Zwei von drei Zutaten hat die Großmetzgerei Sieber schon, um vier Monate nach den Listerien-Funden wieder Wurst und Wammerl herstellen zu können: Die Fleischfabrik in Geretsried ist umgebaut, gereinigt und von den Behörden zur Produktion freigegeben worden. Die 50 verbliebenen Mitarbeiter könnten sofort loslegen. Die dritte und wichtigste Zutat muss Insolvenzverwalter Josef Hingerl aber noch auftreiben - das Fleisch.
Das Geld dafür verlangt er vom Verbraucherschutzministerium, und zwar sofort, sonst werde er den Betrieb Ende des Monats zusperren und die Mitarbeiter entlassen. Denn nach dem Bakterien-Skandal wittert Insolvenzverwalter Hingerl den ganz großen Polit-Skandal.
Seit Wochen überzieht er das Ministerium, das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, das Robert-Koch-Institut und das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen mit Vorwürfen und Forderungen. Eine Million Euro sofort und eine Bürgschaft über zwei Millionen Euro verlangt er vom Freistaat - als "Schadensausgleich" für die angeblich rechtswidrige Schließung. Sonst werde er auf den tatsächlichen Schaden von zehn Millionen Euro klagen. Er hat "null Zweifel", behauptet er, den Prozess zu gewinnen.
Großmetzgerei:Sieber erhebt nach Insolvenz schwere Vorwürfe gegen die Staatsregierung
Man habe das Unternehmen "bewusst plattgemacht", sagt Unternehmensleiter Schach. Die Listerienbelastung sei stets unterhalb des Grenzwerts gewesen. Nun müssen 120 Mitarbeiter gehen.
Der promovierte Insolvenzrechtler hat seine Kanzlei in Wolfratshausen. Er ist in der Region bekannt, weil er den Eishockey-Club der Tölzer Löwen schon zwei Mal aus der Pleite gerettet hat und dem Golfclub Bergkramerhof als Präsident vorsteht. Über die Vehemenz seiner Argumentation sagt der 68-Jährige: "Ich habe in meinem Alter das Glück, dass ich voll hinter dem stehen kann, was ich für richtig halte." Die Behörden wiederum werfen Hingerl Stimmungsmache und Wortklauberei vor - und dementieren dessen Thesen scharf.
So wie die Sache mit der internen E-Mail des Robert-Koch-Instituts: Hingerl präsentierte aus dem Schreiben einen Zitatfetzen, um zu belegen, dass sich die Bundesbehörde für Infektionskrankheiten aus der Verantwortung ziehe und zurückrudere. Der Insolvenzverwalter folgert: Also sei die Schließung von Sieber nicht einmal vom Robert-Koch-Institut gedeckt. "Mit einem Exempel sollte wohl nach Müller-Brot und Bayern-Ei richtig hart durchgegriffen werden."
Das wäre tatsächlich ein Skandal - wenn das Institut diese Darstellung nicht komplett zurückweisen würde: "Unsere Einschätzung von damals ist weiterhin gültig, wir haben hier nichts zurückzunehmen und auch nichts zurückgenommen." Tatsächlich wird in der internen E-Mail, die der SZ vorliegt, lediglich klargestellt, wer was wann sagte. Es war nämlich das Bundesinstitut für Risikobewertung, das den Listerien-Stamm auf mittlerweile 23 Sieber-Produkten mit "sehr hoher Wahrscheinlichkeit" in Verbindung mit dem bislang größten Listeriose-Ausbruch in Deutschland brachte. Seit 2012 erkrankten 78 meist ältere Menschen, acht starben, zwei Schwangere erlitten Fehlgeburten.
Hingerl bezichtigt das Landratsamt der Lüge
Das Argument wechselt, die Schlussfolgerung bleibt die gleiche: Nun konzentriert Hingerl sich darauf, dass angeblich die Hälfte von Siebers Produktion völlig unbedenklich gewesen sei. 120 Tonnen vor allem an Grillwürsten hätten vernichtet werden müssen, obwohl diese in der Vakuumverpackung nacherhitzt worden und damit garantiert listerienfrei gewesen seien. Die belieferten Supermarktketten verlangten diese "Nachpasteurisierung", weil die Würste nur dann vier Wochen und länger im Kühlregal haltbar seien.
Die Sieber-Leute könnten das mit eidesstattlichen Versicherungen untermauern, sagt Hingerl und bezichtigt das Landratsamt der Lüge. Die Kreisbehörde geht nämlich mit ihren Kontrolleuren und Veterinären seit Jahren bei Sieber ein und aus - und will nach eigenen Angaben noch nicht festgestellt haben, dass dort Würste in der Packung nachbehandelt worden sind.
Auch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit wundert sich: Firmeninhaber Dietmar Schach, der auf Anfragen nicht reagiert, oder seine Anwälte hätten diesen Punkt nie angesprochen, als es um die Schließung ging. Diese sei in der seinerzeit völlig unübersichtlichen Lage unumgänglich gewesen. Und das Ministerium verweist auf zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichts zugunsten der Behörden. Und die wissen noch ein Argument auf ihrer Seite: Seit dem Produktionsverbot sind keine neuen Infektionen mit diesem Listerien-Stamm aufgetaucht.