Kandidaten für den Tassilo 2018:Das Privileg der mutigen Jugend

Lesezeit: 3 min

  • Die sieben Gymnasiasten, die sich "Movie Jam Studios" nennen, wurden mit einem der drei Tassilo-Hauptpreisen ausgezeichnet.
  • Der Preis ist mit 2000 Euro dotriert.

Von Christina Hertel, Taufkirchen

Vor einer schweren Metalltür, in einem dunklen Gang stehen sechs Paar Schuhe. Ausgelatscht, manche etwas dreckig, alle ziemlich groß. Sie gehören: Alexander Spöri, Luca Zug, Leon Golz, Julian Heiss, Vitus Rabe und Paul Schweller, 16 und 17 Jahre alt. Hinter dieser Tür, in einem Keller in Taufkirchen, sitzen sie manchmal stundenlang zusammen. Überlegen, diskutieren, recherchieren - für ihren nächsten Film.

Wie verrückt das vergangene Jahr für die Jugendlichen gewesen sein muss, sieht man schnell, wenn man sich in dem Kellerraum umschaut. An einer Pinnwand hängen Zeitungsartikel: "Ein filmisches Denkmal für die Ewigkeit"; "Die überwältigende Kraft der Erinnerung"; "Schüler filmen gegen das Vergessen". Und an der Wand klebt ein großes Bild: Die Jungs auf den Stufen des Olympia-Einkaufszentrums.

Einen Tag lang waren Zeitungskästen an vielen großen Plätzen in München voll damit. Der Grund für diese Aufregung: Alexander Spöri, Luca Zug und ihre Freunde drehten einen Film über den Anschlag am OEZ. Dort erschoss David S. am 22. Juli 2016 neun Menschen und tötete danach sich selbst. Kein leichter Stoff für sechs Schüler. Dafür eine ziemlich große Gefahr, dass es peinlich werden könnte.

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Wurde es nicht. Bei der Premiere in einem großen Münchner Kino klatschte das Publikum minutenlang. Und inzwischen ist der Film auf Festivals in Israel, der Türkei und den USA nominiert. Dass das Werk mit dem Titel "Unvergessen" so eine große Aufmerksamkeit erreichte, liegt vor allem an dem Schwerpunkt, den sich die Jugendlichen setzten. Sie zeigten den Täter keine Sekunde lang, spekulierten nicht über seine Vergangenheit, seine Familie oder seine kranke Psyche. Dafür interviewten sie Angehörige, Freunde und Bekannte der Opfer.

In ihrem Film sieht man, wie Margareta Zabergja, die im OEZ ihren Bruder verlor, mit den Tränen kämpft. Wie sie sagt, dass sie die Tat nie abhaken wird. Und man bekommt einen Eindruck, was für ein Mensch ihr Bruder gewesen sein muss. Die jungen Filmemacher ließen Szenen aus seinem Leben nachspielen. Der Zuschauer sieht ihn feiern, mit seiner Nichte spielen, mit der S-Bahn zur Arbeit fahren. Die Schüler wollten ihm und den anderen Getöteten ein kleines Denkmal setzen, weil sie fanden, über den Täter sei bereits genug gesprochen worden. "Aber klar - es war eine Herausforderung", sagt Luca Zug. Weil ihnen die Schicksale selbst nahe gingen. Und weil die Angst, etwas falsch zu machen, groß war. Sie besprachen deshalb alles mit ihren Interviewpartnern ab. "Wir hätten, den Film nicht gezeigt, wenn er ihnen nicht gefallen hätte", sagt Alexander Spöri.

Einen wunden Punkt getroffen

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Gruppe, die sich "Movie Jam Studios" nennt, mit einem Film an ein schwieriges Thema heranwagt. 2015 drehten sie einen über das Attentat bei den Olympischen Spielen 1972. Im Jahr darauf kritisierten sie mit "Das Bildungssystem" Schule, Lehrer, Unterricht und verärgerten damit nebenbei den Pressesprecher des bayerischen Kultusministeriums. Weil sie es mit Absprachen nicht so genau nahmen. Aber wohl auch, weil sie ein paar wunde Punkte trafen. Zum Beispiel, dass es an Schulen "Vertretung ohne Lehrer" gibt. Das ist eigentlich Unterrichtsausfall - hört sich aber netter an und taucht deshalb in den Statistiken nicht auf.

Die sechs Jugendlichen sehen wie Musterschüler aus - alle tragen Hemd, weiß oder schwarz. Was sie sagen, wirkt immer überlegt und manchmal etwas hochgestochen. Zum Beispiel, wenn Paul Schweller meint: "Als Jugendliche haben wir das Privileg, etwas nischigere Themen anzusprechen." Und Alexander Spöri nennt ihre Treffen im Keller nicht einfach nur Treffen, sondern Redaktionskonferenzen. Das kann man leicht übertrieben oder angemessen finden: Diese Jungs haben Großes vor und mit diesem Selbstbewusstsein auch schon einiges erreicht. All ihre Filme wurden im Mathäser Filmpalast gezeigt, einem der größten Münchner Kinos. Sie brachten eine Musicalschauspielerin aus Köln dazu, für ihren Film nach München zu kommen - ohne Gage. Und der Filmemacher Rodney Sewell, der schon seit etwa 30 Jahren für ARD und ZDF dreht, ließ sie in seinem Studio an der Theresienwiese schneiden. Für "Unvergessen" nahmen sie es zweieinhalb Wochen in Beschlag. Oft blieben sie bis so spät in die Nacht, dass sie auf dem Sofa in dem Studio einschliefen.

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Warum sie das alles machen? "Wir wollen etwas verändern", sagt Luca Zug. "Oder zumindest eine Debatte anstoßen." Und das klappt ziemlich gut. Vor der Premiere von "Unvergessen" wurden sie von Lokalzeitungen interviewt, von Sat 1, dem Bayerischen Rundfunk, sogar dem ZDF-Heute-Journal. Damit haben sie ein Ziel erreicht: Die Opfer des Anschlags standen zumindest ein paar Tage lang im Fokus. Aber auch der Film über das Bildungssystem habe etwas bewirkt, sagt Alexander Spöri. Danach hätten Lehrer gefragt, was sie besser machen könnten. Und "Vertretung ohne Lehrer" gebe es an ihrer Schule nicht mehr.

Alexander Spöri, Luca Zug und die anderen Jungs von "Movie Jam Studios" machen nächstes Jahr Abitur. Zeit, um sich auf die Schule zu konzentrieren - dachten sie. "Aber so stressig ist es doch nicht", sagt Spöri. Deshalb wollen sie noch mal ein Projekt starten. Worum es genau geht, möchten sie nicht verraten. Vielleicht, meint Alexander Spöri, könnte es um psychische Krankheiten von Jugendlichen gehen.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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