Ismaninger Lesebühne:Eine Arena für Dichter

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Meike Harms (l.) war 2014 Bayerische Meisterin im Poetry Slam. Gemeinsam mit Markus Berg (r.) hat sie die Ismaninger Lesebühne gegründet. (Foto: Robert Haas)

Meike Harms und Markus Berg haben in diesem Jahr die Ismaninger Lesebühne gegründet. Gemeinsam wollen sie dort Wortakrobaten fördern und ihrer Liebe zur Poesie Ausdruck verleihen. Denn die kann Energie stiften, glauben die Künstler.

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Was den deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe wohl zu seinen bewegendsten Gedichten inspiriert hat? War es der Gedanke an eine Geliebte, die Erkenntnis über den Gang der Welt, die Ehrfurcht vor antiken Göttern und Mythen? Ziemlich sicher jedenfalls war es nicht der Gedanke an Fehler bei der Übertragung von größeren Datenmengen. Doch auch diesem etwas sperrig wirkenden Thema wohnt tiefe Poesie inne - zumindest dann, wenn jemand wie Markus Berg sich seiner annimmt.

"Science Slam" nennt sich die Form der Bühnenliteratur, die technische Themen in solch elegante und zugleich verständliche Worte gewandet, dass selbst Laien sie begreifen und an ihnen ihre Freude haben. Für den Ismaninger Rundfunkingenieur Berg war sie ein Weg, seiner Liebe zur Sprache Ausdruck zu verleihen.

Meike Harms und Markus Berg sind Bühnenpoeten und Bühnengeber

Dabei beschränkt sich das Repertoire des Ismaningers bei Weitem nicht nur auf wissenschaftliche Themen: Als Poet tritt er regelmäßig auf Bühnen in München und im ganzen deutschsprachigen Raum auf, seit Kurzem ist er auch selbst Gastgeber. Gemeinsam mit Meike Harms, ihres Zeichens Poesiepädagogin und 2014 Bayerische Meisterin im Poetry Slam, hat Berg in diesem Jahr in Ismaning das Format "Dichter ran ans Wort" aus der Taufe gehoben, eine Lesebühne, die Poeten einen Ort im Landkreis gibt, um ihre Texte - in Lyrik oder Prosa - zu präsentieren.

In der Landeshauptstadt gibt es bereits vier solcher Lesebühnen, die zum Teil seit zehn Jahren regelmäßig zu Lesungen laden. Auch Poetry Slams, das aus den USA in den Neunzigerjahren nach Deutschland geschwappte Format eines Dichterwettstreits mit Publikumsvotum, erfreut sich in ganz Bayern immer größerer Beliebtheit. Trotzdem, so scheint es, steht die vorgetragene Poesie im Vergleich zu anderen Kunstformen noch eher selten im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Das zu ändern ist gewissermaßen auch ein Anliegen von Harms und Berg.

Mit der Sprache zu spielen hilft, sie zu entdecken

Sie selbst sind dem Wort, man kann es so sagen, verfallen. "Poesie ist für mich ein toller Weg, um meine Gedanken zu bündeln und anderen näher zu bringen", sagt Harms - "und um mit Sprache zu spielen." Schon bevor sie sprechen konnte ahmte die heute 33-Jährige Dialekte nach, formte Laute und parlierte in Italienisch ohne sich von Grammatik und Wörtern einengen zu lassen.

Nach frühen Schreibversuchen, literaturwissenschaftlichem Studium und begleitenden Creative-Writing-Kursen fand Harms schließlich bei einem Auslandsaufenthalt in Island die Inspiration dafür, wie sie ihre Leidenschaft für Sprache und Poesie leben und zugleich auch davon leben könnte.

Heute ist Harms freie Poesiepädagogin, sie bietet Schreibwerkstätten an und arbeitet mit Schulen zusammen, aktuell etwa mit jungen Flüchtlingen in einem Projekt für kreative Deutschförderung in Übergangsklassen. "Oft stößt man bei den Schülern auf Hemmungen, wenn es ums Schreiben geht, auf ein: Das kann ich nicht", erzählt Harms. "Ich ermutige sie dann, eigene Begriffe zu erfinden, sich auszuprobieren - mit der Sprache zu spielen, statt zu schreiben."

Bei Poetry Slam und Lesebühnen sind sich Publikum und Künstler ganz nah

Das Ergebnis ihrer eigenen Sprachspiele präsentiert Harms regelmäßig auf der Bühne. Wenn die Gilchingerin ans Mikrofon tritt, schlüpft sie ganz in die Figuren ihrer Texte. Sie führt Dialoge, argumentiert als Biologie gegen die Behauptung der Philosophie, nur sie kenne den Ursprung des Seins.

Der Vortrag ist ein elementarer Teil bei der Bühnenpoesie; jeder Dichter trägt seinen Text nicht nur vor, er interpretiert ihn, haucht ihm Leben ein im wahrsten Sinne des Wortes. Da viele Texte einen sehr persönlichen Hintergrund haben, entsteht aus Sprachgewandtheit, Vortrag und Emotion häufig eine besondere Beziehung zwischen dem Autor und seinem Publikum. "Man kriegt die Reaktionen hautnah mit", sagt Berg und lächelt.

Eine Nähe, die die Bühenpoeten Künstlerkollegen auf hohen Podesten in vielen Fällen voraus haben, auch wenn größere Poetry Slams längst ebenfalls mehrere Hundert Zuschauer anziehen und große Veranstaltungssäle füllen. Seine eigenen Texte öffentlich vorzutragen und sich wie im Falle eines Wettbewerbs auch noch der direkten Bewertung durch das Publikum auszusetzen, kostete am Anfang gleichwohl viel Überwindung, erinnern sich die Initiatoren der Ismaninger Lesebühne. "Ich habe, glaube ich, 20 Auftritte gebraucht, bis ich nicht mehr vor jedem vor Aufregung gestorben bin", sagt Harms und grinst.

"Poesie ist für mich energiestiftend", sagt Markus Berg

Markus Berg fand einen besonderen Zugang, die eigenen Bühnenfurcht zu überwinden. "Ich war lange bloßer Slam-Konsument", sagt er. "Als mich ein Bekannter zum ersten Mal zu einem mitnahm und ich die Texte hörte, war ich total geflasht", erzählt der 49-Jährige. Seit seiner Jugend verfasste Berg Geburtstagsgedichte für Freunde, schrieb kleine Fortsetzungsgeschichten und interpretierte Klassiker der großen Dichter neu, doch vortragen wollte er nie - "Ich spreche zu schnell."

Bis es schließlich nicht anders ging: Im Beruf hatte er vermehrt Dienstvorträge zu halten und musste so wohl oder übel auch an seiner Rhetorik arbeiten. So war der Schritt auf die Bühne kürzer. Davon, dass Berg als Dichter auftritt, profitieren nun wiederum auch seine Arbeitsvorträge.

Wie sehr Sprache in ihrer Schönheit und Tiefe Menschen berühren kann, begeistert Harms und Berg sichtlich. "Poesie ist für mich energiestiftend", sagt Berg. Seinen Block hat der 49-Jährige immer dabei, auf seiner Seite im Internet dokumentiert er kleine Alltagsbeobachtungen und Kuriositäten, und manchmal schießt ihm ein Satz ein, aus dem dann ein Gedicht, eine Geschichte erwächst. "Die Texte, die aus einem Guss entstehen, sind oft meine besten", sagt er.

Wie viele Texte sie insgesamt verfasst haben, können die Bühnenpoeten kaum sagen. Aufgeführt haben sie je etwa 50. "Es gibt so etwa acht Lieblingstexte", sagt Harms, auswendig im Repertoire hat sie vielleicht 20. Ein neuer kann rasch hinzukommmen. Wenn sich ein Gedanke aufbäumt oder ein Begriff verfängt.

Die Lesebühne "Dichter ran ans Wort" von und mit Meike Harms und Markus Berg sowie ausgewählten Gästen findet regelmäßig in der Blackbox der Vhs Nord im Kultur- und Bildungszentrum Seidl-Mühle Ismaning statt. Am 1. Juli begrüßen Harms und Berg die Bühnenpoeten Henny Gröblehner, Sarah Stemmler und Dominik Erhard. Weitere Informationen und Termine sind online einsehbar . Live-Eindrücke der Premiere gibt es hier.

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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