Kultur:Heiße Erde

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Der nigerianische Karikaturist Tayo Fatunla zeigt in seinen vielfach ausgezeichneten Arbeiten die afrikanische Perspektive auf die Welt. (Foto: OH)

Politische Karikaturen aus Afrika

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Aus den geöffneten Türen eines roten Zuges hüpfen lauter fröhliche Menschen. Sie haben Koffer, Taschen und Babys dabei. Voller Wohlwollen blickt der Lokführer auf das heitere Bahnhofsgeschehen. Im rechten Bildvordergrund wartet ein Pulk, der die Ankommenden euphorisch klatschend, Herzchentafeln schwenkend begrüßt. Ja, so war das wohl damals, als sich alle Welt die Augen rieb über die Willkommenskultur, München 2015.

Das südafrikanischen Cartoonisten-Duo Jack Swanepoel und John Curtis, kurz Dr. Jack & Curtis, kommentiert dieses deutsche Sommermärchen, indem es diese Szene in der oberen Bildhälfte ziemlich drastisch spiegelt. Wieder ein Zug, Güterwaggons, Männer mit Hakenkreuzbinden am Arm und Gewehren über der Schulter sind gerade dabei, die Türen krachend zuzuschieben. Beinahe glaubt man, ihre harschen Kommandos zu hören. Noch ein letzter Blick also auf die grauen Gestalten im Inneren der Waggons, denen die nackte Angst im Gesicht steht, denn die Lok, schnaubend und dampfend, ist schon abfahrbereit. Im Führerstand, lässig aus dem Fenster lehnend, der Tod selbst. München 1935.

"Fortress Europe" - Festung Europa steht als Titel auf der Tafel, die neben der Zeichnung von Dr. Jack& Curtis weitere Cartoons zeigt. Eine Arbeit von Victor Ndula beispielsweise: Ein Mann steht mit hochgekrempelten Anzughosen knöcheltief im Wasser, mit einem Handbesen fegt er kleine, in der See treibende Figuren wie Ameisen unter einen Teppich, der klar erkennbar die Umrisse des europäischen Kontinents hat. Victor Ndula, international bekannter Cartoonist und Chefredakteur der in Nairobi, Kenia, erscheinenden Tageszeitung The Star, ist der Kurator einer Ausstellung, die derzeit in der Pasinger Fabrik zu sehen ist.

Für Amnesty International hat Victor Ndula politische Karikaturen aus Afrika ausgewählt, die sich mit dem komplexen Thema Flucht befassen und in der Bar der Fabrik gezeigt werden. Cartoonisten wie der vielfach ausgezeichnete Nigerianer Tayo Fatunla oder Godfrey Mwampembwa (Gado), der regelmäßig für Le Monde oder die Washington Times zeichnet, sind unter den Künstlern. Sie liefern schonungslos komische, technisch brillant gezeichnete Kommentare zu den Fluchtursachen, zu den korrupten Regimes in ihren Ländern, zur arroganten Gleichgültigkeit Europas und der Welt. Einige der Arbeiten sind in Workshops entstanden, die Ndula mit Flüchtlingen aus Somalia und Südsudan in Camps im Norden Kenias organisierte.

"How can earth become hotter than hell...? lautet die konsternierte Frage, die sich der Tod stellt. Unter einem schwarzen Schirm sitzt der Sensenmann, die Knochenbeine in einem Trog Wasser, mitten in einer verdorrten Einöde und wedelt sich Kühlung zu. Die Zeichnung von Bill Oktuois (Casso) aus Kenia gehört in den zweiten Teil der Schau. Im Lichthof, wo das Fabrik-Publikum meist speist und trinkt, geht es um Hunger und Wassermangel, von dem die Menschen in den afrikanischen Staaten mehr als alle anderen betroffen sind, obwohl ihr Kontinent am wenigsten zum Klimawandel beiträgt.

Die Ausstellung zeigt Arbeiten von großer illustrativer Kraft und liefert einem europäischen Publikum Einblicke in die überaus lebendige afrikanische Karikaturisten-Szene, die so vielfältig ist wie die Länder des Kontinents, dabei transnational und kosmopolitisch. Es sind Künstler, die neue, digitale Wege zur Verbreitung ihrer Arbeiten nutzen, auch um als unbequeme Kommentatoren der politische Verhältnisse ihre unabhängige Stimme zu wahren. Jutta Czeguhn

Afrikanische Karikaturen, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, bis 3. Juni, Lichthof & Bar, täglich von 10 bis 23 Uhr, Eintritt frei

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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