eigenen Theater am zentralen Prinzregentenplatz. Und - das ist der zweite Unterschied - damals richtete sich die Architektur nach völlig anderen Gestaltungsideen. Während in heutigen Neubaugebieten der rechte Winkel Häuser und Straßennetze regiert, wurde damals gerade der malerische Städtebau modern.

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(Foto: Veronica Laber)

Der Prinzregentenplatz ist der städtebauliche Höhepunkt des Ensembles Bogenhausen,...

...das von den Villen an der Isarkante...

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(Foto: Robert Haas)

...über den Shakespeareplatz...

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(Foto: Johannes Simon)

...bis zu den Straßen um St. Gabriel reicht.

1889 hatte der Wiener Stadtplaner und Architekt Camillo Sitte sein Buch "Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen" veröffentlicht. Sitte kritisierte die "Motivarmut und Nüchternheit moderner Stadtanlagen" und forderte, Städtebau als Kunstwerk zu verstehen, nicht nur als technisches Problem. Er griff zurück auf Beispiele aus Antike und Mittelalter und stellte den Platz in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Die freie Platzmitte, die Geschlossenheit des Platzes, seine Gliederung durch Lauben, Erker und Säulenumgänge sowie Platz-Abfolgen verbunden durch unregelmäßig geformte Straßen - das war schon im Jahr 1889 seine Antwort auf "unser mathematisch abgezirkeltes modernes Leben, in dem der Mensch förmlich selbst zur Maschine wird".

In München fanden diese Gedanken Widerhall, als 1892 zum ersten Mal ein städtebaulicher Ideenwettbewerb ausgeschrieben wurde, der eine Struktur für die ganze Stadt und die neu eingemeindeten Gebiete erbringen sollte. Auch Architekt Karl Henrici, ein Freund von Camillo Sitte, reichte einen Beitrag ein, basierend auf dem malerischen Städtebau. Das neu gegründete Münchner Stadterweiterungsbüro unter Leitung von Theodor Fischer arbeitete Henricis Ideen in seinen Generallinienplan ein, aus dem Fischer 1904 den Staffelbauplan für München entwickelte. Der war dann bis Ende 1979 gültig, fast 80 Jahre lang.

SZ-Karte; Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Foto: SZ-Karte)

Anwendung fand dieses neue städtebauliche Instrument sogleich in Bogenhausen: Schon seit den 1880er Jahren entstand am Isarhochufer zwischen Maximiliansanlagen und Ismaninger Straße eine großzügige Villenanlage. Jetzt wurde nach Osten weiter gebaut. Dabei arbeiteten die Planer sehr abwechslungsreich mit Gebäuden in unterschiedlichen Höhen, Dichten und Formen, verteilt auf verschiedene Zonen - "eine in hohem Maße vielfältige und differenzierte Anwendung von unterschiedlichen Baustaffeln", wie es in der Denkmalliste über das Ensemble heißt. In der Praxis sieht das so aus: An die repräsentativen Villen an der Isarkante in ihren parkartigen Gärten schließen im Osten an Ismaninger- und Trogerstraße "vier- und fünfgeschossige Gruppen herrschaftlicher Mietshäuser" an, dann an Rauch- und Cuvilliés-Straße etwas niedrigere Einfamilien-Reihenhäuser, und dann an Shakespeare- und Galilieiplatz weitere Villen, allerdings ein bisschen kleiner als die im Westen.

Strukturiert wird diese bauliche Vielfalt von einem unregelmäßigen Straßennetz. Haupterschließung und "repräsentative Hauptachse" ist die Prinzregentenstraße, "städtebaulicher Höhepunkt" der gleichnamige Platz mit seinem Theater, urteilen die Denkmalschützer. Fast alle Nebenstraßen sind "gekrümmt oder leicht schräg geführt", dazu unterschiedlich lang und breit. Sie kreuzen sich nie im rechten Winkel, sondern mindestens leicht versetzt, so dass es in ganz Alt-Bogenhausen nur eine einzige längere gradlinige Straßenflucht gibt. Der Blick des Betrachters findet dadurch Halt, zugleich ergeben sich Baufelder in unterschiedlichen Größen und Formen. An manchen Stellen sind die Einmündungen auch zu Mini-Plätzen aufgeweitet, etwa dort, wo die Schumann- auf die Holbeinstraße trifft. Und die einzige gerade Straße, die Possartstraße, bildet "das Rückgrat einer kleinen Platzfolge", vom Prinzregentenplatz über den Shakespeareplatz bis zum Galileiplatz, alle drei unregelmäßig geformt.

Behördliche Auflagen im Ensemble

Unter einem Ensemble verstehen Denkmalschützer ein "Orts-, Platz- oder Straßenbild, das insgesamt erhaltungswürdig" ist. Nicht jeder Bestandteil muss ein Einzeldenkmal sein. Vielmehr können Fassaden oder Dächer von Häusern, die selbst nicht unter Denkmalschutz stehen, zum Gesamtcharakter beitragen. Das heißt, sie "wirken ins Ensemble hinein" und sind somit geschützt. Eigentümer, die ihr Denkmal umbauen oder abbrechen wollen, brauchen nach dem Gesetz dafür eine denkmalrechtliche Erlaubnis. Das gilt auch für Veränderungen etwa an Hausfassaden und Dächern. An den Terrassenhäusern im Olympischen Dorf zum Beispiel dürfen ohne eine solche Erlaubnis keine Rollläden angebracht, der Austausch alter Fenster muss abgesprochen werden. Einerseits müssen Hauseigentümer also hinnehmen, dass die Denkmalschützer ihnen dreinreden. Andererseits weist Dorothee Ott, Pressesprecherin des Landesdenkmalamtes, darauf hin, dass Eigentümer Beratung bekommen, Zuschüsse abrufen und Ausgaben für ihr Denkmal von der Steuer absetzen können.

Behördliche Auflagen im Ensemble

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(Foto: Florian Peljak)

Wie sich ein Quartier ohne Ensembleschutz entwickelt, lässt sich übrigens ebenfalls in Bogenhausen gut besichtigen, zum Beispiel an der Scheinerstraße. Dort steht eine neoklassizistische Walmdachvilla von 1925, ums Eck an der Merzstraße eine Doppelvilla mit Satteldach und Portikus aus dem Jahr 1926. Auf dem Eckgrundstück zwischen beiden Einzeldenkmälern wurde ein sandfarbener Neubau aus quaderförmigen Elementen errichtet, der im Erdgeschoss an den zur Straße gewandten Seiten kein einziges Fenster hat. Ein Nachbar findet dieses "bunkerartige Einfamilienhaus" direkt neben einer klassischen Villa "ausgesprochen hässlich", wie er dem Bezirksausschuss Bogenhausen gleich mehrmals mitteilte. Er beantragte ganz ernsthaft den Abriss des Neubaus, zumindest aber "eine Änderung des Bauwerks in Form einer Fassadengliederung". Denn der "Betonklotz", so klagt der Bogenhauser, weiche "von der gewachsenen baulichen Umgebung in krassester Weise ab". Krasser Gegensatz: klassische Villa neben klotzigem Neubau. Foto: Florian Peljak ust

Nach der Jahrhundertwende entstand nach diesen Plänen "ein großflächiges, differenziert gegliedertes und gestaltetes, teilweise fast parkartiges Wohngebiet", wie es in der Denkmalliste heißt, eines, das sich optisch und strukturell von anderen unterscheide. "Einheitlichkeit ohne jegliche Einförmigkeit" werde "erzielt durch die wechselvolle Folge ästhetischer Bildsequenzen, durch die Überschaubarkeit geschlossener Platz- und Straßenräume unter Vorgabe des Staffelbauplans".

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs waren viele Baufelder des Viertels gefüllt, aber noch nicht alle. Von Shakespeare- und Galileiplatz nach Osten bis zur Mühlbaurstraße sowie entlang der Prinzregentenstraße zwischen Zaubzer- und Einsteinstraße entstanden erst in den Zwanziger- und Dreißigerjahren Wohnanlagen. Doch auch diese Blöcke und einige weitere, die erst in den Fünfzigern dazukamen, richten sich nach dem Münchner Staffelbauplan. Deswegen wurden sie jetzt nachträglich unter Ensembleschutz gestellt.

Dass ein Ensemble erweitert wird, komme schon mal vor, sagt Dorothee Ott, Pressesprecherin des Landesamtes für Denkmalpflege. Die Mustersiedlung Ramersdorf zum Beispiel, mit der die Nazis 1934 ihre Siedlungskonzepte präsentierten, steht schon lange unter Schutz. Neuerdings gehören aber auch die Mustergärten zum Ensemble. "Die Denkmalliste ist eine Momentaufnahme" erklärt Ott, sie werde laufend weiterentwickelt und sei nie abgeschlossen.

Das bedeutet aber auch: Was geschützt wird, richtet sich immer nach den jeweils aktuellen Präferenzen. Alt-Bogenhausen wurde vor 36 Jahren zum Ensemble erklärt, weil sich dort "die städtebauliche Anlage zur Strukturierung einer Großstadtlandschaft zeigt", erklärt Dorothee Ott. Und die, so die Sprecherin, sei im nördlichen Teil deutlicher erkennbar als im südlichen. Also kam seinerzeit nur der nördliche Teil auf die Denkmalliste. Außerdem standen im südlichen Teil ja auch Wohnblöcke aus den Fünfzigerjahren. Aber über so etwas rümpften die Denkmalschützer damals noch die Nase. Dorothee Ott formuliert das so: "Die Architektur dieser Zeitstellung geriet 1980 erst langsam ins Blickfeld der Denkmalpflege."

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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