Flüchtlinge:Im Land der Kontrolleure

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Noch kontrollwütiger als die Münchner sind nur die Regensburger. (Foto: dpa)

Im Englischen wird der Ausdruck "Kontrolle" für Apparate verwendet, wie etwa in "remote control". In Deutschland vor allem für Menschen, schreibt unser Kolumnist aus Nigeria.

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Ich will nichts dramatisieren, aber eines der deutschen Phänomene, mit denen ich mich wirklich schwer tue, ist der Kontrollzwang. Mir wird keine Affinität zu Kriminellen nachgesagt, eher, dass ich keinem Insekt etwas zuleide tun mag. Ich kenne die Gesetze in diesem Land und habe kein schlechtes Gewissen - und trotzdem: Wenn das Wort "Kontrolle" fällt, dann bekomme ich es immer noch mit der Angst zu tun.

Bevor ich nach Deutschland kam, habe ich mit dem Begriff nichts Beschwerliches verbunden. Im Englischen wird der Ausdruck "Kontrolle" für Apparate verwendet, mit einer "remote control" kann man über ein Fernsehgerät bestimmen. In Deutschland hat das Wort "Kontrolle" vor allem was mit Menschen zu tun. Es findet Verwendung, wenn mit Strafzetteln, Fahrverboten und Mahnbriefen durchgesetzt wird, dass niemand das System durcheinander bringt.

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Wer geflüchtet ist, bei dem ist ziemlich viel durcheinander geraten im Leben. Gar nicht so einfach, wenn man dann plötzlich mit all dieser Ordnung konfrontiert ist. Es ging im Auffanglager in der Münchner Bayernkaserne los, wo wir endlich in Sicherheit waren, und sogar einen Schlafplatz hatten. In den Zimmern mit den Pritschen war es still, ich schlief gut, kein Traum von Nigeria und den Männern mit den Macheten. Mitten in der Nacht klopfte es dann an die Tür, und sofort musste ich wieder an den Dezemberabend in meiner Heimatstadt Oyo denken, an mein aufgebrochenes Zimmer, die durchwühlten Rechercheunterlagen, die gestohlene Kamera. Ich bin sofort aufgesprungen und unter mein Bett gekrochen. "Zimmerkontrolle", sagten drei tiefe Männerstimmen, ich sah nur ihre Füße. Fast wie damals, nur dass diese Männer das Zimmer nicht heimlich durchwühlten, sondern offiziell. Und dass sie nicht nach Aufnahmen suchten, sondern nach Drogen und Waffen.

Noch kontrollwütiger als die Münchner sind nur die Regensburger. Dort erwartet einen beim Bundesamt für Migration eine Armee aus Beamten, die einen von oben bis unten filzt. Vor der entscheidenden Anhörung zu meinem Asylantrag musste ich dem Kontrolleur mein Parfüm aushändigen, dann sprach ich zwei Stunden über meine Fluchtgründe. Ich musste meinen Pass da lassen, so ist das, wenn man ihn mitbringt. Man bekommt ihn wieder, wenn das Ergebnis feststeht.

Seitdem liegt mein Pass in Regensburg. Die Deutschen bevorzugen es, Menschen zu überprüfen, statt ihnen zu vertrauen. Um das zu erkennen, muss man nur mal in einen Münchner Nachtclub gehen: In Nigeria wäre Kleidung oder Geruch der einzige Grund, den Zutritt zu verweigern, also bemühte ich mein Lieblingsparfüm und zog mein bestes Hemd und meine feinsten Schuhe an. Was ich nicht wusste, dass München ein weiteres Kriterium hat, nämlich die Ausweiskontrolle. Und weil mein Pass noch in einer Schublade in Regensburg lag, war der Abend mit dieser Erkenntnis gelaufen.

Dies ist meine neue Heimat: Deutschland, das Land der Kontrolleure. Im Krankenhaus kontrolliert der Doktor die Blutwerte, im Wohnzimmer kontrolliert Mama, wie lange die Kinder das Fernsehgerät beanspruchen. Beim Autofahren kontrolliert die Polizei, wie intensiv ein Wirtshausbesuch war, und in Büros kontrollieren Maschinen, wann man zur Arbeit kommt und wann man geht.

Je länger ich hier bin, desto mehr kommt mir all das wie ein Spiel vor: Auf der einen Seite stehen die Kontrolleure, und auf der anderen die Kontrollierten. Und obwohl das oft zermürbend ist, muss dieses Spiel jeder mitspielen, im eigenen Interesse, weil es sonst die rote Karte gibt. Und weil es sonst vielleicht so zugehen würde wie dort, wo ich herkomme. Ich versuche mitzuspielen, nur leider habe ich noch keinen Spielerpass.

Übersetzung aus dem Englischen: koei

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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