Tierpark Hellabrunn:Ein Eisbärbaby zwischen Attraktion und Kommerz

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"Supersüß" ist von Besuchern häufig zu hören beim Anblick von Giovanna und ihrem vier Monate alten Nachwuchs Quintana. (Foto: Robert Haas)
  • Das Eisbärbaby Quintana ist in Hellabrunn derzeit die größte Attraktion, die der Tierpark auch kommerziell nutzt - und dafür kritisiert wird.
  • Tierparkchef Rasem Baban erhofft sich vom Interesse an der jungen Eisbärin auch ein gesteigertes Interesse für Themen wie die globale Erwärmung und das Verschwinden der Eisbären aus ihrem natürlichen Lebensraum.

Von Philipp Crone

Es steht um 10.27 Uhr am Sonntagvormittag 97 zu null für Quintana, und das ist erst der Anfang.

Quintana, das Eisbärbaby, hat 97 Besucher, die durch die Glasscheiben zusehen, wie das 14 Kilogramm schwere Tier herumtollt, während bei den Erdmännchen vorne an der Isar neben den Giraffen niemand zusieht, nicht einer. Quintana springt herum, Kinder und Erwachsene machen Fotos oder raunen sich ein "supersüß" zu. Am Donnerstag wurde der Name des Eisbärnachwuchses derart pompös inszeniert, dass manche sich fragten: Ist das noch ein Zoo oder schon eine Art Disneyland mit lebenden Comicfiguren? Also ein Rundgang durch Hellabrunn, auf dem klar wird, in welchem Dilemma moderne Zoos stecken.

Um kurz nach zehn sind die drei Kassen am Isareingang noch kaum besucht. Ein Vater hat den 15 Monate alten Sohn Hannes auf dem Arm und sagt: "Ach Eisbär, wir wollen ihm einfach ein paar Tiere zeigen." Nebendran hockt der achtjährige Jakob in einem Bollerwagen und zählt auf, was er sehen will: "Löwe, Haie, Eisbär." Seine Mutter sagt: "Das Eisbärjunge ist natürlich eine riesige Vermarktungsmöglichkeit, und warum soll der Zoo das nicht nutzen?"

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Rasem Baban, der Tierparkchef, sagt: "Wie soll man über ein wichtiges Thema sprechen, wenn nicht laut." Er ist der Meinung, dass der Zoo die Aufgabe hat, auf die Lebensbedingungen etwa der Eisbären hinzuweisen. Und wenn er dafür mit dem Sender Pro7, der für eine einjährige Patenschaft einen fünfstelligen Betrag zahlt, eine Vereinbarung eingeht, die "vielleicht etwas kommerziell rüberkommt", dann nimmt er das in Kauf.

Man habe die Patenschaft im Übrigen nicht höchstbietend vergeben, sagt Baban, sondern sich vom Konzept des Senders überzeugen lassen, der mit dem Slogan "Green Seven: Safe the Ice" einen Tag lang auf die Auswirkungen der Erderwärmung aufmerksam machen wird. "Wenn der aktuelle US-Präsident behauptet, dass es keinen Klimawandel gibt, dann muss man dem einfach etwas entgegenhalten", sagt Baban, "und das geht nur über Aufmerksamkeit." Linda Dommes vom Verband der Zoologischen Gärten in Berlin sagt: "Zoos sind weder dazu da, die Besucher zu belustigen, noch Tiere zur Schau zu stellen." Und trotzdem werden Tiere zur Schau gestellt und der Besucher wird unterhalten. Anders geht es gar nicht.

Eine Karawane von Bollerwagen, die zum Ausleihen fünf Euro kosten, macht sich auf den Weg zur Polarwelt, vorbei an den Wölfen. Dort sagt ein Vater zu seinem Sohn: "Schau, der Wolf, wie der schaut!" Der Sohn schaut auch, allerdings durch ein iPad, das fast so groß ist wie eine der Schautafeln am Rande der Gehege. Ein paar Meter weiter schaut der Sohn dann doch mal hoch von seinem Tablet, es riecht hier nämlich besonders, nach Crêpes. Die Zahl derer, die sich gleich mal eine Süßspeise genehmigen, ist genau so groß wie die der Besucher, die sich gegenüber den rituellen Kampf zweier Flinkwallabys ansehen, die sich aufrecht umtänzeln wie Boxer.

Manche stört die steigende Zahl der Gastronomie-Betriebe. Und wenn die Eselspinguine aus ihrem Becken auf ein Plakat schauen, auf dem steht: "Fish & Chips - Wir wünschen guten Appetit", hat das schon etwas unfreiwillig Komisches. Seelachsfilet mit Pommes gibt es für 8,50 Euro, für die Besucher, nicht für die Pinguine.

Im neuen Pavillon gegenüber vom Elefantenhaus wird mit Schautafeln der Hellabrunner Masterplan erklärt. So entsteht etwa das Mühlendorf mit heimischen Tierarten, zudem werden in den kommenden Jahren verschiedene Tiere "der gleichen Ökozone vergesellschaftet und damit Lebensraumgemeinschaften naturnah abgebildet", wie auf den Tafeln zu lesen ist. Die Gehege der Tiere werden modernisiert, vergrößert, der Tierbestand wird sich zudem ändern, der Fokus mehr auf stark bedrohte Arten gelegt.

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Vor allem aber ist der Infopavillon eine Art große Bautafel, auf der die Besucher sehen können, warum auch in den nächsten Jahren neben Elefanten und Nashörnern riesige gelbe Bagger stehen. Der Architekt und ehemalige Bauleiter einer Baufirma Rasem Baban will dafür in den nächsten knapp 25 Jahren 125 Millionen Euro ausgeben. Die Fläche zum Beispiel, auf der gerade noch die alte Braunbärin lebt, wird zur großen Löwenanlage.

Ein Vater schaut sich den Plan für das Mühldorf an und sagt: "Hellabrunn ist ein gelungener Tierpark, nicht so wie der selbsternannte Erlebniszoo in Hannover." Da werde vor allem Wert auf Attraktionen gelegt. Wie Löwen und Eisbären. Die derzeit größte Münchner Attraktion ist Quintana und verbeißt sich gerade ins Fell ihrer Mutter. Eine Frau ermahnt ihre an der Scheibe klebende Tochter: "Schau dir die Tiere an, Fotos haben wir genug." Die Tochter tut wie geheißen, legt das Smartphone weg und ist in kürzester Zeit versunken im Anblick dieses Bären, der rollt, tollt, gräbt. Das meint Baban, wenn er von der Faszination des Zoos spricht. Wer dieses scheinbar niedliche Knuddeltier ins Herz schließt, achtet vielleicht auch mehr auf seinen ökologischen Fußabdruck, so die Hoffnung.

Eine Mutter nippt ein paar Meter weiter an ihrem Kaffee, den es im Zoo aus Pappbechern mit Plastikdeckeln gibt. Plastikdeckel, die sich als Müll im Meer zu Kleinstkügelchen zerreiben und den Lebensraum etwa der Robben und Seelöwen bedrohen, die neben Quintana ihr Gehege haben.

Am meisten Pappkaffees werden im Kinderland herumgetragen. Wenn der Nachwuchs eine Fahrt im Kinderzug zu zwei Euro antritt, vorbei an Plastikkühen, nimmt die Mama einen Schluck Papp-Latte und hält die Pommes auf dem Pappteller. Die Kiangs von gegenüber, tibetische Wildesel, sehen ab und zu auf, wenn ein Kind wieder die Glocke im Zug zieht.

Die Frage ist: Kommen die Papp-Latte-gewöhnten Mütter und Väter nicht, wenn die nicht angeboten wird, und kommt dann der Nachwuchs auch nicht ins Träumen, wenn er dem Eisbären zusieht, und kauft später vielleicht selbst keine Pappbecher mit Plastikdeckel mehr? Und ist es nicht auch gut, wenn das gastronomische Angebot so reichhaltig ist? Eine Mutter sagt: "Je mehr angeboten wird, desto länger bleibt man und desto mehr beschäftigt man sich mit den Tieren."

Auf dem Spielplatz rund um das Tierpark-Restaurant, einer von zehn Gastro-Stationen, ist der Andrang ähnlich groß wie bei den Eisbären. "Die Aufmerksamkeitsspanne meiner Kinder ist nicht so groß", sagt eine Besucherin, "aber am längsten war sie bei Quintana." Ein Vater beim Kinderkart ist hingegen entnervt: "Wenn die Kinder hier sind, kriege ich sie nicht mehr weg." Höchstens mit Eis oder Pommes. Aber mit der Aussicht auf einen Blick zu den Pelikanen?

Um kurz vor 12 Uhr an diesem Sonntag reicht die Schlange am Isareingang fast bis zur Brücke zurück. Quintana wird die Erdmännchen noch weiter abhängen im Zuschauerranking. Manche werden sich die gelungenen Erklärtafeln durchlesen, auf denen zum Beispiel steht, dass es noch 20 000 Eisbären gibt im natürlichen Lebensraum, also ein zu einem Drittel gefülltes Bayern-Stadion. Vielleicht nehmen manche am Ende sogar eine Eisbärentasse mit - und trinken beim nächsten Besuch die Latte Macchiato daraus.

© SZ vom 28.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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