Eine Stadt an ihren Grenzen:Die Helfer brauchen Hilfe

Eine Stadt an ihren Grenzen: 1500 Freiwillige: Die Hilfsbereitschaft der Münchner ist auch nach zwei Wochen ungebrochen.

1500 Freiwillige: Die Hilfsbereitschaft der Münchner ist auch nach zwei Wochen ungebrochen.

(Foto: Catherina Hess)

"Am Ende des Tages wundern sich immer wieder alle, dass es geklappt hat": Zwei Wochen lang haben vor allem Freiwillige die ankommenden Flüchtlinge versorgt, jetzt sollen Hauptamtliche übernehmen.

Von Thomas Anlauf

Sie lächeln, auch wenn sie erschöpft sind. Sie schleppen Kisten, auch wenn sie nicht mehr können. Junge Frauen verteilen Bananen und Wasser, kräftige Männer bauen Betten und Bierbänke auf, ältere Damen spenden Flüchtlingen Hoffnung - all das mit einem Lächeln. Die Helfer von München, sie sind die guten Gesichter der Flüchtlingskrise. Seit zwei Wochen gehen die Bilder von ihnen um die Welt, seit München zum Symbol für Hilfsbereitschaft in Deutschland geworden ist. Zwei Wochen, in denen Tausende Tag und Nacht ihre Freizeit opferten und ihre ganze Kraft. Doch wie lange reicht die Kraft noch?

"Solange Bedarf da ist, werden wir hier bleiben", sagt Marina Lessig bestimmt. Die 26-jährige Münchnerin sitzt in einem Linienbus, der seit vergangenem Mittwoch das Lagezentrum der freiwilligen Helfer ist, ihre Augen wirken müde. Seit fast zwei Wochen ist Marina Lessig im Einsatz, so wie viele der Ehrenamtlichen, die nach der Arbeit vorbeischauen, um zu helfen; die sich Urlaub genommen oder Überstunden abgebaut haben; die noch Schulferien haben oder schon in Rente sind. Doch am Dienstag beginnt wieder die Schule, und viele haben keinen Urlaub mehr. "Wir müssen nun schauen, wer bleibt", sagt Lessig.

Sie ist selbständig, da kann sie sich die Zeit besser einteilen. Aber was ist mit all den anderen Helfern? Drei- bis viertausend waren es in den vergangenen zwei Wochen, die einfach mit angepackt haben, wo Hilfe am nötigsten war. Doch jetzt könnte bald der Zeitpunkt kommen, dass die Helfer sich zurückziehen. Spätestens am Wochenende, wenn das Oktoberfest beginnt, werden sie wohl die Arbeit zumindest am Hauptbahnhof weitgehend einstellen.

"Was die Menschen geleistet haben, ist herzzerreißend"

Nicht nur die Ehrenamtlichen befürchten, dass mit den Millionen Wiesnbesuchern, die bis Anfang Oktober nach München kommen, die Situation am Hauptbahnhof kritisch werden könnte. Zwar ist der Starnberger Flügelbahnhof zumindest in der Ankunftshalle seit zwei Wochen für Passanten und Fahrgäste gesperrt, und die Polizei sichert den Bereich davor bis zur Haupthalle mit Absperrgittern und Flatterbändern. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass betrunkene Wiesnbesucher Helfer im Bahnhof anpöbeln oder gar handgreiflich werden. "Es ist wichtig, dass die Ehrenamtlichen geschützt sind", sagt Marina Lessig. Hauptamtliche sollen deshalb laut Lessig die dort aufgebauten Strukturen weitgehend übernehmen.

Woher die vielen hauptamtlichen Helfer kommen sollen, die die Freiwilligen ablösen könnten, ist noch unklar. Auch Politiker, Regierungsbeamte und Polizisten betonen seit zwei Wochen immer wieder, wie wichtig die Arbeit der Ehrenamtlichen ist. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller hat die Helfer besucht, Sozialreferentin Brigitte Meier reiste aus dem Urlaub vom Flughafen mitsamt Koffer direkt zum Hauptbahnhof, um den Helfern zu danken, erzählt Lessig. "Was die Menschen in den letzten Tagen geleistet haben, ist herzzerreißend", sagte Meier nach ihrer Ankunft in München. "Das hätten wir hauptamtlich niemals so schnell leisten können." Allerdings betont die Sozialreferentin auch, dass "die Ehrenamtsstrukturen zunehmend an ihre Grenzen stoßen".

1500 Freiwillige

Die Hilfsbereitschaft der Münchner ist auch nach zwei Wochen ungebrochen. In der Nacht zum Sonntag brachten Hunderte Menschen Isomatten und Schlafsäcke zum Infobus vor dem Elisenhof, nachdem der Helferkreis den Spendenaufruf für die Nacht verbreitet hatte. Die meisten Spender informieren sich mittlerweile auf der offiziellen Homepage www.fluechtlingshilfemuenchen.de und bringen "passgenau die Sachen, die wir brauchen", wie ein Helfer sagt. Am Samstag kamen im Minutentakt Menschen auf Fahrrädern, zu Fuß und mit Autos und brachten auch neu gekaufte Decken, abgepackte Lebensmittel und Wasserflaschen. In den ersten Tagen gaben viele Menschen dagegen auch schmutzige Kleidung, unbrauchbares Spielzeug und einzelne Schuhe ab, die weggeworfen werden mussten. Die Hilfsbereitschaft ist so groß, dass die Kleidersammlung der Diakonia keine Spenden mehr annehmen kann. Auch Helfer, die eine Vierstundenschicht übernehmen wollen, werden immer wieder auch kurzfristig gebraucht. Allein am Samstag waren 1500 Freiwillige im Einsatz. Allerdings funktioniert die Organisation nicht immer reibungslos. Vor der Notunterkunft in Dornach standen schon Dutzende, die sich in Listen eingetragen hatten, und wurden dann doch nicht gebraucht. anl

Das beginnt schon in Sicherheitsfragen. Erst seit einigen Tagen tragen die Helfer Mundschutz und Gummihandschuhe, davor verteilten viele mit bloßen Händen Lebensmittel und Kleidung an Flüchtlinge, Krankheitserreger konnten so theoretisch tausendfach weitergegeben werden. Auch einheitliche violette Westen sind nun ausgegeben worden, "die gibt es nirgends zu kaufen", sagt eine Helferin. Die Westen werden gut gehütet und immer von Helfer zu Helfer direkt weitergegeben. Es gab bereits Gerüchte, dass sich Leute mit Warnwesten unter die Ehrenamtlichen geschmuggelt haben, die die Ankommenden angesprochen haben, um sie weiter zu schleusen oder sie abtauchen zu lassen. Gerüchte vielleicht, aber Sicherheit geht vor.

Auch die Polizisten spannen die Helfer ein

An die Grenzen stoßen auch längst die Hauptamtlichen. Immer wieder kommt es vor, dass Polizeibeamte die Helfer bitten, die Absperrgitter am Hauptbahnhof mit zu sichern, weil sie selbst zu wenige sind. In der Nacht zum Samstag begleiteten Dutzende Helfer 300 Flüchtlinge zu Fuß in eine nahe gelegene Notunterkunft, weil keine Busse zur Verfügung stehen. Vorneweg ein Polizeiwagen mit Blaulicht, dahinter erschöpfte junge Männer und Ehrenamtliche. "Wir haben versucht, uns so aufzuteilen, dass wir den Strom von den rund 300 Menschen rechts und links flankieren", erzählt eine Helferin.

An einem Telefonladen wollten 30 Flüchtlinge Sim-Karten kaufen und scherten aus dem Zug aus. Die Polizei ließ die Männer gewähren, ein Helfer blieb als Begleiter bei den Flüchtlingen zurück, während der Zug weiterzog. Solche Situationen sehen die Verantwortlichen im Organisationsteam der Ehrenamtlichen eigentlich nicht gern. "Es muss klar sein, dass es Aufgaben gibt, die staatlich sind", sagt Colin Turner. Dazu zählen für ihn eindeutig Polizeiaufgaben.

Lob vom Oberbürgermeister

Seit einigen Tagen übernehmen caritative, städtische und staatliche Einrichtungen immer mehr Arbeit, die davor von den Freiwilligen geleistet wurde. Das Essen für die ankommenden Flüchtlinge liefert nun die Regierung von Oberbayern zum Hauptbahnhof, das Sozialreferat betreut seit Mitte der vergangenen Woche die Helfer psychologisch und auch logistisch. Der Infobus, der vor dem Elisenhof parkt und als Einsatzzentrale der Helfer dient, ist vom Sozialreferat organisiert worden, damit im Empfangsbereich für Flüchtlinge mehr Platz ist und sich die Helfer dort nicht auf die Füße treten.

Den Ehrenamtlichen ist durchaus klar, dass sie die Ersthilfe für Flüchtlinge nicht auf Dauer leisten können, auch wenn Oberbürgermeister Dieter Reiter immer wieder die "unglaubliche Leistung" der Helfer lobt. "Es ist schon eine hohe psychische und physische Belastung", sagt Marina Lessig. "Am Ende des Tages wundern sich immer wieder alle, dass es geklappt hat."

Flüchtlinge in München

Gespendete Isomatten vor dem Elisenhof.

(Foto: Catherina Hess)
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