KZ-Überlebender Martin Löwenberg:Ein Mann, der sich nicht brechen lässt

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Martin Löwenberg hat Adolf Hitler und das KZ überlebt. Seitdem ist er immer dort, wo Nazis marschieren. Einmal wurde der Münchner Kommunist deswegen verurteilt, doch aufgehört hat er bis heute nicht.

Bernd Kastner

Unnahbar wirkt er, von der Ferne und auf den vielen Fotos. Sieht man ihn reden gegen das Unrecht auf der Welt, oben, auf der Bühne, zieht der Schnauzbart die Mundwinkel nach unten. Man könnte ihn für einen mürrischen alten Mann halten, der gefangen ist in seiner Ideologie.

Martin Löwenberg: Der Mann hat Hitler und das KZ überlebt, ohne sich brechen zu lassen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Doch dann steht da, am Ende einer langen Einfahrt, auf den Eingangsstufen zum Altenheim dieser Martin Löwenberg, gestützt auf eine Gehhilfe. Das Haar ist weiß und dünn wie auf den Fotos, aber der Schnurrbart - der Schnurrbart lächelt. Und es spricht eine Stimme, bedächtig und leise, vor allem aber warm. Später, auf der Eckbank unten im Stüberl des Altenheims in Giesing, wenn Martin Löwenberg zuerst mit dem Unbill des Alters hadert und dann Stationen seines Lebens skizziert, wenn er vom KZ erzählt, von den neuen Nazis und von seiner Josephine, kommt einem plötzlich dieser Gedanke: Da ist es, das menschliche Antlitz, das der Idee gefehlt hat.

Martin Löwenberg war Kommunist und ist Kommunist. Kommunist ist für viele kein schönes Wort, es klingt nach drüben und Unrecht und Eingesperrtsein, aber Löwenberg steht für die Idee einer gerechten, gewaltfreien Gesellschaft im Kern des Kommunismus.

87 wird er in ein paar Tagen, und es ist das Alter, das ihm Sorgen macht. Er will doch immer präsent sein an den großen Tagen, am 1. Mai zum Beispiel. Am vergangenen Sonntag hat er die Feier zur Befreiung des KZ Dachau besucht, da war er glücklich. Und auch künftig will er in Schulen gehen, will der Jugend von der dunklen Zeit berichten als einer der letzten, der das noch kann. "Am meisten tut mir weh, wenn ich einen Termin nicht einhalten kann." Neulich musste er einen Besuch in Berlin absagen, wo sie einen Platz nach seinem Bruder benannt haben, auch er sein Lebtag ein Antifaschist.

1925 wurde Martin Löwenberg in Breslau in eine sozialdemokratische Familie hineingeboren. Sein Vater, ein Jude, starb früh, seine Mutter bewahrte den sportbegeisterten Sohn davor, sich von der Hitlerjugend einfangen zu lassen. Martin liebte das Boxen, seine Schlaghand war die Linke. Sein älterer Bruder Fred animierte ihn, nicht nur mit den Fäusten zu kämpfen, sondern auch politisch. Gemeinsam und heimlich gaben sie Fremdarbeitern Brot und Zigaretten. Martin Löwenberg wurde erwischt und 1944 im KZ Flossenbürg inhaftiert. Später musste er in Außenlagern und unterirdischen Rüstungsbetrieben Zwangsarbeit leisten. Bruder Fred wurde wegen "Rassenschande" verhaftet, seine Freundin war eine "Arierin".

Der Antifaschismus wurde zu Löwenbergs Berufung nach dem Krieg; er hat das "Nie wieder!" verinnerlicht wie nicht viele. Er gründete die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes mit, die SPD und den Gewerkschaftsbund. 1947 ging er nach Bayern, seine Mutter hatte es ins Oberland verschlagen, dann zog er, der Arbeit wegen, nach München. Der gelernte Sattler wurde später Betriebsratschef beim Nähmaschinenhersteller Pfaff.

Im Kampf gegen die Wiederbewaffnung trat er der SDA, der Sozialdemokratischen Aktion bei, was der SPD nicht passte, galt die SDA doch vielen als kommunistische Tarnorganisation, gepäppelt von der DDR. Die SPD schloss Löwenberg aus, da verstand sie keinen Spaß, und die junge Bundesrepublik erst recht nicht. Löwenberg wurde 1958 und 1961 verurteilt, saß je zehn Monate im Gefängnis als Feind der Demokratie. "Nach keiner Verhaftung bin ich unpolitisch geworden", sagt er. Er trat der verbotenen KPD bei, war im Untergrund aktiv, und als er nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings aus Protest die Partei verließ, gab er den Glauben an die Idee nicht auf.

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Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Etwa 7000 Menschen befanden sich noch in dem Lager - für immer gezeichnet von den Gräueltaten der Nazis. Bilder von damals und heute.

Später, in den Achtzigern, trat er den Grünen bei, doch als die später zu weit nach rechts rückten, aus seiner Perspektive, verließ er sie. Konsequenz, wie Löwenberg sie versteht. Den Kontakt zu den Menschen innerhalb der linken Bewegung aber hat er immer gehalten. So wurde er zu einer Integrationsfigur, auch weit über die Szene hinaus achten sie ihn: Charlotte Knobloch würdigte ihn, die Stadt München zeichnete ihn mit der Medaille "München leuchtet" aus und die Liga für Menschenrechte verlieh ihm die Carl-von-Ossietzky-Medaille.

Löwenberg hat sich vorgenommen, immer dort zu sein, wo Nazis marschieren. Diesem Vorsatz ist er treu geblieben. Das hat ihm zu gewisser Prominenz verholfen, auch deshalb, weil er dafür 2003 verurteilt wurde: Er hatte öffentlich dazu aufgerufen, sich den Neonazis in den Weg zu stellen, einem Marsch, den der später als Terrorist verurteilte Martin Wiese angemeldet hatte. Martin Löwenberg könnte jetzt schimpfen auf einen Staat, der sich gegenüber NS-Opfern nicht zu benehmen weiß. Aber er strahlt und sagt: "Da habe ich mich sehr gefreut." Diese Solidarität mit ihm nach dem Urteil und die vielen Spenden an ihn, um die Strafe auszugleichen.

Der Staat hat sich keinen Gefallen getan mit diesem Verfahren. "Der Angeklagte", so steht im Urteil, und es klingt wie Hohn, "hatte für sein Verhalten weder einen rechtfertigenden Grund noch einen entschuldigenden Anlass." Und die Münchner Polizei hat sich gar zum Gespött gemacht mit ihrer Schlampigkeit, weil sie in den Akten Löwenberg als "Kfz-Häftling" bezeichnete. Dieter Hildebrandt hat diese Passage in seine letzte Scheibenwischer-Sendung eingebaut.

Zu sehen ist diese Szene in dem Film, der an diesem Freitag auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival läuft: "Es kann legitim sein, was nicht legal ist", lautet der Titel, der die Maxime seines Protagonisten auf den Punkt bringt. Petra Gerschner und Michael Backmund haben Löwenberg über Jahre mit der Kamera begleitet.

Martin Löwenberg will ins Kino kommen am Freitag, wehe, die Gesundheit macht nicht mit, und am 11. Mai zur Gedenkfeier für einen Freund. Es wird dann genau 60 Jahre her sein, dass Philipp Müller tot ist, erschossen in Essen bei einer Demonstration von Zehntausenden gegen die Remilitarisierung. Löwenberg war auch dabei. Nie wird er vergessen, wie er der Mutter und der Ehefrau die Todesnachricht überbrachte. Fips war 21 und kurz zuvor Vater geworden. Das hat den jungen Löwenberg nur weiter bestärkt in seinem Ziel, gegen Gewalt und Krieg zu kämpfen. Müller war der erste Demonstrant, der in der Bundesrepublik durch Polizeigewalt zu Tode kam. In der DDR wurde er zum Helden, in Aubing begraben - und in der Bundesrepublik vergessen. Ein Kommunist eben.

Wie Martin Löwenberg. Auch er hat verloren, könnte man meinen, weil er immer am linken Rand stand und sein Traum vom Sozialismus so schnell nicht wahr werden wird. Dabei wäre er ja schon glücklich, wenn die Bundesrepublik nicht allzu oft vergessen würde, was ihre Gründer über die Würde des Menschen in das Grundgesetz geschrieben haben. Für Martin Löwenberg wird diese Würde allzu oft angetastet.

Ein Verlierer also? Nein, im Stüberl des Altenheims sitzt ein Gewinner. Der Mann hat Hitler und das KZ überlebt, ohne sich brechen zu lassen. Er hat mitgeholfen, dass die neuen Nazis nicht hoch gekommen sind. Bei all dem ist er warmherzig geblieben, man spürt es, wenn man ihm näher kommt. Mitstreiter berichten von einem heiteren Mann voller Witz, als wäre der nach unten wachsende Schnauzbart eine Tarnung. Brummbär hat ihn seine Frau genannt.

58 Jahre lang hatte Martin Löwenberg Josephine an seiner Seite. "Sie war eine gute Frau." Er muss nicht viele Worte machen. Sie waren füreinander da, als er eingesperrt war und die junge Mutter die Tochter versorgt hat. Sie verstand ihn, denn sie war auch Kommunistin. "Sie hat mich gebremst, wenn ich ohne Kopf durch die Wand wollte." Zuletzt hat er sie gepflegt und ist, als es nicht mehr anders ging, mit ihr ins Altenheim gezogen. Vergangenes Jahr ist sie gestorben. Er ist traurig, aber er lächelt, und sein Schnauzbart lächelt mit. "Sie fehlt mir schon sehr, mein Weiberl."

Der Film über Martin Löwenberg läuft am Freitag, 4. Mai, 19.30 Uhr beim Dokumentarfilmfestival im Atelier Kino, Sonnenstraße 12, München.

© SZ vom 02.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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