Sport im Landkreis:Wie fliegen

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Die Ingolstädterin Leonie Papke kam vom TSV Jetzendorf. (Foto: Angelika Bardehle)

Vier Mädchen der Turnabteilung des TSV Unterhaching sind im Nachwuchskader des deutschen Turnerbundes. Ein familiäres Umfeld, eine kooperierende Schule und ein Spitzentrainer gehören zum Erfolgsrezept.

Von Iris Hilberth, Unterhaching

Wo in acht Jahren die Olympischen Sommerspiele stattfinden, steht noch nicht fest. Vielleicht wird das in Budapest sein oder in Los Angeles. Auch Paris und Rom könnte im kommenden Sommer den Zuschlag bekommen. Für Tabea, Chiara, Julia und Leonie ist aber bereits klar: Wir wollen da hin.

Die Schülerinnen müssen gar nicht erst lange überlegen, fragt man sie nach ihren sportlichen Zielen, "Olympia 2024", lautet die Antwort fast unisono. Den ersten Schritt zu einer solchen Teilnahme haben die vier Turnerinnen aus Unterhaching bereits gemacht. Alle vier sind inzwischen in den Nachwuchskader des Deutschen Turnerbundes (DTB) aufgenommen worden. Damit gelingt dem TSV nun auch bei den Mädchen, was er im Buben- und Männerturnen seit vielen Jahren beweist: Die Unterhachinger zählen zur nationalen Spitze in dieser Sportart.

Marcel Nguyen holte 2012 zwei Silbermedaillen

"Trainingsstätte von Marcel Nguyen" verrät ein Schild am Eingang der Sportarena am Utzweg. Die Unterhachinger haben es hingeschraubt, nachdem ihr bislang erfolgreichster Turner 2012 mit zwei Silbermedaillen von den Olympischen Spielen in London zurückgekehrt war. Inzwischen ist auch Lukas Dauser im Nationalteam angekommen, bei den jüngeren Jahrgängen folgen noch einige Talente mit ähnlichen Ambitionen.

In Vorbereitung auf Olympia: Julia Birck. (Foto: Angelika Bardehle)

Im Frauenturnen hingegen hatte sich der TSV einige Jahrzehnte aus dem Spitzensport verabschiedet, zuletzt hatte Andrea Pischel 1987 einen Deutschen Jugendtitel gewonnen. Vor zwei Jahren nun stand in dem Verein die Entscheidung an: So weitermachen oder doch versuchen, sich bei den Frauen an die Spitze zu turnen?

Einige hoffnungsvolle junge Talente gebe es ja schon, dachten sich die Verantwortlichen. "Unsere Übungsleiterin, die damals die Nachwuchsgruppe trainierte, ist weggezogen und so haben wir bei den Mädchen mit Dieter Koch einen hauptamtlichen Trainer eingestellt", sagt Abteilungsleiter Oskar Paulicks. Wie auch im männlichen Bereich mit Kurt Szilier, teilen sich Verein und Bayerischer Turnverband (BTV) den Trainer und damit auch die Kosten. "Einen Quantensprung", nennt Paulicks die damalige Entscheidung. Die Erfolge geben ihm Recht.

Bald rückten zwei Elfjährige in den Bundeskader auf

Koch gelang es bereits nach zwei Jahren, die beiden Elfjährigen Chiara Strecker und Tabea Landau für den Bundeskader C/D fit zu machen. Dem gehören auch Julia Birck an, die aus Penzberg zu der Trainingsgruppe hinzukam, sowie die zwei Jahre ältere Ingolstädterin Leonie Papke (C-Kader) vom TSV Jetzendorf. Die drei Jüngeren gewannen 2015 mit Abstand die inoffizielle deutsche Team-Meisterschaften ihrer Altersklasse.

Leonie Papke beim Training in Unterhaching. (Foto: Angelika Bardehle)

In Koch haben sich die Unterhachinger einen absoluten Profi an die Geräte geholt. Der Mann war unter anderem vier Jahre lang deutscher Nationaltrainer (1997-2000) und zwei Jahre lang Cheftrainer in Großbritannien, während seine Frau Ulla die deutsche Mannschaft trainierte - so erfolgreich, dass sie doch nicht zu ihm nach Wales wechselte, sondern beim DTB verlängerte. Dieter Koch kehrte daher nach Deutschland zurück, heuerte beim Bayerischen Turnverband an und landete schließlich in Unterhaching.

Erfolgstrainer Koch lobt die optimale Halle

"Die Ausstattung der Halle ist hier optimal", findet er. Tatsächlich ermöglichen die feststehenden Geräte, die Schnitzelgruben und die eingebauten Trampoline eine andere Trainingsmethodik als in herkömmlichen Turnhallen. Dass den Mädchen allerdings so schnell der Aufschwung an Deutschlands Nachwuchsspitze gelang, überrascht ihn selbst. "Ich dachte, dass es länger dauert", sagt er.

Als Koch die Leitung übernahm, hat er das Training komplett umgestellt. Grundlagenarbeit nennt er das, was fortan im Mittelpunkt stand: Kraft, Gymnastik, Beweglichkeit. "In den meisten Turnvereinen wird zu viel geturnt", sagt er. Erst wenn die körperlichen Voraussetzungen stimmten, könnten die Elemente gelernt werden. Entsprechend habe er auch die Übungsleiter im TSV intern geschult. Turnen, sagt er, sei die perfekte Grundausbildung - auch für andere Sportarten.

Die Ingolstädterin Leonie Papke kam vom TSV Jetzendorf. (Foto: Angelika Bardehle)

Seine Ziele sind genauso klar definiert wie die der Mädchen: Nationalkader, internationale Wettkämpfe, Olympia. Einer, der seit vier Jahrzehnten in dieser Liga spielt, gibt sich nicht mit Landesmeisterschaften zufrieden. Er sagt aber auch, "wir haben Zeit". Das internationale Leben einer Turnerin beginne eh erst mit 16. Vorher dürfen die Mädchen gar nicht starten. So sei das Konzept in Unterhaching langfristig angelegt.

Trotz ehrgeiziger Ziele lautet die Devise: nur keinen Stress

"Wir legen auf die langsame Vorgehensweise wert", sagt Abteilungsleiter Paulicks. Die Belastung werde dosiert, das Verletzungsrisiko minimiert. Oft genug könne man im Turnsport beobachten, dass Kinder bereits schwierige Übungen turnten, auf die sie gar nicht genug vorbereitet seien. "Nur keinen Stress", sagt er, "wir bezahlen unsere Trainer nicht nach Medaillen".

Gleichwohl sieht man Chiara, Tabea, Julia und Leonie mit weiteren Mädchen aus ihrer Trainingsgruppe sehr oft in der Unterhachinger Halle. Von der großen Scheibe aus kann man beobachten, wie sie um die Barrenholme wirbeln, auf der großen Bodenfläche ihre Salti und Schrauben drehen, und sich auf dem arg schmalen Schwebebalken so sicher und zugleich elegant bewegen, als seien dessen zehn Zentimeter so breit wie eine Autobahn. Acht bis neun Mal in der Woche trainieren die Mädchen, macht 19 bis 24 Stunden von Montag bis Samstag.

Wie das gehen kann, obwohl die Woche ja nur sieben Tage hat? "Das funktioniert nur durch eine enge Verzahnung mit der Schule", sagt Koch. Bis auf Tabea, die erst in der vierten Klasse ist, gehen die Mädchen alle auf das Lise-Meitner-Gymnasium, direkt neben der Turnhalle. "Die Schule ist sehr kooperativ", sagt Paulicks, dadurch könnten die Mädchen auch Vormittags eine Trainingseinheit absolvieren, während die Klassenkameraden ihren ganz normalen Schulsport haben, bisweilen aber auch Erdkunde oder Mathe.

Wichtig ist der kurze Weg zur Schule

"Wir haben ein Rotationssystem", sagt Koch, damit die Mädchen nicht immer dasselbe Fach verpassten. Nachlernen müssen sie es am Abend sowieso. Paulicks bezeichnet die Lösung mit dem Unterhachinger Gymnasium als optimal. Lange kooperierte der Turnverband mit dem IsarGymnasium in München, "aber die Wege zum Training waren lang", so Paulicks. Schulischer Erfolg und sportlicher Einsatz müssten aufeinander abgestimmt sein, betont auch Koch, "es ist zwingend notwendig, dass sie ein gutes Abitur machen." Und bislang hätten das all seine Turnerinnen auch geschafft. Allerdings findet er: "Mit einem neunjährigen Gymnasium wär es einfacher, beides zu kombinieren."

Der Trainer Dieter Koch und die vier Turnerinnen (oben, v.l.) Tabea Landau, Leonie Papke (rotes Trikot), Julia Birck (lila), und Chiara Strecker. (Foto: Angelika Bardehle)

Auch die Penzbergerin Julia und Leonie aus Ingolstadt gehen auf das Lise-Meitner-Gymnasium und sind daher unter der Woche bei Gastfamilien untergebracht. Leonie in der Familie von Chiara und Julia bei TSV-Übungsleiterin Nicole Khauer, deren älterer Sohn nicht nur selbst turnt, sondern auch in die selbe Klasse geht. "Das funktioniert super", sagt Khauer, und lobt ihre beiden Jungs, die ein Kinderzimmer für die neue Teilzeit-Schwester freigeräumt haben. Paulicks ist überzeugt, dass sie mit diesem Konzept alles richtig gemacht haben, indem sie Landestrainer und Stützpunkt einfach nach Unterhaching geholte haben.

"Das häusliche Umfeld und die Freunde spielen doch eine entscheidende Rolle", sagt er, schließlich seien die Kinder ja keine Roboter, die nur Schule und Training absolvierten. "Manchmal", bestätigen die Mädchen, seien sie nach der Schule schon etwas müde, "aber spätestens in der Turnhalle ist das weg", erklärt Tabea. Sie alle lieben das Turnen, "es ist wie fliegen", sind sich Leonie und Chiara einig, auch wenn das an Geräten wie Stufenbarren und Schwebebalken manchmal einige Überwindung koste. Auf jeden Fall macht es stark. Julia ist einmal gegen einen Jungen, der sie immer wieder ärgern wollte, im Armdrücken angetreten. Er war beeindruckt und hat sie danach in Ruhe gelassen.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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