Kino trotzt der Krise:Himbeerrote Zukunft

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Das Cineplex Neufahrn öffnet wieder - alle Plätze dürfen aber erst einmal nicht belegt werden. (Foto: Marco Einfeldt)

Vor allem kleine Städten und Gemeinden sind vom Kinosterben betroffen. Doch in Neufahrn bei München trotzt man diesem Trend. Hier steht das Kino mit den meisten Leinwänden in Oberbayern. Zweifel, dass die investierten Millionen eine Fehler sein könnten, hat der Betreiber nicht.

Von Gudrun Regelein, Neufahrn

Die Kinosessel im Cineplex beispielsweise, die sind eine Erfindung von Paul Fläxl. Sie sind mit 63 Zentimetern extrem breit und haben eine doppelte Armlehne. "Unser Konzept ist: Jeder, der kommt, soll etwas sehr Gutes oder Exzellentes bekommen. Gut langt uns nicht", sagt Juniorchefin Veronika Fläxl, seine Tochter. Etwa zwei Millionen Euro investierte die Familie Fläxl nun - nur sechs Jahre nach der Eröffnung - in die Erweiterung. Fünf neue Säle wurden hier in Neufahrn in den vergangenen sieben Monaten angebaut.

Die Kassen befinden sich jetzt im Erdgeschoss, über eine Treppe mit rotem Teppich geht es in den ersten Stock zur neuen Selbstbedienungstheke. Hier ist alles in den Farben Himbeerrot und Grau gehalten. Die Beleuchtungskörper sind riesige Kugeln, deren feines Geflecht changierend in allen Regenbogenfarben leuchtet. "Wir haben uns für eine moderne Optik entschieden. Die Besucher sollen sich schließlich nicht wie zu Hause auf der Couch fühlen", meint Veronika Fläxl.

Damit gibt es jetzt 1450 Sitzplätze, auch der Eingangsbereich hat ein neues Design bekommen. (Foto: Marco Einfeldt)

Der Bereich ist ihr noch aus einem ganz anderen Grund wichtig: Denn die Selbstbedienungstheke mit Popcorn, Gummibärchen, Nachos und Cola oder Bier bedeute die Haupteinnahmequelle. Von den Tickets gehe etwa die Hälfte an den Filmverleih - mit dem, was davon übrig bleibe, könne man gerade einmal den laufenden Betrieb ermöglichen.

In der 20 000-Einwohner-Gemeinde Neufahrn steht nun das Kino mit den meisten Leinwänden in Oberbayern, also an einem Ort, an dem man an vergleichbarer Stelle das immer wieder prophezeite Kinosterben besonders fürchtet: in kleineren Städten und Gemeinden. Bislang mussten allerdings nicht die Multiplexe - die freilich auch von der Konkurrenz mit den anderen Medien geplagt sind -, sondern vor allem die kleinen Filmtheater schließen, die sich die Digitalisierung nicht leisten konnten. Laut der Filmförderungsanstalt gab es in Deutschland 2008 noch 1804 Kinos - sechs Jahre später, im Juli 2014, waren es fast 200 weniger, nämlich 1628.

Die Millioneninvestition der Fläxls mag auf den ersten Blick deshalb ein riskantes Unternehmen sein, die 34-jährige Veronika Fläxl ist sich aber sicher, dass ihre Familie auf dem richtigen Weg ist: "Ich habe eine Vision - und wenn diese Wirklichkeit werden soll, dann muss man sich dahinterklemmen." Das bedeutet: konsequent investieren. Das hat die Familie schon mal getan, das Camera in Freising wurde für viel Geld modernisiert - das sei aus heutiger Sicht ein Fehler gewesen. "Es kamen einfach zu wenige Besucher." 60 000 waren es im Jahr, 75 000 hätte man gebraucht, um auf die schwarze Null zu kommen.

Zweifel, dass die zwei Millionen Euro der Familie - dazu kommt noch rund eine Million vom Erdinger Immobilienbesitzer und Investor Martin Gritz - ,die in das Cineplex gesteckt wurden, wieder eine Fehlinvestition sein könnten, scheint die junge Frau nicht zu haben.

Viel lieber erzählt sie, dass man im Cineplex nun "das größte Angebot in Oberbayern" habe. In den 16 Sälen finden 1450 Besucher Platz. Der größte Saal hat 220 Sitzplätze, die vier kleinsten jeweils 50. Überall hätten die Gäste durch eine "schöne Steigung" der Stuhlreihen eine freie Sicht auf eine extrem große Leinwand, die im Vergleich zu anderen Kinos unorthodox weit nach unten geht. Charakteristisch, wenn auch ungewöhnlich, seien die vielen kleinen Säle: "Uns ist es lieber, ein sehr großes Angebot zeigen zu können." Dann hätten auch wenige Besucher in einem kleinen Saal das Gefühl, er sei voll.

Das Programm "ist das A und O"

Ausschlaggebend für die Besucherzahlen sei das Programm, "das ist das A und O", sagt Veronika Fläxl. Man müsse an jedem Tag der Woche für jeden potenziellen Besucher etwas Interessantes im Programm haben. Die wichtigste Zielgruppe sei ein junges, tendenziell männliches Publikum zwischen 18 und 34 Jahren, das sich einen Actionknaller anschaut und dazu Popcorn isst. "Die brauche ich. Von denen leben wir, die habe ich sehr gerne hier." Daneben aber gebe es noch viele kleine Zielgruppen, die sich ein außergewöhnliches Programm wünschten. Zu der Live-Übertragung der Lesung des englischen Autors Stephen Friar seien beispielsweise 43 Gäste gekommen. "Hier auf dem Land, das ist doch super", meint die Juniorchefin. Es gebe ein großes Angebot im alternativen Content: Live-Übertragungen aus der Met, vom Bolschoi Ballett oder Theateraufführungen aus dem National Theatre London. Daneben auch viele Arthouse-Filme, wie die Miyazaki-Mangas. "Wir haben Filme, die sonst in Deutschland nirgendwo zu sehen sind."

An diesem Samstagabend, bei der offiziellen Eröffnung nach der Erweiterung, wird Winterkartoffelknödel, die bayerische Krimikomödie, als Preview laufen. Mehr ist aber - außer einer kleinen Verlosung - nicht geplant. Firlefanz-Veranstaltungen mit vielen offiziellen Reden seien nicht ihr Ding, sagt Veronika Fläxl. Wichtig seien ihr die Filme. Vor drei Jahren stieg sie in den Familienbetrieb ein, seit Januar ist sie gemeinsam mit ihren Eltern und den beiden Geschwistern Geschäftsführerin der Filmtheaterbetriebe Fläxl, also der Cineplex-Kinos in Neufahrn, Erding und Vilsbiburg.

Auf dem richtigen Weg

Schon als Kind habe sie gewusst, dass das Kino ihre Welt sei, erzählt Veronika Fläxl. "Aber meine Eltern haben unbedingt gewollt, dass ich erst studiere und eine Zeitlang arbeite, bevor ich in den Betrieb einsteige." Die Familie Fläxl, das bedeutet bis jetzt Kino in der vierten Generation. Ihren Stammsitz hatte sie in Freising, wo sie bis zur Schließung des Cameras im vergangenen Jahr - ihr anderes Kino Bavaria wurde bereits 2007 geschlossen - eine mehr als hundertjährige Kinogeschichte schrieb. Mittlerweile sind die Fläxls in der Cineplex-Gruppe, einem Zusammenschluss mittelständischer Kinobetreiber aus gut dreißig Familien, groß im Geschäft.

Sie scheinen, folgt man den Besucherzahlen, auf dem richtigen Weg zu sein: An guten Tagen kommen in Neufahrn schon jetzt 3500 Gäste pro Tag, 430 000 sind es im Jahr. Und im nächsten werde man die halbe Million erreichen, da ist sich die Juniorchefin ganz sicher.

© SZ vom 11.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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