Kunst:Den Hintergrund erhellen

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In seiner Herbstausstellung zeigt der Kunstkreis erstmals Werke von Studenten - aus der Akademieklasse von Jorinde Voigt

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Ob die Welt als einziges Chaos erscheint oder beschaulich und kontemplativ wahrgenommen wird, ist eine Frage des Blickwinkels. Kommt der Betrachter den Bildern von Nil Braeg ganz nah, hat er ein verschlungenes Liniennetz vor Augen. Entfernt er sich, verschwimmen die Linien zu einer monochromen Farbfläche, strahlen in ihrer Farbintensität große Ruhe aus. Braeg, Jahrgang 1990, ist einer von sechs Diplomstudenten der Münchner Kunstakademie, die von diesem Freitag an in der Herbstausstellung des Gräfelfinger Kunstkreises im Alten Rathaus Einblicke in ihre Arbeitsweise geben. Den Kunstkreis-Organisatorinnen ist mal wieder ein großer Wurf gelungen: Die Nachwuchskünstler besuchen die Klasse für Malerei und konzeptuelle Zeichnung von Jorinde Voigt, einer international angesehenen Künstlerin.

Es ist das erste Mal, dass der Kunstkreis Arbeiten von Studenten zeigt. Diesmal stand nicht ein übergreifendes Thema fest, zu dem sich verschiedene Künstler bewerben konnten, sondern die von Jorinde Voigt ausgewählten Studenten geben den Takt vor, erklärt Cornelia von Detten, die die Ausstellung organisiert hat. "Hintergrundstrahlung" ist der Titel, den sich die Studenten ausgedacht haben. Ein Titel, der alles möglich macht und in dem alles steckt, was diese Ausstellung ausmacht: Nicht die vordergründig sichtbaren Arbeiten allein machen das jeweilige Werk aus, erst über den Kontext, in dem die Arbeiten entstanden sind, und das Verständnis um die konzeptuelle Herangehensweise erschließt sich die ganze Bedeutung. In dieser Hinsicht stehen die Studenten ganz in der Tradition ihrer Lehrmeisterin.

Nil Braeg arbeitet mit Fotos, Computer und Kopierstempel. (Foto: Catherina Hess)

Das Wissen um die Entstehungsgeschichte der Werke von Nil Braeg macht seine Bilder noch spannender: Zugrunde liegen den Bildern Fotografien, die er von Räumen gemacht hat, in denen er sich im Alltag bewegt - die Kunstakademie, die U-Bahn-Station. Am Computer legt er die Bilder wie Kacheln nebeneinander und zieht mit dem Kopierstempel - einem Werkzeug des Bildbearbeitungsprogramms - von Raum zu Raum und hinterlässt dabei Linien als Spuren. So überlagern sich Bildelemente, einzelne Bereiche werden vervielfältigt, so lange, bis eine einzige große Zeichnung daraus entstanden ist. Monatelang arbeitet er an einem Bild. Die Arbeitsweise spiegelt seine Empfindungen: Der Alltag ist voll, laut, hektisch, so wie die nahe Betrachtung der Bilder es visualisiert. Zuhause, in der Ruhe, lässt sich abschalten, mit Abstand sortieren sich die Dinge, nichts muss mehr kontrolliert werden. Die Bilder erscheinen aus der Ferne wie ein Nachthimmel, wie das Meer.

Auch Tamy Plank gibt Einblicke in ihre Gedankenwelt. Sie malt zart farbige Ringe wie Jahresringe eines Baumes, einmal auf Papier, dann auf Stoff und experimentiert auch in einer dreidimensionalen Arbeit mit ihrer Wirkung. Ausgangspunkt ist immer eine konkrete Wahrnehmung: ein pinkfarbenes Blütenblatt vor einer Hotelfassade in Bangkok etwa, um das sich die Ringe wie Erinnerungen legen, wie vergangene Zeit. Die Pinselstärke und die Farben wählt sie nach dem Losprinzip aus.

Ringe und Linien: Die Akademiestudentin Tamy Plank experimentiert mit der Dreidimensionalität. (Foto: Catherina Hess)

Zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung bewegt sich das Spannungsfeld der gezeigten Arbeiten und gibt dabei Einblicke, wie eine neue Generation von Künstlern arbeitet, sagt von Detten. Ein Phänomen wird von vielen Perspektiven aus betrachtet und mit unterschiedlichen Arbeitsweisen und Materialien erschlossen. Dafür stehen ganz besonders die Arbeiten von Martina Marini Misterioso, die sich mit dem Thema Haus beschäftigt. Da ist aus einer alten Hausisolierung ein dreidimensionales, kupferfarbenes Wandbild entstanden, in einer anderen Arbeit setzt sie in filigranen Linien schematisch kleinste Häuschen wie auf einem Musterbogen nebeneinander. Sophie Frieling beschäftigt sich mit dem Thema "Badende" und hält Zustände von Aktivität und Passivität fest - zeichnerisch, aber auch in einer Marmorplastik.

Besucher der Ausstellung sind diesmal mehr gefordert denn je, sich mit den verschiedenen Darstellungskonzepten auseinanderzusetzen. Allein durch das Betrachten wird die ein oder andere Arbeit eher fremd und sperrig bleiben. So kann man an den Schriftzügen "Gesamtsituation" oder "Der kleine Unterschied" von Anina Stolz im Außenbereich und auf der Kunstplattform vor dem Rathaus einfach vorbeigehen oder sich irritieren lassen und hinterfragen. Man kann auch die Künstler ansprechen und dem Titel gemäß sich von ihnen den Hintergrund erstrahlen lassen. Nil Braeg wünscht sich das sogar. Während der Öffnungszeiten werden die Studenten anwesend sein.

Die Ausstellung (Bahnhofstraße 6) ist bis 26. November zu sehen, Freitag, Samstag und Sonntag von 15 bis 18 Uhr. An den Sonntagen, 12. und 26. November, findet um 16.30 Uhr eine Führung statt.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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