München:Der zentralste Kiosk der Stadt

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Postkarten gehen schlechter als früher, Briefmarken fehlen traditionell im Angebot. Ansonsten aber gibt es kaum etwas, was es nicht gibt in dem verglasten Kiosk am Marienplatz. (Foto: Florian Peljak)

Auch nach 25 Jahren Erfahrung ist Dieter Malescha erstaunt, was die Touristen auf dem Marienplatz alles so kaufen.

Von Christiane Lutz

Die Aussicht aus dem kleinen Häuschen ist spektakulär: Da ist das Rathaus genau gegenüber, dann die Mariensäule, links davon ragen die Türme der Frauenkirche hinter den Gebäuden hervor. Zweimal täglich Logenplätze beim Glockenspiel. Zwar ist die Sicht durch herabhängende T-Shirts etwas eingeschränkt, aber wer wird sich schon beschweren, schließlich ist der Kiosk am Marienplatz definitiv der zentralste und verkaufstechnisch am günstigsten gelegene der Stadt. Seine Zielgruppe ist klar definiert: die Touristen.

Der Kiosk, ein einsehbares Häuschen, ist bis unters Dach vollgestopft mit Souvenir-Artikeln: München-Pullis, Deutschlandfahnen, Masskrüge, Schnapsgläschen, Stadtpläne, Regenschirme, bayerisch gekleidete Püppchen, eine aufblasbare Schwimm-Breze und Fanartikel des FC Bayern. Nichts von den Sechzgern? "Das läuft hier nicht", sagt Dieter Malescha, Geschäftsführer, 52. In den Kiosk kommt nur, was der Tourist haben will, "egal, ob es kitschig ist oder mir nicht gefällt".

Der Tourist. Für manchen Münchner ist er Grund genug, den Marienplatz weiträumig zu umkurven. Für Dieter Malescha hingegen sichert der Tourist seit 25 Jahren das Geschäft. "Wir haben von morgens bis abends mit Touristen zu tun. Mich stresst das überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich bin froh, wenn was los ist. Wir wollen ja Umsatz machen."

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Den macht er jeden Tag zwischen sieben und 20 Uhr, von Montag bis Samstag, wenn der Kiosk geöffnet hat. Sonntags darf Malescha nur während des Christkindlmarkts verkaufen. Zehn Aushilfen stehen abwechselnd im Kiosk. Im Winter ist es zu kalt, im Sommer unerträglich heiß in dem kleinen Häuschen. Malescha selbst ist vor allem für die Ware zuständig.

Jeden Morgen gegen halb zehn fährt er mit seinem Lieferwagen vor und füllt die Bestände auf, guckt nach dem Rechten und stellt sich zur Not selbst in den Laden. Sonst organisiert er das Lager in Moosach, bestellt Ware nach, schickt unverkaufte Zeitungen zurück. Dieter Malescha teilt sich die Arbeit mit seinem Bruder Günter, dem offiziellen Betreiber des Kiosks. Fährt einer in den Urlaub, muss der andere ran. Denn Urlaub kennt der Kiosk nicht.

Trotz 25 Jahren Erfahrung im Geschäft können die Maleschas nie zu hundert Prozent einschätzen, welche Souvenirs beim Kunden gut ankommen. Artikel mit dem Münchner Kindl gehen - für Dieter Malescha unverständlich - nicht gut. Pullis und Shirts mit traditionellen, etwas kitschigen Motiven aus Bayern und aus München hingegen schon. Ein Bestseller ist das "I love München"-Shirt, bei dem das "love" durch ein Herz dargestellt ist.

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Auch Magnete verkauften sich hervorragend. Für Malescha ist das ebenfalls etwas rätselhaft, aber was soll's: Der Kunde will es so. "Wir haben eine Mütze im Angebot, die aussieht wie eine Wildsau", sagt der Kioskchef. "Mit den langen Beinen schnürt man sie unter dem Kinn zu. Ich hätte nie gedacht, dass die geht und hätte sie fast nicht ins Sortiment genommen - und jetzt stehen die italienischen Touristen total drauf. Die finden das lustig."

Abgesehen von der Wildsau mögen die Kunden Souvenirs, auf denen das abgebildet ist, was sie vor sich sehen: der Marienplatz. Der darf auf Postkarten gern dramatisch illuminiert oder etwas unrealistisch bearbeitet sein, Hauptsache, es steht noch dick "München" oder "Munich" und "Germany" drauf. Postkarten verkauft Malescha allerdings nicht mehr so viele wie vor 15 Jahren. "Früher kauften die vor allem die Italiener stapelweise. Heute machen ja alle selbst Bilder mit ihren Smartphones - oder sie fotografieren unsere Postkarten ab."

Die Frage nach Briefmarken ist dennoch die wohl am häufigsten gestellte am Kiosk. Es gibt sie dort aber nicht. Den Hinweis auf den Briefmarkenautomaten am Rathaus kann Malescha auf englisch und italienisch: "Francobolli! Macchina! Municipio!" Zu perfekt dürfe es nicht sein, sonst nähmen die Italiener gleich an, man spräche ihre Landessprache fließend.

Im Umgang mit den verschiedenen Nationalitäten ist Malescha entspannt, was sonst. Differenzierende Beobachtungen stellt er gar nicht erst an, Kunde ist Kunde. Er muss überlegen, bevor ihm einfällt, was ihn am Kunden stört: Er mag es nicht, wenn Touristen, tendenziell aus dem asiatischen Raum, erst mal alles anfassen und auspacken, bevor sie es kaufen. "Die Schneekugeln zum Beispiel, die kriegen sie natürlich verpackt. Aber sie machen immer erst die Schachtel auf. Wollen sie prüfen, ob da auch drin ist, was drauf steht? Oder ob es nicht vielleicht ,Made in China' ist? Ich weiß es nicht."

Eine Beobachtung, die er doch gemacht hat, hat mit Münchens Sicherheit zu tun. "Die Touristen finden es toll, dass man sich hier so frei bewegen kann, und staunen, dass wir unsere Postkartenständer nicht anbinden müssen, um sie vor Diebstahl zu schützen." Die Leute fänden das schön, es beruhige sie. Besonders in Zeiten, in denen viele Angst vor großen Plätzen hätten.

Zum Marienplatz, Münchens touristischem Zentrum, hat Malescha eine pragmatische Beziehung. "Ständig gibt's hier Baustellen und ständig demonstriert irgendwer", sagt er. Beides ist nicht ideal fürs Geschäft. Er ist in seiner Freizeit selten in der Stadt, lieber steigt er aufs Motorrad und dreht seine Runden durch die Natur.

Doch er schätzt den Marienplatz und vor allem die Beziehungen zu den umliegenden Ladenbetreibern und den Stammkunden. Der Geschäftsmann, der Zigaretten bei ihm kauft. Die Chefs des Café "Woerner's" schräg gegenüber, die jeden Tag ihre Zeitungen bei ihm holen. Im Gegenzug trinkt er seinen Kaffee dann bei ihnen.

© SZ vom 19.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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