Innovation:Die Stadtbücherei erfindet sich neu

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Für alle da sein - das ist in mehrerlei Hinsicht das Motto. Gedrucktes und Digitales, Alteingessene und Zuwanderer - alles soll unter ein Dach. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Münchens Bibliotheken gehören mit mehr als fünf Millionen Besuchern jedes Jahr zu den attraktivsten Institutionen.
  • Neben der Hauptstelle im Gasteig (die bald umziehen muss) gibt es 21 Stadtteilbibliotheken, fünf Bücherbusse, Sozial- und Krankenhausbibliotheken, die juristische Bibliothek und das literarische Stadt-Gedächtnis Monacensia.
  • Schon jetzt hat die Stadtbibliothek 52 000 digitale Medien im Bestand, die 2016 in der "On-Leihe" fast 500 000 Mal genutzt wurden.

Von Michael Zirnstein, München

Auch in Zeiten von Smartphones und Tablet-PCs werden Notizen noch von Hand gemacht. Ein Mann rückt die Drahtgestellbrille zurecht und schreibt mit Bleistift in einen Spiralblock, was ihm eine junge Expertin gerade über den Internetdienst Twitter erzählt. Wie macht man da mit, wo bekommt man das überhaupt? Die Szene spielt in der Zentrale der Münchner Stadtbibliotheken im Gasteig, in der es längst schon um sehr viel mehr geht als um gedruckte Bücher und deren Entleihe.

Der digitale Wandel erreicht die Büchereien mit voller Wucht. Er sei eine der größten Herausforderungen für seine insgesamt 30 Häuser, sagt Arne Ackermann, der Direktor der Münchner Stadtbibliothek, "auch für die Entwicklung unsere Personals": Ein Mitarbeiter dürfe nicht in Ohmacht fallen, "wenn ein Kunde mit seinem E-Reader kommt und wissen will, wie er da darauf im Urlaub zehn unserer E-Books zum Laufen bringt".

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Eine traditionsreiche Institution sucht ihre Zukunft - das ist auch Thema vieler Veranstaltungen der Stadtbibliotheken in diesem Jahr 2017. Die Nutzer sollen sich in der Bibliothek der Zukunft zurechtfinden können. In der wird man außer im Internet auch in E-Books, E-Papers, E-Audios und E-Magazinen stöbern. 52 000 digitale Medien hat die Stadtbibliothek bereits im Bestand, die 2016 in der "On-Leihe" fast 500 000 Mal genutzt wurden. Noch hat sie viel mehr handfeste Informationsträger im Bestand, Bücher, Zeitschriften, Magazine, CDs, DVDs, Spiele und Noten. Ihre Aufgabe ist aber längst nicht mehr die des reines Verleihens.

Die Stadtbibliothek soll den Bürgern auch beibringen, wie sie all das nutzen und verstehen können, wie man im Internet recherchiert, welchen Quellen man vertrauen kann oder wie man Persönlichkeitsrechte bei der Produktion eines Youtube-Videos achtet. "Wir bilden Schüler ebenso aus wie Lehrer, Eltern und viele andere", sagt Ackermann. "Wir können die große Nachfrage gar nicht stillen, die Schulen stehen Schlange."

Dabei können weder der 51-Jährige Direktor, noch seine Mitarbeiter wissen, wie der Verleih-Mix der Zukunft aussieht: "Wir hatten schon mal 13 Millionen Entleihungen, sind jetzt bei 12,5. Vielleicht sind es in zehn Jahren nur noch sieben." Statt Sachbüchern nutzt man eben Wikipedia, statt CDs abzuspielen, streamt man heute. Andererseits habe man eben die Schallplatte auch schon totgesagt, sagt Ackermann. "Jetzt gibt es ein Revival, wer weiß, ob wir uns hier wieder einen Plattenspieler anschaffen."

Die Zahl der Entleihungen ist aber nicht das Entscheidende. 2016 kamen 5,06 Millionen Besucher in die Hauptstelle, in die 21 Stadtteilbibliotheken, die fünf Bücherbusse, die Sozial- und Krankenhausbibliotheken, die juristische Bibliothek und das literarische Stadt-Gedächtnis Monacensia, das sind 21 000 Tag für Tag, fünf Prozent mehr als 2015, ein neuer Rekord, der nicht der letzte bleiben wird. Die Stadt wächst. "Und wer nicht mitwächst, senkt die Standards", sagt Arne Ackermann, der seit 2013 das größte kommunale Bibliothekssystems in Deutschland leitet. Wo mehr Menschen leben und die Stadt sich verdichtet, werden neue Filialen eröffnet, nach Giesing im vergangen Jahr kommen bald Zweigstellen in der Messestadt Riem, dem Neubauquartier Bayernkaserne in Freimann und eine behindertenfreundliche im Inklusions-Vorreiterviertel Freiham dazu.

Dazu kommt die absehbare Großbaustelle Gasteig. Das Kulturzentrum muss renoviert werden, die Bücherei braucht wie alle Gasteig-Institutionen ein Ausweichquartier, das nun möglicherweise mit dem Stadtwerke-Areal an der Brudermühlstraße gefunden ist. Ackermann rechnet langfristig im dann wieder bezogenen Gasteig bis zum Jahr 2025 mit 50 Prozent mehr Besuchern, also eineinhalb Millionen statt momentan 940 000. Er fordert 30 Prozent mehr Publikumsflächen für sein Institut: Vor allem die Kinder- und Jugendbibliothek und die Musikbibliothek sollen wachsen. Die 2600 Quadratmeter will man dadurch gewinnen, dass das Magazin verkleinert wird und mehr Angestellte endlich eigene Büros bekommen und nicht mehr hinter Stellwänden im eigentlich öffentlichen Bereich arbeiten müssen.

Die Architekten hatten ihre Arbeitsplätze beim Planen 1978 schlicht vergessen. Dabei steht Ackermann zum Gasteig. Die Bibliothek sei zwar dem Geschmack der Achtzigerjahre nach an einigen Stellen etwas schummrig und eng. Der Kubus habe aber schon wegen seiner Sichtachsen und des warmen Backsteins "große Qualität", die der Direktor noch verstärken will. Die Kosten dafür sind enorm. Insgesamt wird man zum Gasteig-Umbau mehr als 50 Millionen Euro Ausgaben beitragen, der zweitteuerste Einzelposten nach der Philharmonie. Jedes Jahr erhält die Stadtbibliothek einen Zuschuss von 37 Millionen Euro, das sind mehr als 7 Euro je Besuch oder 5 je Ausleihe. "Ich bin auch als Bürger überzeugt, dass das eine sinnvolle Verwendung öffentlicher Gelder ist," sagt Ackermann.

Ihm geht es ums Grundsätzliche, um den Bildungsauftrag und Chancengleichheit in einer Stadt, in der jetzt schon 40 Prozent der Bürger einen Migrationshintergrund haben. Broschüren in 20 Sprachen zeigen, wie man die Stadtbibliothek benutzt, im Sprachcafé treffen sich jede Woche Deutschlernende. Genauso wichtig aber ist ihm auch, dass die angestammten Münchner die zugezogenen Kulturen kennenlernen und deshalb fremdsprachige Lesungen besuchen oder im Programm "Cinema International" Filme im Original sehen können.

Wie nötig das noch ist, zeigen Mahnschilder im Lesesaal. Die Besucher mögen doch bitte melden, falls sie Flugblätter mit faschistischem Inhalt finden. Die Rechten nutzen gerade die Bibliothek verstärkt als Forum, ihre Botschaften zu verbreiten. Arne Ackermann und sein Team wehren sich dagegen mit einem deutlichen Bekenntnis auf gelben Schildern: "Die Stadtbibliothek steht für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit. Wir sind da. Für alle."

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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