Fahrradunfälle:Mitdenkende Ampel soll Radler schützen

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Patrick Grzywok (Mitte) hat gemeinsam mit Kommilitonen und Kommilitoninnen "Ampelligence" entwickelt. (Foto: privat)

Studenten der TU haben ein Warnsystem entwickelt, das Kollisionen zwischen rechtsabbiegenden Autos und Fahrradfahrern verhindern könnte. In Ismaning wurde es bereits erfolgreich getestet.

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Es ist ein Schreckensszenario für jeden Radler: Man fährt bei Grün geradeaus über eine Kreuzung, als plötzlich ein rechtsabbiegendes Fahrzeug einschert. Wer Glück hat, kann gerade noch reagieren. Wer Pech hat, nicht. Immer wieder kommen Fahrradfahrer ums Leben, weil sie beim Rechtsabbiegen übersehen werden. 2017 waren es allein im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums München zwei, dazu kommen 352 Verletzte. Auch Sophie Büttner hat diese Erfahrung schon gemacht. Sie war mit dem Rad auf dem Weg zur Arbeit, eine Autofahrerin übersah sie an einer Kreuzung, fuhr sie beim Abbiegen an. "Es war Gott sei Dank nicht so dramatisch, ich hatte nur ein paar Prellungen. Aber da wurde mir bewusst, wie gefährlich die Situation ist und wie oft diese Situation im Verkehr vorkommt", sagt Büttner. Die Studentin packt das Problem nun selbst an: Das Präventionssystem "Ampelligence" soll Radler künftig besser vor Rechtsabbiegern schützen. Einen ersten Härtetest in der Praxis hat es bereits bestanden: in Ismaning.

Wo im Ismaninger Norden die Freisinger Straße und die Zufahrt zum Gewerbegebiet Am Lenzenfleck aufeinandertreffen, ist so eine Kreuzung, an der sich Radfahrer und rechtsabbiegende Lastwagen häufig in die Quere kommen. Schon oft wurde in der Gemeinde darüber diskutiert, wie die Kreuzung sicherer gestaltet werden kann. Ein ideales Testgebiet also für Ampelligence. Das System besteht aus zwei Komponenten: Eine 3-D-Kamera scannt den Fahrrad- beziehungsweise Fußgängerweg neben der Straße und erkennt, wenn sich dort ein Radler nähert. Ist das der Fall, sendet die Kamera ein Signal und ein an der Kreuzung gut sichtbar angebrachtes Warnlicht - die zweite Komponente - fängt an zu blinken. Auf diese Weise werden Auto- oder Lastwagenfahrer, die auf der Straße unterwegs sind, darauf aufmerksam gemacht, dass sie beim Abbiegen auf Radler achten müssen.

Die interdisziplinäre Gruppe um die TU-Studentin Sophie Büttner hat "Ampelligence" entwickelt. (Foto: privat)

"Der Vorteil von Ampelligence gegenüber bestehenden Warnsystemen ist, dass es ein externes System ist, das für alle Verkehrsteilnehmer funktioniert", sagt Büttner. Die meisten Angebote auf dem Markt sind sogenannte Abbiegeassistenten, die direkt in Lastwagen oder Bussen verbaut werden und die Fahrer im Wageninneren warnen. Das Blinklicht an der Kreuzung kann jeder sehen, unabhängig von der Ausstattung seines Fahrzeugs. Die Idee für das Projekt hat Büttner gemeinsam mit vier weiteren Studenten vergangenen Herbst bei einem Start-up-Workshop der Technischen Universität München in Garching entwickelt. "Think Make Start" heißt der Praxiskurs, in dem bewusst Studenten verschiedener Fachrichtungen zur Zusammenarbeit angeregt werden sollen. Mit ihrem Projekt konnte die interdisziplinäre Gruppe - neben Büttner, die als Consumer-Affairs-Studentin vor allem für Fragen der Umsetzung zuständig ist, gehörten dazu Informatik-Student Ozan Pekmezci, Robotics-Spezialist Patrick Grzywok sowie zwei weitere Studenten aus den Fächern Informatik und Maschinenbau - überzeugen. Sie wurden als beste Start-up-Idee ausgezeichnet. Im Juli erhalten sie außerdem den bayerischen Verkehrssicherheitspreis.

Beim Test in Ismaning hat sich das Warnsystem bereits bewährt. Hier zu sehen ist ein Prototyp des Blinklichts. (Foto: privat)

Um ihre Idee auch in die Tat umzusetzen, waren Büttner und ihre Kollegen Mitte Mai mit einem Prototypen in Ismaning. Die Gemeinde habe sich gleich offen gezeigt für das Projekt, sagt Büttner. Am Lenzenfleck testeten sie, in welchem Winkel die Kamera Radler am besten erkennt, welche Geschwindigkeiten eventuell schwierig sind. In rund 90 Prozent der Versuchsfälle habe das System funktioniert, berichtet Büttner. "Einige Dinge sind natürlich noch verbesserungsfähig, aber für den Prototypen sind wir zufrieden", sagt die 26-Jährige.

Dank der technischen Möglichkeiten des Machine Learnings kann die Kamera ihre Erkennfähigkeiten künftig noch verbessern, indem sie anhand von Daten, mit denen sie gefüttert wird, beispielsweise die Bewegungsmuster eines Joggers von jenen eines Radfahrers zu unterscheiden lernt. Außerdem überlegen die Erfinder, die Kamera mit einem Radar zu kombinieren, damit das System auch bei Regenwetter und entsprechend schlechter Sicht zuverlässig arbeitet. Überhaupt haben Büttner und ihre Kollegen noch einiges vor mit Ampelligence. "Ismaning war der erste Schritt für den Live-Test, auf kleiner Ebene", sagt Büttner. Als nächstes muss sich der Prototyp der Garchinger Studenten im Großstadtgewimmel bewähren: Ein Pilotprojekt in Berlin ist bereits geplant für den Herbst, auch die Stadt München hat sich inzwischen gemeldet, erzählt Büttner.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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