Dornach bei München:Perfekt improvisierte Notunterkunft

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Soldaten der Bundeswehr bauten am Samstag Hunderte Betten im neuen Dornacher Notquartier auf. (Foto: Catherina Hess)

"Das ist schon überwältigend": Im neuen Notquartier in Dornach bei München finden 2500 statt 1500 Menschen Platz. Dank zahlreicher Freiwilliger - und der Bundeswehr.

Von Martin Mühlfenzl, Dornach

Um 18 Uhr erreicht Martin Perse in der Kaserne in Ingolstadt die Alarmierung durch das Bundesverteidigungsministerium. Vier Stunden hat der Hauptmann Zeit - vom Marschbefehl bis zum Ausrücken. "Wir mussten erst einmal alle Soldaten aus dem Wochenende zurückholen, notwendiges Material zusammensuchen und dann ging es los", sagt Perse. Vier Stunden später, um 22 Uhr und somit perfekt in der Zeit, erreichen die 50 Mann aus Ingolstadt den Aschheimer Ortsteil Dornach im Landkreis München. Ihr Auftrag: 500 Betten für die Erstaufnahmeeinrichtung in einem Bürogebäude errichten.

Am Dienstag hatte die Regierung von Oberbayern bekanntgegeben, die leer stehenden Räumlichkeiten in eine Notunterkunft für bis zu 1500 Schutzsuchende umzuwandeln. Am Samstagnachmittag spricht Gerhard Bieber, Pressesprecher der Johanniter, bereits von bis zu 2500 Flüchtlingen, die in Dornach registriert werden sollten. Am Sonntagnachmittag schließlich sagt seine Kollegin Daniela Bredemeier, es könnten hier noch mehr Menschen eine vorübergehende Aufnahme finden: "Wir haben die Kapazitäten. Das weiß die Regierung von Oberbayern auch."

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"Die meisten sind froh, dass man sich kümmert"

Bredemeier steht gerade vor dem Empfang, an dem sich beinahe im Minutentakt Freiwillige für den Helferdienst registrieren lassen, da fährt ein Bus vor. Etwa 1000 Menschen befinden sich zu diesem Zeitpunkt in der Erstaufnahmeeinrichtung; die genaue Zahl wissen nicht einmal die Mitarbeiter der Johanniter, die den Betrieb am Laufen halten. "Es gibt immer wieder Menschen, die weiterziehen. Wir können auch niemanden aufhalten oder zwingen", sagt Bieber. "Die meisten aber sind froh, dass man sich um sie kümmert." Und dass auch die Weiterverlegung so reibungslos abläuft.

Dornach ist gerüstet, auch mit arabischen Hinweisschildern. (Foto: Claus Schunk)

Der Bus hält, die Türen öffnen sich. Aus dem Gebäude kommen 50 Menschen, darunter viele Kinder, beladen mit Plastiktüten voller Verpflegung und Kleidung, mit Stofftieren in den Armen - und glücklichen Gesichtern. Das liegt auch an den Ehrenamtlichen, die sich um sie kümmern. In Schichten arbeiten sie hier in Dornach, alle auf einmal können nicht eingesetzt werden.

"Es sind immer 50 Leute im Einsatz", sagt Charlotte, die den Aufruf auf der Facebook-Seite der Johanniter gelesen hat und mit einer Freundin aus München hierher gekommen ist. "Das ist schon überwältigend, wie die Leute auf Hilfeaufrufe reagieren." Die Organisation der vielen Helfer in der Einrichtung hat der Helferkreis der Gemeinde Aschheim übernommen - rund um die Uhr sind Mitglieder im Gebäude, richten Essen her, kümmern sich um die Kinder, machen sauber. "Die leisten schon enorm viel", sagt Gerhard Bieber.

Das gilt auch für die Soldaten. Insgesamt 4000 hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Bereitschaft versetzt - und die Kompanien erledigen ihre Aufgaben konzentriert und nahezu lautlos. Bis 2.30 Uhr in der Nacht auf Samstag haben Hauptmann Perse und seine Kameraden Feldbetten aufgestellt, die von den Johannitern aus ganz Bayern herangekarrt worden sind. "Dann haben wir uns drei Stunden hingelegt und früh morgens ging es weiter."

Zwischenstopp: Ankunft in der neuen Notunterkunft. (Foto: Claus Schunk)

Um 14 Uhr am Samstag wird die Kompanie dann nach Ingolstadt zurückbeordert - doch die Ablösung steht schon in den Startlöchern. Auch am Sonntag sind wieder 50 Soldaten - diesmal aus der Kaserne in Füssen - in Dornach, helfen, wo angepackt werden muss, und beginnen damit, ein Bürogebäude direkt neben der bestehenden Einrichtung herzurichten. "Wir warten noch auf Material, auf Bänke, Betten und vor allem Duschen", sagt Bredemeier von den Johannitern. "Die Infrastruktur muss stimmen, sonst können wir nicht in Betrieb gehen." Die Plätze in Dornach werden nicht zuletzt aufgrund der angespannten Situation in der Landeshauptstadt dringend benötigt.

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Dass der Landkreis München bereit ist, der Stadt unter die Arme zu greifen, hat er in den vergangenen Tagen eindrucksvoll bewiesen. Zwischenzeitlich kamen mehr als 2000 Flüchtlinge in den alten Tennishallen der Sportanlage Keferloh in der Gemeinde Grasbrunn unter; einer mehr als provisorischen Erstaufnahmeeinrichtung, die das Landratsamt mit viel Unterstützung durch Feuerwehren und andere Freiwillige in einer Nacht- und Nebelaktion auf die Beine gestellt hatte. Mittlerweile betreiben dort Ehrenamtliche in Eigenregie ein Spendenzentrum, sortieren Hilfsgüter und verteilen diese auf die Flüchtlingsunterkünfte in der Region. "Der Landkreis zeigt in diesen Tagen sein wahres Gesicht", sagt Landrat Christoph Göbel von der CSU. "Und es ist ein sehr, sehr herzliches und hilfsbereites."

Die Erstaufnahmeeinrichtung wird länger bleiben

In Dornach bauen die Johanniter darauf, dass diese Hilfsbereitschaft noch lange anhalten wird. Denn die Erstaufnahmeeinrichtung wird dem Willen der Regierung von Oberbayern nach länger stehen bleiben. "Wie lange, hängt natürlich davon ab, wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln", sagt Pressesprecher Bieber. "Aber wir sind Realisten. Über kurz oder lang wird sich hier viel tun, auch baulich. Denn mit Dixi-Klos und Duschcontainern sind wir hier sehr provisorisch unterwegs."

Die Arbeit in dieser Übergangslösung aber läuft weiter reibungslos. Am Sonntagnachmittag verlassen um 14.36 Uhr die letzten Flüchtlinge, die das Wochenende hier verbracht haben, die Einrichtung. Bundeswehrsoldaten, Johanniter und Freiwillige stehen mit Wasserflaschen am Ausgang bereit, verstauen schwere Taschen im Bus, verteilen noch einmal Gummibärchen an die Kinder. Dann beginnt das große Reinemachen in den Zimmern. Auch das zweite Gebäude haben die Soldaten mittlerweile hergerichtet; 2500 Plätze stehen jetzt insgesamt zur Verfügung. Die nächsten Busse mit Schutzsuchenden werden in Dornach nicht lange auf sich warten lassen.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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