München:Mit der Jugend aufleben

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Im St. Josefs-Heim haben etwa 100 Senioren ein Zuhause gefunden. Sie suchen den Kontakt mit den Kindern im Haus und freuen sich, wenn plötzlich genug Geld für einen Ausflug ins Grüne übrig bleibt

Von Franziska Gerlach

Als der Aufzug im Haus kaputt ging, irgendwann nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2000, ist es um Anneliese S. stiller geworden. Ihr war oft schwindelig, erzählt die Frau, die Treppen kam sie alleine oft nicht mehr hinunter. Also blieb sie zu Hause. Für die Frau, die gerade mit Pathos in der Stimme erklärt, wie sehr sie Haidhausen und besonders den Johannisplatz liebt, muss diese aufgezwungene Isolation sehr schwierig gewesen sein.

An einem Dezembernachmittag ist diese Stille aus ihrem Leben gewichen. Anneliese S. sitzt mit anderen Bewohnerinnen des St. Josefs-Heims an der Preysingstraße an einem großen Tisch, der Würfel rollt über das Spielfeld, zack, ein blaues Männchen fliegt. Halligalli im Gemeinschaftsraum. Die alte Frau kommt gern her. Gar nicht unbedingt, weil sie so gern "Mensch ärgere dich nicht" spielt, sondern des Austauschs wegen. "Als ich hier eingezogen bin, da gab es gleich vier Leute, die mich gekannt haben", sagt die Haidhauserin. Und es freut sie, wenn die Kinder des St. Josefs-Heims den Senioren vorsingen. "Des ist immer nett", sagt sie. Nur manchmal, da seien sie ihr dann doch etwas zu laut.

Sie gluckst, es ist dasselbe Lachen, das Grundschülern beim Aufzählen ihrer Weihnachtswünsche entfährt. Doch 86 Lebensjahre haben ihre Haut dünn und faltig werden lassen, die Augen aber glitzern wie zwei Bergseen in der Morgensonne.

Anneliese S. ist eine von knapp 100 Münchnerinnen und Münchnern, die im St. Josefs-Heim der Einsamkeit des Alters entrissen werden sollen. Kinder und alte Menschen an einem Ort? Um das Konzept dieses gelebten Miteinanders zu verstehen, muss man zunächst mehr über das St. Josefs-Heims erfahren: Die Anfänge des Haidhauser Sozialzentrums gehen auf das Jahr 1855 zurück, 193o zog die erste Pensionärin an der Preysingstraße ein.

Alle gewinnen: Marie R. und Anneliese S. (von links) spielen im St. Josefs-Heim Mensch ärgere dich nicht. Mobile Tische im Heim würden den Austausch mit den Kindern im Haus stark erleichtern. (Foto: Stefanie Preuin)

Heute gehören zu der Einrichtung nicht nur das Altenheim, sondern auch ein heilpädagogisches Kinder- und Jugendheim, ein Haus für Kinder und eine heilpädagogische Tagesstätte. "Inklusion ist heute ein Modewort", sagt Roland Decker, der Leiter des Altenheims. "Bei uns wird das seit Jahrzehnten so gelebt." Alte und junge Menschen basteln und singen zusammen, und in Projekten wie jenem zur Geschichte der Isar forschen die Generationen sogar gemeinsam. Die meisten Bewohner störe das Geplapper der Kinder auch überhaupt nicht, im Gegenteil: Das sei eher ein "Gott sei dank, endlich ist wieder Leben da!"

Auf Begegnungen dieser Art setzt auch die "Offene Altenhilfe", die das Bayerische Rote Kreuz seit fast 30 Jahren am Rose-Pichler-Weg im Münchner Norden betreibt. Vor allem ältere Damen kämen regelmäßig in die Einrichtung, sagt Mitarbeiterin Monika Weigl, weil sie es zu Hause einfach nicht mehr aushielten.

Manche seien vom ewigen Alleinsein regelrecht depressiv geworden. "Da kommen oft mehrere Faktoren zusammen: arm, krank, und einsam." In manchen Fällen bleibt die Einsamkeit aber auch schlichtweg unerkannt. Denn sich einzugestehen, wie allein man sich fühle, das koste einfach Mut, sagt Veronika Moser, Leiterin des Malteser Besuchsdienstes "Mit Herz und Hand".

Meist komme der Anruf, dass dieser oder jener Münchner in seiner Wohnung vereinsame, von den Kindern, die in einer weit entfernten Stadt lebten, oder von den gesetzlichen Betreuern. Rund 100 Ehrenamtliche besuchen Senioren in ganz München, zum Ratschen, Spielen, Vorlesen. Drei Mal im Jahr organisiert der Besuchsdienst sogar richtige Events für die Senioren, zu Weihnachten und im Frühjahr. Der Höhepunkt aber sei immer der Ausflug im Spätsommer, der in diesem Jahr ins Schloss Schleißheim geführt habe. Eine Riesensache für alle Beteiligten. "Wenn wir da mit unseren vielen Rollstühlen kommen, ist das natürlich aufwendig", sagt Moser. "Aber immer toll."

Ausflüge in die Natur können kleine Wunder bewirken, das weiß man auch bei der "Offenen Altenhilfe". Doch viele der Senioren trauen sich nicht mehr zu, alleine spazieren zu gehen. Manchmal begleiten Weigl und ihre Kollegen die älteren Herrschaften. Noch schöner aber wäre es, im Frühjahr einmal zwei Großraumtaxis zu mieten und mit den bedürftigen Senioren des Stadtteils nach Oberschleißheim in das idyllisch gelegene Restaurant Bergl zu fahren. "Dann könnten sie einen Tag miteinander verbringen, Natur erleben und einfach mal wieder essen, ohne darauf zu achten, was das jetzt wieder kostet."

16 Senioren könnte Weigl auf eine solche Tour mitnehmen, und es braucht nicht viel Fantasie, um sich die betagte Runde vorzustellen: Eine der Damen wird nach dem Essen vielleicht eine Tafel Schokolade aus der Taschen ziehen, sie wird die Süßigkeit feierlich aus der Alufolie pellen und die Riegel in Stückchen brechen. Na los, greift's zu, es gibt genug für alle. In Haidhausen weiß Roland Decker indes schon ganz genau, wie er noch mehr Austausch zwischen Jung und Alt herbeiführen könnte. Ein Tisch mit Rollen müsste her, der ganz bequem für gemeinsame Aktivitäten vom einen Teil des Gebäudes in den anderen geschoben werden könnte - von den Kindern zu den Alten, oder auch andersherum. Marie R., einer weiteren Bewohnerin des Altenheims, würde das jedenfalls gefallen. "Die Kinder sind ja so nett erzogen", sagt die 91 Jahre alte Dame, "die mag ich einfach schrecklich gern."

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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