Kinderbetreuung:Münchner Eltern im Dauerwarte-Suchstress

Familie Brand in ihrer Wohnung

Britta und Jan Brand mit ihren Kindern Anton und Wanda.

(Foto: Florian Peljak)
  • München ist in den letzten Jahren so stark gewachsen, dass die Stadt mit Betreuungsangeboten nicht hinterherkommt.
  • Ob Hebamme, Hort- oder Schulplatz: Eltern müssen mit langen Wartezeiten und viel Bürokratie rechnen.

Von Melanie Staudinger

Nein, schwor sich Britta Brand, so naiv wie beim ersten Kind würde sie dieses Mal nicht wieder sein. Bei Tochter Wanda sollte die Krippenplatzsuche nicht wieder in Stress und bangem Warten enden. Also kümmerte sie sich früh um eine Betreuungsmöglichkeit. Die Mutter suchte im Kitafinder sieben Krippen heraus, die einigermaßen in Einklang zu bringen wären mit der Arbeitszeit von ihr und ihrem Mann Jan. Wanda wurde also im Internetportal der Stadt angemeldet - und dann passierte erst einmal gar nichts. Keine Statusmeldung, keine Zusage, ja nicht einmal eine Absage trudelte ein. Einen Platz hat Wanda heute nur, weil die Familie sich selbst einen gesucht hat. Ohne Kitafinder und am Ende auch ohne die Hilfe der städtischen Elternberatungsstelle.

Wer in München einen Kita-Platz benötigt, braucht vor allem starke Nerven. So hing auch Britta Brand viele Stunden am Telefon, in der Warteschlange oder in Gesprächen mit Sachbearbeiterinnen, die unterschiedlichste Auskünfte gaben. Mit vielen anderen stand sie in der Elternberatungsstelle und wie viele andere war auch sie oft kurz vorm Aufgeben. München - das ist die Stadt der hochbezahlten Jobs, die Stadt, die im vergangenen Jahr zum zehnten Mal in Folge einen Geburtenrekord verzeichnet, und die Stadt, in der die Kommunalpolitiker in nur zwei Jahren mehr als vier Milliarden Euro für die größte kommunale Schulbauoffensive freigegeben haben.

München ist aber auch die Stadt, in der sich viele Familien fragen, ob sie sich das Leben hier noch leisten können und wollen. Frauen mit Kinderwunsch suchen sich am besten schon vor der Schwangerschaft eine Hebamme, denn es sind in der Regel Dutzende Anrufe nötig, bis sich eine Geburtshelferin mit freien Kapazitäten auftreiben lässt - jetzt hat die Stadt eine Hotline für Notfälle eingerichtet. Am besten telefoniert man auch gleich ein paar Kinderärzte ab, denn auch dort herrschen in manchen Vierteln gravierende Engpässe.

Sobald Geburt und Babyzeit einigermaßen überstanden sind, muss erst der Krippen- und ein, zwei Jahre später ein Kindergartenplatz ergattert werden. Stressärmer wird es dann nicht. Es existieren längst nicht für alle Grundschulkinder Nachmittagsbetreuungsplätze. Wer sein Kind im Fußballverein anmeldet, landet erst mal auf der Warteliste. Wie lange man sich gedulden muss, um einen Platz in der städtischen Sing- und Musikschule zu erhalten, kann das Bildungsreferat nicht beantworten. Das hänge von der Art des Instruments und dem gewünschten Ort ab. Viele Familien weichen da lieber gleich auf private Anbieter aus - die Stadt beschäftigt nun mehr Musiklehrer. Die weiterführenden Schulen kämpfen jedes Jahr im Frühling mit einem Ausnahmezustand, bis alle neuen Fünftklässler untergebracht sind. Neue Gymnasien sind geplant und im Bau. "Ich verstehe nicht, warum es in einer reichen Stadt wie München überall hakt", sagt Britta Brand.

Kontinuierlich steigende Geburtenzahlen und der ungebrochene Zuzug stellen die Verantwortlichen vor große Herausforderungen. Schulbürgermeisterin Christine Strobl (SPD) zitiert gerne ein Beispiel: Alleine seit 2014 gebe es 2000 Grundschulkinder mehr. "Eine solche Steigerung hatten wir von 2006 bis 2013 nicht. Wir hatten also in drei Jahren den Zuwachs, den wir vorher in sieben Jahren hatten", sagt sie. Vorhersehbar sei diese Entwicklung so nicht gewesen. Strobl räumt ein: "Wir kommen einfach kaum mehr hinterher."

Das liegt zum einen daran, dass die Stadt dringend nötige Investitionen in die soziale Infrastruktur lange vor sich her geschoben hat. Bildung fristete lange Jahre ein Schattendasein genauso wie der Vereinssport. 2013 dann machte die CSU die maroden Münchner Schulen zum Wahlkampfthema, Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ließ als eine seiner ersten Handlungen nach seinem Amtsantritt 2014 sämtliche Schulklos renovieren. Und auch im Sport tut sich viel. Hohe zweistellige Millionenbeträge schießt die Stadt mittlerweile zu, damit Sportplätze und Hallen wieder in Schuss sind.

Politiker wie Stadtverwaltung werben um Verständnis

"Wir haben das Gefühl, dass der Sport einen größeren Stellenwert hat als früher", sagt Bernhard Slawinski, der den Münchner Kreisverband des bayerischen Fußballverbands leitet. Was er damit meint: einen höheren als unter Ex-OB Christian Ude, der sich als Anhänger des TSV 1860 zwar öfter mal bei der Meisterfeier des FC Bayern von den Fans auf dem Marienplatz ausbuhen hat lassen, sonst aber doch eher als Schöngeist denn als Sportler galt. "Heute reden wir nicht mehr nur über das Deutsche Theater", sagt Slawinski.

Im Sport, in der Bildung, bei sozialen Einrichtungen - das Wachstum der Stadt hat der Politik auch Probleme beschert. Mittlerweile tut sich doch recht viel. Bis die Kapazitäten aber für alle reichen, wird es dauern. Und bis dahin müssen alle noch enger zusammenrücken. Container auf den Schularealen blockieren die Sportflächen. Baustellen für neue Schulen und Kitas machen Lärm und Dreck und behindern den Verkehr. Sportvereine müssen sich Anlagen teilen, damit ihre eigenen saniert werden können.

Politiker wie Stadtverwaltung werben um Verständnis. Das ist gar nicht so einfach in einer reichen und verwöhnten Stadt wie München. Wer hohe Mieten und viele Steuern zahlt, der möchte auch was haben für sein Geld. Jüngstes Beispiel aus dem Kinder- und Jugendhilfeausschuss des Stadtrats: Jede Stadt im Ruhrgebiet wäre froh, wenn sie sich überhaupt Schulsozialarbeiter leisten könnte. In München laufen die Wohlfahrtsverbände Sturm, wenn der Stadtrat an ausgewählten Schulen mal ein Modell mit weniger Personal versuchen will, um Geld zu sparen.

Bei der Kinderbetreuung aber ist das mit dem Überbrücken schwieriger. Jedes Jahr wieder geht der Horror bei der Kita-Platzsuche von vorne los. Und jedes Jahr wieder sind es vor allem die Frauen, die um den Wiedereinstieg in den Beruf fürchten, weil ein Krippenplatz nicht rechtzeitig frei wird, der Kindergarten mit dem einen freien Platz leider schon am frühen Nachmittag schließt oder der Hort wegen des Erzieherinnenmangels gleich gar keine neuen Kinder mehr aufnimmt. Meist arbeiten die Väter weiter (weil sie besser verdienen) und die Frauen bleiben mit Kind oder Kindern zu Hause. Deshalb sitzen auch sie in der Falle, wenn es rechtzeitig keinen Kita-Platz gibt.

Britta Brand wurde jedenfalls empfohlen, eine private Krippe zu buchen und finanzielle Hilfe vom Jugendamt zu beantragen. 740 Euro monatlich plus 75 Euro Essensgeld kostet das. Die junge Familie kann sich das nicht leisten und hofft auf den städtischen Zuschuss. Doch auch dieser Antrag endet in einer Odyssee. Im zuständigen Sozialbürgerhaus war der Sachbearbeiter telefonisch unerreichbar. "Meine E-Mail kam zurück, weil das Postfach voll war", erzählt Brand.

Also schrieb sie ganz altmodisch mit der Hand einen Brief und wurde prompt wieder an die Elternberatungsstelle des Bildungsreferats zurückverwiesen. Entschieden ist bisher nichts, arbeiten geht Britta Brand mittlerweile trotzdem wieder und Wanda gefällt es in der Krippe. Das Durchatmen aber wird nur von kurzer Dauer sein. Denn im September kommt Sohn Anton in die Schule - und damit beginnt spätestens im Frühjahr der Kampf um einen Hortplatz. Alltag in Münchner Familien.

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