Professionelle Asylarbeit:Check-in im Amt

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Die neue Stabsstelle Asyl des Landkreises München ist in Giesing untergebracht. (Foto: Claus Schunk)

Mit der Stabsstelle Asyl hat der Landkreis München seine Flüchtlingspolitik vollkommen neu geordnet. In ihren neuen Räumlichkeiten in Giesing planen die Mitarbeiter die Unterbringung von Schutzsuchenden und deren dauerhafte Integration. Ein Besuch

Von Martin Mühlfenzl

Rot-weiße und schwarz-gelbe Absperrbänder haben die Sicherheitskräfte vor dem Haupteingang gespannt. Sie bilden schmale Gassen, die verdächtig an die manchmal etwas verwirrenden Irrgärten vor den Abfertigungsschaltern am Flughafen erinnern. Sie geleiten die Ankommenden in das Foyer des schmucklosen Gebäudes an der Ludmillastraße in Giesing und dort an den Empfang. Hier, an der Theke, findet der Check-in statt. Die Ankunft im Landkreis München - und eigentlich für alle in ein neues Leben.

Donnerstagmittag. Einer der eher sonnigeren Tage dieses Sommers. Vor der Stabsstelle Asyl des Landkreises München, die seit März an der Ludmillastraße untergebracht ist, liegen vier junge Männer auf dem Rasen. Es wird viel gelacht, geraucht, die Stimmung ist entspannt, das Drumherum beschaulich - noch hat das Amt nicht offen. Sie sind hier, um sich ihr "Taschengeld" auszahlen zu lassen, sagt einer aus der Runde, der wie die anderen drei auch aus dem Nahen Osten nach Deutschland geflohen ist.

Ein Nachmittag Anfang März am Mariahilfplatz in der Au. Es ist kalt, graue Wolken hüllen die Mariahilfkirche ein, es regnet leicht, die Menschen frieren. Es sind Hunderte, die vor dem schmucken Landratsamt des Landkreises München ausharren und darauf warten, endlich in die Vorhalle hereingelassen zu werden. An den Mauern der Behörde kauern Kinder zwischen Koffern und Plastiktüten, Frauen und Männer drängen in einer schier endlos langen Schlange nach vorne.

Tage voller Stress und Anspannung

Immer an den Tagen zu Beginn eines Monats werden die sogenannten Geldleistungen an die Flüchtlinge ausgezahlt. Durch eine Seitentür werden die Menschen einer nach dem anderen hereingelassen, kontrolliert und schließlich an die beiden Schalter verwiesen, wo zwei Mitarbeiter im Minutentakt Auszahlungen tätigen - und doch nicht hinterherkommen. Für die Schutzsuchenden aber besitzt dieser Moment eine existenzielle Bedeutung, für die Mitarbeiter im Landratsamt sind diese Tage aufgeladen mit Stress und Anspannung.

"Eine halbe Stelle mehr an den Kassen - das würde uns schon sehr helfen", sagte damals ein Angestellter im Landratsamt, der wie viele seiner Kollegen "am Anschlag" arbeitete und sich täglich neuen Situationen gegenüber sah, die er bisher so nicht kannte.

Aus der erhofften halben Stelle ist dann nichts geworden.

Vielmehr hat Landrat Christoph Göbel (CSU) früh die Zeichen der Zeit erkannt, die mit dem Merkel'schen Kurswechsel im September des vergangenen Jahres angebrochen ist. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern und den Kollegen der Fraktionen im Kreistag traf der Landrat eine Entscheidung, die einerseits eine Reaktion auf die drohende Überforderung seiner Mitarbeiter war, andererseits der singulären Stellung des Landkreises München unter den bayerischen Regionen gerecht wurde.

Leiter der Stabsstelle Asyl: Leonhard Schmid. (Foto: Claus Schunk)

Alle Kräfte wurden gebündelt

Göbel setzte durch, dass alle Bereiche, die unmittelbar mit der Flüchtlingsthematik im Landratsamt zusammenhängen und zu tun haben, in einer eigenen Abteilung zusammengefasst werden: der Stabsstelle Asyl.

Leonhard Schmid empfängt mit einem Lächeln am Haupteingang seiner neuen Behörde. Er kam von der Regierung von Oberbayern ins Landratsamt und leitet seit Ende März die neue Behörde, die sich auf vier Etagen in dem Gebäude an der Ludmillastraße ausbreitet. Platz, den die mittlerweile mehr als 80 Mitarbeiter der Stabsstelle und ihre Gäste auch benötigen.

Der Landkreis, sagt Schmid, habe auf die neuen Herausforderungen, die der enorme Zuzug an Flüchtlingen seit Herbst 2015 mit sich gebracht hat, vollkommen richtig reagiert: "Wir haben alle Kräfte und Zuständigkeiten gebündelt. Einfach gesagt: Wir haben die Asylpolitik professionalisiert." Dabei mussten und müssen, wie der Leiter der Stabsstelle sagt, unendlich viele Rädchen ineinander greifen.

Etwa die Politik: Der Kreistag musste der massiven personellen Aufstockung zustimmen und entsprach letztlich auch dem Wunsch des Landrats. "Das war ein sehr mutiger Schritt", sagt Schmid. "Es ist nicht selbstverständlich, viele neue Mitarbeiter unbefristet einzustellen. Und das in einer Situation, die eigentlich kaum zu kalkulieren ist." Nicht für die Politik - und ebenso wenig für die Stabsstelle Asyl.

Die Stabsstelle ist das Barometer der Flüchtlingspolitik

Diese ist so etwas wie das Barometer der Flüchtlingssituation. Hier in den Räumen an der Ludmillastraße, an der Stimmung der Mitarbeiter und ihres Chefs lässt sich ablesen, wie es um die Suche nach Unterkünften, um die Integrationsbemühungen in den 29 Kommunen des Landkreises, um die Belastung der Ehrenamtlichen und natürlich den Fortgang des Zuzugs bestellt ist.

"Es hat eine Zeit lang gedauert, alle Mitarbeiter auf ein Ziel einzuschwören", sagt Schmid. "Wir wollen die Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen. Wir wollen, dass sie sich so schnell wie möglich einleben und integrieren. Diese Aufgabe wird noch sehr lange dauern, aber wir sind auf einem guten Weg."

Den Aufbau der Stabsstelle hat Landrat Göbel zum Anlass genommen, die Abteilungen in seiner Behörde vom Kopf auf die Füße zu stellen und neu zu strukturieren. Die neuen Referate wie "Arbeit, Jugend und Soziales" oder "Infrastruktur und Gesundheit" tragen Ziffern - einzig die Stabsstelle kennzeichnet ein Buchstabe: "A - Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen". Diese Unterscheidung erklärt sich dadurch, dass der Stab eigentlich ein Provisorium ist und nur so lange bestehen soll, wie er wirklich benötigt wird.

Es werden wieder mehr Schutzsuchende kommen

Der Aufbau der Abteilung sagt Schmid, war unerlässlich, um überhaupt der vielen Flüchtlinge Herr werden zu können, die dem Kreis von der Regierung von Oberbayern von September 2015 an und in den folgenden Monaten zugewiesen worden waren. Seit geraumer Zeit - nach der Schließung der Balkanroute und dem Deal mit der Türkei - gibt es aber keine Zwangszuweisungen mehr. Es kommen nur noch vereinzelt Schutzsuchende in Giesing an.

Da stellt sich freilich die Frage, ob es die Stabsstelle überhaupt noch braucht. Hat sich das Provisorium nicht schon nach wenige Monaten überlebt? "Mitnichten", sagt Schmid. "Man muss wohl eher sagen, dass sich unser Aufgabenspektrum verändert hat." Es geht für ihn, sein Team und die Sicherheitsleute derzeit nicht mehr darum, Neuankömmlinge zu registrieren und auf die Städte und Gemeinden zu verteilen. Sie für eine gewisse Zeit notdürftig in Turnhallen und Traglufthallen zu versorgen, ihnen wenigsten ein Dach über dem Kopf anzubieten. "Die Menschen sind jetzt da und viele werden bleiben. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, weiter Wohnungen und Häuser anzumieten und zu bauen, Integrationskurse voranzutreiben. Die Arbeit wird nicht weniger."

Der bevölkerungsreichste Landkreis des Freistaats - und das macht seine singuläre Stellung aus - muss bis Ende des Jahres 6000 Schutzsuchenden eine Bleibe bieten können. So sieht die momentane Prognose aus. Es waren zu Beginn des Jahres schon einmal 9000. Schmid sagt, der Landkreis sei, gleichwohl der Abbau der ersten von sieben Traglufthallen bereits begonnen hat, derzeit in der Lage, diese Aufgabe mit seinen Kommunen zu stemmen. "Die Solidarität funktioniert. Mal besser, mal ein bisschen weniger", sagt Schmid.

Doch es gibt andere Partner, die seiner Stabsstelle die Arbeit nicht unbedingt erleichtern: der Freistaat und die Regierung von Oberbayern. Diese haben einen sogenannten Akquisestopp verhängt, wie ihn Schmid nennt. Landrat Göbel spricht unverhohlen von einem "Baustopp". Jede noch so kleine Unterkunft - egal ob in Planung, in Bau oder bereits bezugsfertig - muss mittlerweile von der Regierung von Oberbayern genehmigt werden; den Landkreisen wurde buchstäblich die Entscheidungskompetenz aus den Händen gerissen. Vom bisherigen Weg - Schmid spricht von "Strukturen, die wir ganz neu aufgebaut haben und die funktionieren" - will er sich aber nicht abbringen lassen. Den Anweisungen der Regierung freilich sei Folge zu leisten. Aber will der Landkreis mit seinen Kommunen dennoch weiter auf dezentrale Unterbringungen setzen? "Die Gedanken sind frei", sagt Schmid.

Es wird ihm und seinen Mitarbeitern nicht viel anderes übrig bleiben. 6000, 7500, 9000 - all das seien nur Prognosen sagt Schmid: "Und wir alle wissen, dass wieder mehr Menschen bei uns Asyl suchen werden. Wir müssen uns darauf vorbereiten - und wir sind vorbereitet."

Im großen Warteraum der Stabsstelle an der Ludmillastraße richten sie gerade eine Spielecke her. Zwei Kassenautomaten warten darauf, endlich in Betrieb zu gehen und die Auszahlungen noch einmal zu beschleunigen. Nichts deutet darauf hin, dass hier ein Stab mit nur kurzer Einsatzdauer eine Notunterkunft bezogen hat.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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