Naturschutz:Auf schmalem Grat

Lesezeit: 3 min

Vielleicht kein Badeparadies für Menschen, aber Refugium für seltene Pfanzen- und Tierarten: Deininger Weiher mit Algenteppich. (Foto: Angelika Bardehle)

Fast nirgendwo ist der Siedlungsdruck so stark wie im Raum München. Umso schwerer ist es, die Natur wie im Isartal und in der Fröttmaninger Heide zu erhalten. Zumal die Ausweisung von Schutzgebieten Konflikte birgt - mit Landwirten und Freizeitsportlern

Von Iris Hilberth, Landkreis

Der Schwarzblaue Wiesenkopf-Ameisenbläuling fühlt sich im südöstlichsten Zipfel des Landkreises München offenbar noch recht wohl. Der Falter gilt als gefährdete Art, doch im Kupferbachtal bei Unterlaus nahe Aying flattert der Falter noch munter durch die Jungmoränenlandschaft. In einem Landkreis, der zu den am stärksten prosperierenden und am dichtesten besiedelten Regionen Bayerns zählt, ist das so erfreulich wie das Vorkommen der Wasserralle und der Knolligen Kratzdistel südlich des Ismaninger Speichersees.

Beide Areale zählen neben den Heideflächen und dem Schwarzhölzl bei Oberschleißheim zu den vier Naturschutzgebieten des Landkreises. Seit Jahren versuchen Naturschützer und Umweltpolitiker, auch das südliche und nördliche Isartal diesen nach dem Naturpark zweithöchsten Status des Naturschutzes zu verleihen. "Doch das wird auf die lange Bank geschoben", sagt Rudolf Nützel, Geschäftsführer der Bund-Naturschutz-Kreisgruppe München. Er meint: Zu viele Interessen müssten berücksichtigt werden.

Geotope gelten als Naturschätze

Aktuell gibt es im Landkreis München neben den vier Naturschutzgebieten zehn Naturdenkmäler. Das sind Einzelschöpfungen der Natur, die aus wissenschaftlicher Sicht oder wegen ihrer Seltenheit und Schönheit als besonders schützenswert gelten. Winterlinden sind darunter, aber auch ein Moor, ein Eichenwald und ein Hang an der Isar. Auch Geotope gelten als Naturschätze. Gesteinsfreilegungen, skurrile Felsformen und Höhlen waren bereits im 19. Jahrhundert Ausgangspunkt der Naturschutzbewegung. Schon 1840 ließ König Ludwig I. von Bayern die Weltenburger Enge bei Kelheim an der Donau schützen. Erdgeschichtliche Bedeutung haben im Landkreis München die Klettergärten in Buchenhain und im Gleißental bei Oberhaching, bei denen Ablagerungen von drei verschiedenen Eiszeiten zu sehen sind.

Darüber hinaus verfügt der Landkreis München über einen sogenannten geschützten Landschaftsbestandteil: Die aufgelassene Bahntrasse und die angrenzenden Biotopflächen in Feldkirchen, Aschheim und Unterföhring sind zwar als Areal zu klein für ein Naturschutzgebiet, haben für den Naturhaushalt aber große Bedeutung. Des weiteren existieren 13 Landschaftsschutzgebiete und elf Natura-2000-Gebiete, die sich in zehn Flora-Fauna-Habitat-Gebiete und ein Vogelschutzgebiet aufteilen. Mit dem Speichersee bei Ismaning existiert zudem ein Ramsar-Gebiet, benannt nach einer von der Unesco 1971 angestoßenen Konferenz in der gleichnamigen iranischen Stadt, bei der man einen Schutz von Feuchtgebieten als Lebensraum für Watt- und Wasservögel vereinbarte.

Wildwuchs, Wiese, Wunder
:Urwald im Boom-Land

So teuer wie in Grünwald sind Grundstücke nur selten. Und doch gibt es hier mitten im Ort ein Stück unberührter Natur: den Perlacher Hang

Von Claudia Wessel

Was wo dennoch erlaubt ist und wie hoch der Schutz der gesicherten Gebiete ist, staffelt sich vom Naturschutzgebiet bis runter zum Landschaftsschutzgebiet. Doch selbst wenn es um letzteres geht, wird oft jahrelang um den Schutz gerungen und teilweise vor Gericht gestritten. Jüngstes Beispiel ist das Landschaftsschutzgebiet Hachinger Tal, das der Kreistag mit knapper Mehrheit 2014 beschloss. Sehr zum Unmut von 17 Grundstücksbesitzern, die dagegen klagten, weil sie davon überzeugt sind, dass ihre Eigentumsrechte unverhältnismäßig betroffen sind. Christoph Nadler, Grünen-Kreisrat aus Taufkirchen, hat jahrelang für das Landschaftsschutzgebiet gekämpf. Er berichtet, er sei von den Gegnern regelrecht bedroht worden. Er kritisiert vor allem die Haltung der CSU und deren Solidarität mit den Bauern: "Als Politiker sollte man das Gemeinwohl im Augen behalten."

Bauern blockieren den Schutz eines Niedermoores

Proteste gab es kürzlich auch in Ismaning, wo die Regierung von Oberbayern die Natura-2000-Managementplanung voranbringen wollte. Die Landwirte sind gar nicht gut auf die Behörden zu sprechen. "Das war eine freiwillige Geschichte und jetzt werden wir bestraft", sagt der Kreisobmann des Bauernverbands, Anton Stürzer. Die Zusammenarbeit sei schon immer schwierig, etwa beim Biber. Hier gehe es noch dazu um fremdes Eigentum, das dann weniger wert sei. "Dass wir mit den Ismaninger Landwirten noch nicht in diesen spezifischen Dialog treten konnten, ist sehr bedauerlich", räumt der Pressesprecher der Regierung, Martin Nell, ein.

Nell stellt aber auch klar: "Die Ausweisung eines Naturschutzgebietes ist in Ismaning nicht beabsichtigt." Das Natura-2000-Gebiet "Gräben und Niedermoorreste im Erdinger Moos" sei 2004 an die EU als FFH-Gebiet gemeldet und von dieser 2008 bestätigt worden. Von einer Neuausausweisung eines Schutzgebietes könne daher nicht gesprochen werden. Ein Drittel Bayerns ist als Landschaftsschutzgebiet eingestuft. "Doch der Nutzungsdruck vor allem im Großraum München ist sehr groß", sagt Naturschutz-Mann Nützel. Viele Leute hielten sich nicht an die Regeln. Bestes Beispiel seien die Hundebesitzer in der Fröttmaninger Heide. "Die Qualität der Landschaftsschutzgebiete geht zurück, weil die Leute die freien Flächen nutzen", sagt er. An der Isar kämen noch die Mountainbiker hinzu.

Problematisch wird es auch immer dort, wo die Bebauung der Natur zu nahe rückt. "Wir arbeiten praktisch täglich daran, die meist sehr gegensätzlichen Interessen zwischen Wirtschaftswachstum und Erhaltung der Natur- und Artenvielfalt unter einen Hut zu bekommen und unserem staatlichen Auftrag, dem Natur- und Artenschutz im Landkreis, gerecht zu werden", heißt es aus der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamts. Nützel kritisiert die Aufweichung des Schutzes an der Münchner Schleißheimer Straße, wo für BMW eine neue Autobahnanschlussstelle gebaut werden solle. In Baierbrunn hingegen ist man von den Planungen für ein neues Schulhaus im Landschaftsschutzgebiet am Isarhochufer abgerückt.

Ein Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde spricht von "einem schmalen Grat zwischen der Erhaltung der Biodiversität und wachsender Besiedelung". Es müsse zwischen dem Bedarf an Wohnflächen, Gewerbe und Verkehr einerseits und der Umsetzung des Naturschutzgesetzes andererseits vermittelt werden. "Am Ende ist Wachstum zwar gut und wichtig, aber eben nur ein Teil des Landkreises."

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: