Geburten:"Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für einen Kaiserschnitt"

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Neugeborene in einem Krankenhaus in Halle: nach bundesdeutschem Durschnitt ist mindestens eines der fünf per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)
  • Aktuell entscheiden sich doppelt so viele Frauen wie vor 20 Jahren für einen Kaiserschnitt.
  • In München liegt die Kaiserschnittrate leicht über den bayerischen Mittelwert von 32,5 Prozent. Das liege auch an vielen Anreisenden aus dem Umland.
  • Viele Experten sagen, Kaiserschnitte würden zu leichtfertig angeordnet.

Von Christina Hertel, München

Britney Spears hatte einen, Madonna und Victoria Beckham auch. Die Rede ist vom Kaiserschnitt. Die Kommentare danach - nicht immer nett. So passe die Geburt wohl besser in ihren vollen Terminkalender, hieß es zum Beispiel. Oder dass diese Frauen einfach "too posh to push" seien, also "zu fein zum Pressen".

Tatsächlich entscheiden sich aber auch in Deutschland immer mehr Frauen gegen eine natürliche Geburt, aktuell etwa doppelt so viele wie noch vor 20 Jahren. Das gilt auch für München. Hier wird inzwischen mehr als jedes dritte Kind mit einer Sectio, wie die Operation im Fachjargon heißt, auf die Welt gebracht. Die Landeshauptstadt liegt damit leicht über dem Bundesdurchschnitt. Der Grund: Viele Frauen mit einer Risikoschwangerschaft würden aus dem Umland zu den Spezialisten in die Stadt kommen, meint Nikolaus von Obernitz, der die Geburtshilfe im Rotkreuzklinikum leitet. Er sagt: "Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für einen Kaiserschnitt. Da spielen immer die verschiedensten Überlegungen eine Rolle - auch Ängste." Vor der Geburt an sich, vor den Schmerzen, vor den Folgen für ihren Körper. Obernitz hat die Erfahrung gemacht, dass es nichts bringt, die Frauen überreden zu wollen. "Man darf niemanden in etwas hineinhetzen, das er nicht will." Das führe nur zu Problemen. Ihm sei wichtig, die Frauen wertfrei zu beraten, egal auf welche Art sie ihr Kind zur die Welt bringen wollen.

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Ein echter medizinischer Grund liegt längst nicht bei allen Kaiserschnitten vor. Laut der Weltgesundheitsorganisation gibt es nur in zehn bis 15 Prozent aller Fälle eine medizinische Rechtfertigung. Warum wird die Operation trotzdem so häufig gemacht? Die Vorsitzende des Bayerischen Hebammen-Verbandes Astrid Giesen glaubt, dass Ärzte die Frauen im Vorfeld oft verunsichern. Nicht aus einem bösen Hintergedanken heraus, sondern weil sie selbst auf der sicheren Seite sein wollen. "Wenn einem Kind etwas passiert, muss nach deutschem Recht ein Schuldiger gefunden werden." Bei der Frage, wer die Kosten für ein krankes Kind übernehmen müsse, komme es häufig zu regelrechten Schlammschlachten. "Viele Dinge werden nur gemacht oder gesagt, um sich juristisch abzusichern."

Dabei ist auch ein Kaiserschnitt nicht frei von Risiko. Giesen zählt auf: Allergien, Infekte und Diabetes sollen Kinder, die per Kaiserschnitt auf die Welt geholt wurden, häufiger bekommen. Auch für die Frauen kann die Operation mit Nachteilen verbunden sein: es komme öfter zu Wochenbettdepressionen, zu Thrombosen und zu Verwachsungen im Mutterleib. Einwandfrei statistisch belegt sind Folgen eines Kaiserschnitts im Vergleich zu einer natürlichen Geburt allerdings nicht. Oft müssen sich Frauen aber nach einem ersten Kaiserschnitt auch bei ihrer zweiten Schwangerschaft einer OP unterziehen - etwa weil sich eine Narbe am Uterus gebildet hat.

"Wir müssen erst wieder lernen, wie man so eine Geburt hinkriegt"

Wie oft ein Kaiserschnitt durchgeführt wird, ist in Deutschland regional unterschiedlich. Im Saarland ist die Wahrscheinlichkeit zum Beispiel fast doppelt so hoch wie in Sachsen. Und in München liegt die Kaiserschnittrate leicht über den bayerischen Mittelwert von 32,5 Prozent. Der Mann, der diese Zahlen ermittelt, ist Nicholas Lack von der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung in der stationären Versorgung (BAQ). Er sieht keinen Grund, alarmiert zu sein. "Man denkt immer die Sectio-Rate explodiert. Das ist aber nicht so." Vielmehr habe sie sich inzwischen in München, aber auch in ganz Bayern eingependelt.

Einer, der sich darüber freut, dass die Rate nicht weiter steigt, ist Olaf Neumann. Er ist der Chefarzt der Frauenklinik im Schwabinger Klinikum und setzt dort auf das Gespräch. Zum Bespiel mit Frauen, die Angst vor der Geburt haben. "Sollten Frauen vorher andere Kliniken aufsuchen, die unhinterfragt Wunschkaiserschnitte anbieten, finde ich es persönlich schade, kann es aber nicht verhindern." Aber natürlich, sagt Neumann, sei es richtig, dass Kaiserschnitte gemacht werden, wenn sie medizinisch notwendig sind. Tatsächlich haben die Entwicklungen in der Geburtshilfe Frauen geholfen. Deutschland ist eines der Länder weltweit mit der geringsten Müttersterblichkeit. Statistisch gesehen starben 2014 in Deutschland etwa vier Frauen je 100 000 Lebendgeborene. Vor hundert Jahren lag der Wert noch bei 300.

So viele Kinder und Frauen wie möglich gesund durch die Geburt bringen - das ist auch für Bettina Kuschel der Grund, warum sie lieber mal einen Kaiserschnitt zu viel als zu wenig macht. Die Ärztin leitet die Abteilung für Geburtshilfe im Klinikum Rechts der Isar. Die Rate der Entbindungen per Kaiserschnitt liegt dort bei etwa 40 Prozent. Jedoch gebe es da meist ein gewisses Risiko - weil die Mutter schon älter als 40 ist zum Beispiel. Gesunden jungen Frauen hat Kuschel schon öfter einen Kaiserschnitt verwehrt, manchmal zähneknirschend zugestimmt. Sie hat erlebt, dass sich Frauen nach einer Absage an einen Psychiater wenden. Das Ziel: eine Bescheinigung, dass sie den Druck einer spontanen Geburt nicht aushalten. Dann bleibe Ärzten nichts anderes übrig, als einer Operation zuzustimmen. Kuschel würde in Zukunft gerne mehr Frauen von einer natürlichen Geburt überzeugen. Doch da gibt es ein Problem: "Die Kliniken bilden gar nicht mehr richtig aus." Zum Beispiel werde bei einer Beckenendlage, wenn das Kind mit dem Po voran im Beckenausgang liegt, fast immer ein Kaiserschnitt durchgeführt. "Wir müssen erst wieder lernen, wie man so eine Geburt hinkriegt - ohne Risiko für Mutter und Kind."

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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