Kocherlball am Chinesischen Turm:Dirndl drahn!

Der Kocherlball ist Kult: In historischen Kostümen und Tracht versammeln sich zum Sonnenaufgang Traditionsbewusste und Neugierige.

Marie Schmidt

Schon in der Trambahn zum Englischen Garten ist dieser typische Fünf-Uhr-früh-Geruch in der Luft: Die Seifendüfte der frisch gewaschenen Frühaufsteher treffen sich mit den Kneipendünsten der Nachtschwärmer. Von der Bühne am Chinesischen Turm schaut Rudi Pietsch, Kapellmeister der Wiener "Tanzgeiger", kurz vor sechs Uhr Morgens skeptisch auf die Nachtgestalten: "Lauter blasse Madeln", sagt er. "Seid's noch von gestern überblieben?" Im Biergarten dagegen sitzen schon viele muntere Leute im Kerzenschein bei einer Brotzeit.

Kocherlball am Chinesischen Turm: Mit Uniform, Tracht oder historischem Zwirn: Am Kocherlball wird zum Sonnenaufgang das Tanzbein geschwungen.

Mit Uniform, Tracht oder historischem Zwirn: Am Kocherlball wird zum Sonnenaufgang das Tanzbein geschwungen.

(Foto: Foto: ddp)

Denn beim Kocherlball im Englischen Garten wird alljährlich am dritten Sonntag im Juli am frühen Morgen zum Tanz aufgespielt. Der alte Münchner Brauch stammt aus der Zeit um 1880. Die Dienstboten, die abends für solche Vergnügen keine Zeit hatten, trafen sich an schönen Sommertagen morgens zum Tanzen. Wegen "Mangel an Sittlichkeit" wurde der Ball 1904 verboten, 1989 haben ihn die Wirtsleute vom Chinesischen Turm und das Kulturreferat wiederbelebt. Seitdem ist er längst wieder Kult, der "Kocherlball", ein wenig uncharmant auch "Dotschentanz" genannt.

Heute würde man den betreffenden Berufsstand wahrscheinlich anders nennen, "Executive housekeeping assistant" oder so ähnlich. Aber damit hat die Veranstaltung sowieso nicht mehr viel zu tun. Es kommen Traditionsbewusste, Volkstanzbegeisterte und Neugierige. Und eben solche, die gerade aus den Nachtclubs auf den Bürgersteig gespuckt wurden.

"Wir sind um fünf aus der ,Registratur' raus", sagt ein Bursche, nicht mehr ganz astrein artikuliert, während er seinem Freund das erste Weißbier des neuen Tages reicht. "Und in der U-Bahn waren lauter Leute, die komisch verkleidet waren, da wollten wir mal schauen." Trittsicher sind einige dieser Besucher nicht mehr. Und wenn der Kapellmeister auf der Bühne sieht, dass da einer mit seinem Bier herumpritschelt, unterbricht er schon mal die Musik und mahnt: "Geht's Buam, wenn's deppert sein wollt's, schleicht's eich."

Sonst wird sich aber begeistert gedreht, zum Landler, zur Polka und zum Walzer. "Ich bin seit zehn Jahren beim Kocherlball dabei", sagt Eva Becher, Volkskultur-Beauftragte des Kulturreferats. "Die Besucher werden jünger und tanzen immer besser.2 In den Wochen vor dem Ball bietet das Kulturreferat kostenlose Tanzkurse zur Vorbereitung an. Aber auch dem, der es nicht kann, zeigt die Eintänzerin Katharina Mayer die einfachsten Schritte.

"Spaß und Kraft" brauche eine Vortänzerin beim Kocherlball, sagt ihr Vater Wolfgang A. Mayer, der mit stolzgeschwellter Brust am Bühnenrand steht. Und wahrlich, Kraft hat sie, die Katharina Mayer, vor allem in der Stimme, und ein fröhliches, schepperndes Lachen, mit dem sie die Tänzer anfeuert: "Auseinander, wieder zam. Und Dirndl drahn." Vier Stunden kreiseln und nicht schwindelig? "Da gewöhnst du dich dran", sagt sie. Vor ihr hat fast zwanzig Jahre lang der beliebte Tanzmeister Willi Poneder den Kocherlball angeführt. 2008 starb Poneder überraschend.

Aus is, und schad is, dass's wahr is

Nunmehr gebe er wohl von oben herab acht auf das Wetter, meint Eva Becher. Denn der Dauerregen vom Vortag macht am Sonntagmorgen eine Pause, und die Tanzgeiger begrüßen die erste Sonne in den Baumwipfeln mit einem Juchzer. Die ersten Tröpfchen spürt man erst wieder nach dem Höhepunkt des Balls, der "Frasä". Also der "Münchner Francaise", einem komplizierten Formationstanz. Da drängelt es sich ganz ordentlich auf der Tanzfläche. Katharina Mayer dirigiert und gibt den Rhythmus vor: "Haut's d'Fenster zam, haut's d'Fenster zam, damit de Glaser Arbeit ham." Später erklärt sie, es sei ihr wichtig, "die alten Tänze an die Jungen weiterzugeben, damit diese Tradition nicht einfach ausstirbt."

Bekannt ist der Kocherlball auch für die Kostüme vom Ende des 19. Jahrhunderts, die die Besucher tragen. Sie sind allerdings in diesem Jahr nur vereinzelt zu sehen, so dass sie stets einen Tross von Fotografen und Kameraleuten hinter sich herziehen. Die anderen Festgäste tragen zumeist Tracht in allen Schattierungen.

Um zehn Uhr gibt der Kapellmeister die Parole aus: "Aus is, und schad is, dass's wahr is." Das war schon früher so, denn um zehn mussten die "Kocherl" nach Hause, damit bei der Herrschaft rechtzeitig der Sonntagsbraten auf dem Tisch stand. Im 21. Jahrhundert allerdings haben sich jetzt einige richtig eingesessen auf den Biergartenbänken. Hinter der Bühne macht sich eine Blaskapelle bereit, die Musik zu übernehmen. Katharina Mayer ist rechtschaffen erschöpft: "Ich geh jetzt nach Hause und leg mich ein paar Stunden hin."

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