Dieter Hildebrandt im Interview:"Ich kann doch auch nichts dafür"

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Abgang wie Köhler? Für Dieter Hildebrandt keine Option. Ein Gespräch über Politiker-Rücktritte, sein neues Soloprogramm und das Sicherheitskonzept der Lach- und Schießgesellschaft.

O. Hochkeppel

Ruhig ist es um Dieter Hildebrandt auch nach seinem Abgang beim Scheibenwischer vor sieben Jahren nicht geworden. Schon alleine dank der vielen Lesungen aus seinen Büchern. Dennoch waren selbst die Lach- und Schieß-Macher um Till Hoffmann überrascht, als Dieter Hildebrandt nun anfragte, ob er bei ihnen ein Kabarett-Solo spielen dürfe. Natürlich darf er: "Ich kann doch auch nichts dafür" heißt es nun also vom nächsten Dienstag bis Samstag, 24. bis 28. August. Eine Premiere des Grandseigneurs des deutschen Kabaretts. Grund genug für Oliver Hochkeppel nachzufragen.

Soloauftritt eines Ensemble-Liebhabers: Ab dem 24. August steht Dieter Hildebrandt in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft auf der Bühne. (Foto: Claus Schunk)

SZ: Ein Kabarett-Solo von Ihnen, dem Lach-und-Schieß-Mitglied, dem Partner von Werner Schneyder und dem Scheibenwischer-Anführer, das ist überraschend. Haben Sie überhaupt je solo gespielt?

Dieter Hildebrandt: Ich habe das Ensemble immer mehr geliebt als das Solizieren. Aber seinerzeit entwickelte ich einen neuen Stil - weil ich ein Buch geschrieben hatte. 1987 war das schon. Da sagten die Buchhändler, sie hätten es gerne, wenn ich es vorläse. So gab es die ersten Veranstaltungen. Dabei hat sich herausgestellt, dass das bei mir so eine Mischform ergibt zwischen Lesen und Spielen. Und die kam bei den Leuten gut an. Deshalb kamen bald die kleinen Kabarett-Theater, dann die größeren Theater, es waren auch mal richtig große Säle dabei, so wie heute bei Axel Hacke. Und jetzt geht der Stil auch mal ohne Buch.

SZ: Also doch eine verkappte Lesung?

Hildebrandt: Ich habe tatsächlich ein Buch schreiben wollen. Der Titel, der mir so aus dem Maul gefallen war, lautete Mit 90 in die Kurve. Nach etwa einem halben Jahr, als wir schon alles geplant hatten, kam der Lektor und sagte: "Du, ich habe gerade gelesen, ein Kollege von dir macht ein Programm Mit 70 in die Kurve". Da sagte ich, wie soll ich nachweisen, dass ich den Titel früher hatte. Also gut, wenn er (Helmut Ruge, d. Red.) das schon mit 70 gefährlich findet, dann ziehe ich zurück.

SZ: Aber daran das Buch scheitern zu lassen - hätten Sie denn nicht einfach einen neuen Titel nehmen können?

Hildebrandt: Ich war durch die Entwicklung auf dem Buchmarkt etwas widerspenstig geworden. Ich beschloss, ich schreib' kein Buch. Sondern mache stattdessen die eine Hälfte, die ich in den Lesungen immer aktuell gestaltet habe, jetzt auf zwei Hälften. Und das ist nichts anderes als ein Soloprogramm.

SZ: Also eine Lesung ohne den Leseteil.

Hildebrandt: Wobei ich schon Leseteile einführe. So als gäbe es das Buch.

SZ: Es wäre Ihr neuntes Buch geworden. Biographisches hätten Sie da wohl nicht mehr abarbeiten müssen.

Hildebrandt: Der Vorwurf, den ich mir immer selber machte und von dem ich mich wundere, dass ihn mir niemand anderes machte, lautet ja, dass ich jedes Mal, wenn ich ein Buch schreibe, dasselbe Buch schreibe. Als fleißiger Leser habe ich aber festgestellt, dass das fast jeder Autor macht. John Irving zum Beispiel schreibt immer dasselbe Buch.

SZ: Wenn man mal ein Thema gefunden hat, lockt die Variation.

Hildebrandt: Richtig. Wobei sich mein Thema eigentlich gar nicht wiederholt, weil es immer die gegenwärtige Lage ist. Ich mache das auch bei diesem Programm so, dass ich zum Tage bereit bin.

SZ: Hat Sie irgendetwas Konkretes auf die Kabarettbühne gedrängt?

Hildebrandt: Dass es mich auf die Bühne drängt, das hat schon seine Richtigkeit. Ich habe mich mal vor vielen Jahren hinaufgedrängt. Denn anders kommt man nicht rauf, wenn man nicht den legalen Weg des Schauspielers gelernt hat. Also stellt man sich auf eine Bühne und behauptet, man wäre jemand, der dafür eine Legitimation hat. Der Beruf des Kabarettisten ist ja ungeschützt. Da könnte einer von der Politik abtreten und sofort Kabarett machen.

SZ: Politiker hätten ja wenigstens eine einschlägige Ausbildung.

Hildebrandt: Beides ist sehr ähnlich, ja. Wie auch der Beruf des Pastors, der dem des Kabarettisten am nächsten kommt. Wenn ein Kabarettist allerdings pastoral wird, wird er unangenehm, und umgekehrt ebenso. Und ich habe mir auch schon vorgestellt, Lehrer zu werden. Bei der heute geforderten Qualität würde ich sie vermutlich trotz meines Kriegsabiturs für zwei Fächer erfüllen: Geschichte und Deutsch. Ich könnte dank meiner erzählerischen Fähigkeit die Schüler eventuell ablenken. Und den Beruf des Politikers könnte ich ohnehin ausüben.

SZ: Hat sich der Typus nicht stark in Richtung Funktionär verändert? Wären Sie da elastisch genug?

Hildebrandt: Es gibt immer noch Spaßpolitiker. Ich wäre dann halt einer von den ganz wenigen, der sich als Original wohl fühlt. Und als jemand, der sich der Rhetorik widmet und nicht nur der Tatsache, dass er den Job hat. Ein gelernter Politiker wird schnell von der Karriere abhängig, die man mit ihm macht oder nicht. Das wäre bei mir anders. Ich nähme, wenn es sein müsste, morgen den Hut, um ihn an den Nagel zu hängen.

SZ: Was bei den Politikern derzeit in Mode zu geraten scheint.

Hildebrandt: Ja, aber nicht zu Recht. Diese Leute, die hier ihren Hut genommen haben, denen man nachsagt, sie seien amtsmüde, möchte ich doch daran erinnern, dass man sie mal gewählt hat. Und dass ich als Wähler beleidigt bin, wenn jemand zurücktritt, der mich gefragt hat und dem ich per Kreuz Ja gesagt habe. Da müsste er mich beim Abtreten wieder fragen. Eine Amtszeit durchhalten, das möchte man noch erwarten dürfen.

SZ: Vor allem, da es doch meist ins gemachte Nest der Wirtschaft geht.

Hildebrandt: Aus Politiker-Wahlreden sprießt ja meist ein gewisser Neid auf die, die wesentlich mehr verdienen als sie. Das haben sie jetzt so verinnerlicht, dass sie sagen, das will ich jetzt auch verdienen.

SZ: Zurück zum Programm. Worum geht's?

Hildebrandt: Es geht darum, dass die Verantwortlichkeit für jeden abhanden gekommen ist. Den Titel habe ich von einem Eindruck, den ich aufgenommen habe, als ich auf dem Flughafen festsaß. Ich merkte, es ist Unruhe, die Flugzeuge gehen alle nicht. Da setzte ich mich neben die Beschwichtigungstheke und wenn Geschäftsleute erregt nachfragten, kam dann der Spruch: "Ich kann doch auch nichts dafür." Da hab' ich mir gesagt, das ist der Titel, so ist es. Überall, wo man hinkommt, kann der auch nichts dafür. Wenn man ihn überhaupt zu fassen bekommt. Denn anrufen kann man schon gar nicht mehr. Alle verstecken sich hinter der Technik, die sie selbst geschaffen haben. Wenn man seine eigene Bank anruft, von der man vielleicht hundert Meter entfernt ist und in der man seine eigene Bearbeiterin durchs Fenster sehen kann, wird man nach Düsseldorf umgeleitet, und dort sagt eine Dame, die Dame im Fenster stünde leider nicht zur Verfügung. Das ist das Prinzip, das ich meine. Das heißt, die Dame, die in Düsseldorf verleugnet wird, kann nichts dafür. Aber die in Düsseldorf noch weniger, denn die kennt die andere nicht einmal. Und mich auch nicht. Niemand kennt keinen.

SZ: Das hat ja, nimmt man die Loveparade, geradezu tragische Aktualität.

Hildebrandt: Ich stelle mir immer vor, die glauben, dass man selbst gar nicht mehr nachdenkt. Ich kann zwar auch nichts dafür, mache mir aber meine Gedanken. Und der Gedanke ist, wenn so eine kleine Stadt, ich glaube 300.000 Einwohner, ein großes Fest vorhat und das von einer großen Stadt nimmt, die vier Millionen Einwohner hat und große, weite Flächen, dann müssen doch vorher Leute zusammengetreten sein, um mit dem Veranstalter die Sicherheitsbestimmungen zu besprechen. Ich weiß noch genau, wenn in der Lach- und Schießgesellschaft der Mann kam, der die Sicherheitsbestimmungen zu überprüfen hatte, haben wir alle gezittert. Wir hatten einen Notausgang zu wenig, für 130 Menschen. Es war ganz schwierig, und der war ganz streng. Am liebsten hätten sie die Stühle in Wassereimer gestellt, damit die Feuerschutzbestimmungen eingehalten werden. Hier wird ein Fest gemacht für eine Million Menschen, und die Veranstalter wissen nicht einmal, wie die rein- und rauskommen. Und jetzt behauptet jeder, er wäre nicht schuld. Das kann ich nicht verstehen.

SZ: Es wird immer schwerer, an die Verantwortlichen ranzukommen.

Hildebrandt: Ja. Einmal wollte ich bei einem Versagen der Lufthansa der Sache auf den Grund gehen. Vier Instanzen habe ich aufgesucht im Flughafen Erding, bis mir jemand erklärte, ich hätte vollkommen recht, nur wäre ich falsch. Verantwortlich wäre nicht die Lufthansa, sondern die Flughafengesellschaft. Ich hätte also von vorne anfangen müssen. Das ist das Thema des Programms, und das geht natürlich bis in die politischen Ebenen hinein. Wenn man eine Telefonnummer bekommen hat, trifft man darunter nie jemanden, der behauptet hat, er könne angerufen werden.

SZ: Wie lange haben Sie daran gearbeitet?

Hildebrandt: Ich habe mir drei Monate Zeit genommen, eine Reha mit mir angestellt. Ich habe entschieden, mich vom Alkohol abzuwenden. Ich hatte keine Lust mehr, mich der Gnade meines Körpers auszuliefern, ich will noch ein bisschen mitspielen. Dadurch, dass ich mal in fröhlicher Naivität verkündet habe, dass ich Alkohol mag, wurde ich ein bisschen durch die Presse gezogen. Deshalb dachte ich mir, ich sage auch offen, dass ich jetzt aufhöre.

SZ: Premiere im August, ist das nicht ein bisschen im Sommerloch versteckt?

Hildebrandt: Nein, ich muss das machen, weil ich Anfang September schon die ersten Verpflichtungen im Ruhrgebiet habe. Und ich will es hier in meinem kleinen Laden ausprobieren.

SZ: Es müsste voll werden.

Hildebrandt: Ja, bei meinen etwa 30 Abenden pro Jahr in der Lach- und Schieß ist es immer voll.

SZ: So oft spielen Sie da noch?

Hildebrandt: Ja, das merkt immer keiner. Aber das Publikum weiß es, das ist wichtig.

SZ: Die Presse ist halt auf Premieren fixiert.

Hildebrandt: Und es ist seit Bohlen alles ein einziges Casting. Die fertige Leistung ist halb so interessant, weil das Casting das Versagen zur Komik macht. Diese Schadenfreude ist wesentlich wichtiger.

SZ: Sie liefern aber weiter fertige Leistung.

Hildebrandt: Auch so eine Sache. Man fragt mich immer: "Warum hörst du nicht auf? Kannst du dir das nicht leisten?" Das vielleicht schon, aber ich kann es mir nicht leisten, die Leute zu enttäuschen, die sagen: "Du warst doch dieses Jahr noch nicht da. Warum kommst du denn nicht?" Dann komme ich hin, und es kommen andere und sagen: "Zu allen anderen gehen Sie, nur zu mir nicht." Deswegen wird es nicht weniger. Außerdem: Ich trete ja von nichts zurück. Ich habe kein Amt, keinen Auftrag, keine Mission. Ich kann mir also leisten aufzutreten, sofern noch Leute kommen.

SZ: Von Altersmilde kann bei Ihnen auch keine Rede sein, oder?

Hildebrandt: Ich werde eher angriffslustiger. Weil man in die Enge getrieben wird, durch die politische Richtung, die grundsätzlich anders ist, als man es sich einst vorgestellt hatte. Das heißt, es geht abwärts. Das System dieser Demokratie, wie man sie sich mal vorgestellt hat, hat arg Schaden genommen. Und die bedrohlichen Entwicklungen unkommentiert zu lassen, dafür habe ich noch nicht zu wenig Temperament.

© SZ vom 17.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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