Bildung:Ein Franzose auf Kita-Mission in München

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Rodolphe Carle spricht selbst kaum deutsch. Das sei ein Fehler, sagt er, und will deutschen Grundschülern Französisch näherbringen. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Zwei Brüder haben in Frankreich das größte Unternehmen für Kinderbetreuung aufgebaut - und sind auch in anderen Ländern aktiv.
  • "Babilou" besteht weltweit aus 600 Kindergärten und Krippen, 32 davon sind in München und Umgebung.
  • Nun beteiligt sich die Firma an einem Modellversuch, bei dem verschiedene Fächer in der Grundschule auf Französisch gelehrt werden.

Von Christina Hertel

Schullandheim und Mittelstand. Das sind zwei der wenigen Wörter, die Rodolphe Carle in München gelernt hat. Das erste Wort brachten ihm seine Kinder bei, das zweite kennt er durch seinen Beruf. Zusammen mit seinem Bruder hat Rodolphe Carle Frankreichs größtes Unternehmen für Kinderbetreuung aufgebaut.

"Babilou" heißt es und besteht weltweit aus 600 Kindergärten und Krippen. 32 davon befinden sich in München und Umgebung. Dass er in den vergangenen vier Jahren nur wenige deutsche Wörter lernte, sei der größte Fehler in seiner Zeit hier gewesen, sagt Carle. Ändern wird sich das nicht mehr, noch in diesem Sommer will er zurück nach Frankreich. Dennoch startet er in Bayern eine "educational mission", eine Bildungsmission, wie er sagt.

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In zehn bayerischen Grundschulen wird es im kommenden Schuljahr Unterricht auf Französisch geben, zum Beispiel in Fächern wie Sport, Kunst, Musik oder Mathematik. In München wurde für das Pilotprojekt die Grundschule an der Weißenseestraße ausgewählt. Zur Hälfte wird der Modellversuch von der Staatsregierung bezahlt, die andere Hälfte übernimmt Carles Unternehmen. Etwa 90 000 Euro gibt es in den kommenden vier Jahren dafür aus. Mit dem Geld schult das Unternehmen Lehrer und bereitet sie auf den französischen Unterricht vor.

Carle sitzt in einem Besprechungsraum in einem seiner Münchner Kindergärten an der Versailler Straße in Haidhausen. Seine Füße stecken in großen Filzpantoffeln, weil hier alle ihre Schuhe ausziehen müssen, auch der Chef. Der Unternehmer ist Anfang 40 und eigentlich Investmentbanker. 2003 gründete er zusammen mit seinem Bruder Édouard "Babilou". Das Unternehmen wuchs schnell zu Frankreichs größten Anbieter für Kinderbetreuung. 400 Einrichtungen betreiben die Brüder allein dort.

Für Carle war klar, dass das Unternehmen noch größer werden sollte - auch im Ausland, vor allem in Deutschland. Weil es ein großes Land ist, mitten in Europa, mit 80 Millionen Menschen. Und weil Kinderbetreuung in Deutschland auch ein politisches Projekt ist - mit Fördergeldern und Bürgermeistern, die sich dafür einsetzen, ausreichend Krippen und Kindergärten zu bauen.

Carle sagt, er engagiere sich für das Projekt auch deswegen, weil er seiner Verantwortung als Europäer gerecht werden wolle. "Als ich meinen Freunden erzählt habe, dass ich nach Deutschland ziehe, haben sie mich gefragt: Warum tust du dir das an?" Es gebe viele Vorurteile, dabei würden die meisten Deutschland gar nicht kennen. "Der Krieg", sagt Carle und tippt sich an die Stirn, "ist immer noch in unseren Köpfen."

Damit das große Friedensprojekt Europa gelingen könne, damit sich die Menschen als Europäer fühlten, müssten sie sich gegenseitig verstehen. "Doch wenn man eine Sprache nur irgendwann in der Schule lernt, erreicht man niemals dieses Level, dass man alle Feinheiten und subtilen Witze versteht." Die logische Folge für Carle: Möglichst früh mit dem Lernen beginnen.

Doch werden Kinder tatsächlich zu besseren Europäern, wenn sie schon im Grundschulalter französisch sprechen? Erhöht das nicht den Druck und den Stress, über den ohnehin schon viele Familien klagen? Auf diese Fragen geht Carle nicht ein. Stattdessen sagt er: "Roboter werden eines Tages viele Jobs überflüssig machen. Aber die sozialen Fähigkeiten brauchen wir immer." Respekt, Höflichkeit und Neugierde, das alles könne man durch eine Fremdsprache lernen.

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Der Unternehmer wirkt nicht wie ein typischer Manager, und gleichzeitig tut er es doch. Er trägt ein Hemd, darüber einen Pullover, sieht leger aus, aber trotzdem geschäftsmännisch. 25 Jahre war er alt, als er zusammen mit seinem jüngeren Bruder "Babilou" gründete. Hinter der Idee steckt keine Geschichte vom Vater, der verzweifelt einen Krippenplatz für seine Kinder suchte. Carle hatte damals gar keine Kinder, er arbeitete als Investmentbanker in London. Dort lernte er verschiedene Firmen kennen, die sich auf die Betreuung von Kindern spezialisiert hatten. Der Bereich habe ihn interessiert, weil man etwas Sinnvolles tun könne und gleichzeitig als Manager gefordert sei. Schließlich sei es fast nirgends so schwierig, geeignetes Personal zu finden.

Inzwischen gehören zu Carles Unternehmen auch Einrichtungen in Belgien, Schweiz, Luxemburg, Dubai, Argentinien und Indien. Doch den Namen "Babilou" gibt es nur in Frankreich. Carle sagt, er wollte nie ein französisches Kindergartenkonzept in die Welt bringen, sondern die Betreuung so anbieten, wie sie in dem jeweiligen Land üblich ist. In Deutschland hat Carle dafür vor fünf Jahren den Kindergartenanbieter "Denk mit" übernommen. Französische Kultur oder Sprache lernen die Kinder dort nicht.

Er stelle sich in jedem Land auf die jeweiligen Bedingungen, Anforderungen und Erwartungen der Eltern ein. "In Dubai haben wir zum Beispiel erlebt, dass die Eltern nach einem halben Jahr ihre Kinder plötzlich abmeldeten. Wir haben am Anfang gar nicht verstanden, warum." Dann fanden seine Mitarbeiter heraus: Bevor in Dubai Kinder in die Grundschule gehen dürfen, müssen sie einen Test schreiben. Und Carle verstand: Die Eltern wollen, dass ihre Kinder in seiner Einrichtung mehr lernen. Er passte das Angebot entsprechend an. "Wir treten nicht als französische, sondern als lokale Marke auf. Und da müssen wir akzeptieren, dass es Unterschiede gibt."

Auf der ganzen Welt verdient Carle mit diesem Konzept Geld. Vergangenes Jahr machte er einen Umsatz von 400 Millionen Euro. Und sein Unternehmen wird weiter wachsen. Allein in Deutschland sind in diesem Jahr noch drei weitere Eröffnungen von Kitas geplant.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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