Ismaning:Stille Helden

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Christoph Göbel zeichnet 70 Bürger aus dem Landkreis für ihr ehrenamtliches Engagement aus. Sie packen dort an, wo das System versagt.

Von Ulrike Schuster, Ismaning

Auch wenn es um ernste Themen ging: Ernste Mienen sah man am Dienstagabend im Ismaninger Bürgersaal nicht. Das Gegenteil war der Fall. Landrat Christoph Göbel (CSU) blickte in zahlreiche strahlende Gesichter. Der Landkreis München hatte geladen, um 70 Ehrenamtliche auszuzeichnen - 15 Einzelpersonen und acht Gruppen, die durch ihr Engagement in wichtigen Bereichen der Gesellschaft auffallen.

Die Ausgezeichneten haben eines gemeinsam: Sie wissen, wo sie und ihre Arbeit gebraucht werden. Denn gerade im wohlhabenden Landkreis München werden die Abgehängten und Bedürftigen leicht vergessen. Sie sind nicht sichtbar. "In unseren Gemeinden, wo Erfolg und Leistungsdruck so hoch hängen, ist die Scham, nicht mithalten zu können, besonders groß", sagte Landrat Göbel (CSU) bei der Festveranstaltung. Für Betroffene gelte häufig: "Sie ziehen sich zurück."

Am Ende tun alle Ehrenamtlichen eines: Sie machen das Leben eines Menschen besser

Daher wird die Arbeit der Ehrenamtlichen auch so sehr geschätzt. Egal in welchem Bereich sie aktiv sind - von Hospizarbeit über Seniorenbesuche, Tafelausgabe, Lesepatenschaft oder Nachbarschaftshilfe -, am Ende tun sie alle das Gleiche: Sie nehmen sich Zeit, hören zu und machen das Leben eines Menschen besser.

Auch Margit Klopf-Runkel aus Aschheim (2. von links) wurde für ihr ehrenamtliches soziales Engagement im Landkreis ausgezeichnet (mit von links: Maria Knoller, Zweite Bürgermeisterin, Landrat Christoph Göbel und Ingrid Lenz-Aktas). (Foto: Florian Peljak)

"Kriegt man dann noch eine Ehrung mit goldener Nadel und Urkunde oben drauf, dann rührt das schon an", sagt Michael Kayler. Seit 13 Jahren fährt der Ismaninger "Senioren-Taxi", so nennt er seinen Fahrtdienst. Von 7 Uhr in der Früh an holt er seine "Fahr-Freunde" aus ihren Wohnungen, bugsiert sie mit Rollstuhl, Krücke oder Rollator in seinen Peugeot-Bus, einen Neun-Sitzer mit extra dicken Gurten, und bringt sie in die Tagespflegeeinrichtung der örtlichen Nachbarschaftshilfe. Von 16 Uhr an steht der 69-Jährige wieder parat und fährt die Menschen nach Hause. Die meisten seiner Mitfahrer sind dement, Altersklasse 63 bis 93. Ohne ihn würden sie nicht mit anderen basteln und singen, sie säßen verlassen in ihrem Zimmer. "Die Vorstellung, allein zu sein, ist für alle das Schlimmste", sagt Kayler.

Früher war er Kraftfahrer für Futtermittel, dann wollte das Herz nicht mehr so richtig, ein Herzschrittmacher war nötig, die Frühverrentung folgte. Kayler hatte aber keine Lust auf Zurücklehnen. Ohne Wertschätzung von anderen mache doch alles keinen Sinn, sagt er. Auf die 450 Euro Aufwandsentschädigung komme es ihm nicht an. Haften bleibt, wenn Mitfahrerin Mathilde zu ihm sagt: "Wenn du nicht mehr bist, will ich auch nicht mehr sein, Michael."

In einem reichen Umfeld wie dem Landkreis fällt Armut noch mehr ins Auge

Landrat Göbel lobte die Ehrenamtlichen als diejenigen, die in die Lücken springen, die dort anpacken, wo das System versagt, wo Einzelne - Alte, Arme, Kinder - durch das grobmaschige Netz der Allgemeinregelung fallen.

Junge Menschen auffangen wollen die Coaches der Nachbarschaftshilfe Taufkirchen. Sie unterstützen Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren, geben konkreten Rat in jeder Lebenslage. 20 Berater kümmern sich um 25 Mentees, die meisten besuchen die Mittelschule. Eine Stunde pro Woche geht es um Schule, Berufswahl, aber auch um Freunde, die Beziehung zu den Eltern, kulturelle Unterschiede. Neulich wollte ein türkisches Mädchen wissen, wie das denn bei deutschen Mädchen so sei, wenn die einen Freund hätten?

"Die meisten wollen einfach ihre Fragen loswerden, haben aber niemanden, der ihnen zuhört, geschweige denn Antwort gibt", sagt Leiterin Heike Hindringer- Heindl. Viele suchten jemanden, der nicht Mutter, nicht Freundin, sondern eine Mischung aus Vertrauensperson und respektiertem Profi sei - einen Mentor eben. Es fehle ihnen an Vorbildern, die begeistern. An schlechten Tagen heiße es schon mal: "Ich hab' keinen Bock, ich mach auf Hartz IV, geht doch immer irgendwie." So individuell die Lösungswege sind, ein Patentrezept lasse sich auf alle Jugendlichen anwenden, sagt Ex-Manager und Coach Martini: "Nicht unter Druck setzen."

Jede Woche kommen etwa 300 Menschen zum Hachinger Tisch. Vor zehn Jahren waren es 35

Monika Weisensee und ihre Gruppe vom Hachinger Tisch geben Lebensmittel an Bedürftige in Taufkirchen, Ober- und Unterhaching aus. Jeden Freitag, von 11 bis 14 Uhr, reichen sie eineinhalb Tonnen Nahrung über die Theke. Besonders beliebt seien Schokolade und Fleisch, bei letzterem müssten sie stets enttäuschen. Als sie vor zehn Jahren anfingen, kamen 35 Menschen, heute stehen etwa 300 in der Schlange. Traurig sei, dass manche die Schlange nie mehr verlassen haben - einmal eingereiht, immer eingereiht.

Inge Strauß wurde ausgezeichnet für ihr Engagement beim Basar für Kinder-und Jugendbekleidung der Nachbarschaftshilfe Unterhaching. (Foto: Florian Peljak)

Landrat Göbel sieht noch eine weitere Lücke im Freiwilligendienst und zwar auf Helferseite: Das Potenzial der rüstigen Senioren liege brach. Zu viele fitte, hilfsbereite Rentner wüssten nicht wohin mit ihrer Energie und Kompetenz. Vielleicht könnte einer von ihnen den Manager für die übrigen Helden im Ruhestand machen.

© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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