Mitgliederentscheid:Die Grünen üben den Spagat

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Kreisverband sieht in der Schaffung von günstigem Wohnraum das zentrale Thema für den Landkreis. Mit dichter Bebauung aber tut sich die Partei traditionell schwer. Auch der Sinn einer Wahlkampf-Prioritätenliste ist umstritten

Von Stefan Salger

Die Grünen im Landkreis wollen sich für mehr günstigen Wohnraum einsetzen und so neue Wähler gewinnen. Das wurde am Sonntag bei einer Diskussion des Kreisverbands in Gröbenzell deutlich. Jedes Mitglied konnte sich bei der Veranstaltung aus einer Liste von 58 Schlüsselprojekten bis zu zehn als besonders wichtig auswählen. Die parteiinterne Abstimmung fand bundesweit statt, die Ergebnisse aus dem Landkreis werden nach Berlin übermittelt. Mehrere Mitglieder meldeten freilich Zweifel am Sinn einer Priorisierung an sowie an der Bereitschaft, sich beim Thema Wohnungsbau auf eine gemeinsame Linie zu verständigen.

Die kontrovers geführte Debatte im Gröbenzeller Lokal "Hexe" wurde von der Bundestagsabgeordneten Beate Walter-Rosenheimer moderiert. Die Direktkandidatin verteidigte das Procedere gegen Kritik. Niemand erwarte, dass der bekanntermaßen "kritische Kreisverband" sich einstimmig auf eine Prioritätenliste einige. Gleichwohl bekannte sich die 48-Jährige zu dieser Form der Basisdemokratie, mit der die Grünen anderen Parteien einen Schritt voraus seien. Ähnlich äußerte sich der frühere Ortsverbandsvorsitzende von Fürstenfeldbruck, Milko Tansek. Die Befragung bedeutet seiner Meinung nach nicht, dass die Themen jenseits des engeren Kreises deshalb vernachlässigt werden. Eine kleinere Prioritätenliste diene vielmehr der öffentlichen Wahrnehmung.

Widerspruch ernteten beide vor allem von der Puchheimer Kreisrätin Anette Louis und dem Gröbenzeller Kreisrat Markus Rainer. Louis bezeichnete es als "hochproblematisch, was wir hier machen" und spielte damit auf den recht kleinen Kreis der 23 erschienenen stimmberechtigten Mitglieder an - auch wenn alle anderen Mitglieder ihren Stimmzettel auch direkt nach Berlin hatten schicken können. Sie warnte zudem vor einer Vermischung der wichtigen Themen mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen mit jenen, die auf europäischer Ebene behandelt werden. Reiner stieß ins selbe Horn: "Was soll diese Geschichte?" fragte er. Er hält es für ziemlich unrealistisch, dass die Grünen in künftig denkbaren Koalitionsverhandlungen ein Destillat des bereits beschlossenen und sehr umfangreichen Wahlprogramms mit seinen 58 Punkten durchsetzen werden.

Große Einigkeit bestand unter den Mitgliedern darüber, dass man beim Themenspektrum Wohnungsbau und erschwingliche Mieten den Parteien wie SPD oder CSU nicht das Feld überlassen darf. Doch jenseits dieser Erkenntnisse bietet der Kreisverband auch hier kein geschlossenes Bild. So klagte Rainer über eine Lücke aus Wunsch und Wirklichkeit und die mangelnde Bereitschaft, sich zu auch teils unbequemen Lösungen zu bekennen. Denn allein eine Begrenzung der zulässigen Mieterhöhungen, für die sich neben der SPD mittlerweile auch die Union stark macht, wird das Problem nicht lösen, das wissen auch die Grünen und das brachte Tansek erneut zum Ausdruck. Die Mieten werden wohl nur dann fallen, wenn Angebot und Nachfrage zu einem Gleichgewicht finden, also angesichts des ungebrochenen Zuzugs in den Münchner Ballungsraum mehr Wohnungen gebaut werden. Um das zu erreichen, müssten aber auch demografische Effekte angesprochen (zum Beispiel, dass auch alleinstehende Senioren nach dem Auszug der Kinder in eigentlich dann viel zu großen Häusern wohnen) und über eine höhere und verdichtete Bebauung und über die Bebauung von vorhandenen Freiflächen müsste nachgedacht werden.

"Das wäre ein Beitrag zum Realismus", sagte Markus Rainer. Denn, so seine pointierte Erkenntnis, "wir wollen zwar viele Wohnungen, aber wir wollen sie nicht bauen". Eine Position, für die es nicht nur Zustimmung geben dürfte. So ist der Kreisvorsitzende Jan Halbauer einer der Sprecher der Fürstenfeldbrucker Bürgerinitiative, die sich für die Freihaltung der so genannten "Hundewiese" einsetzt und auch eine Bebauung mit günstigen Mietwohnungen ablehnt. Das belegt, dass sich mit dem Thema zwar neue Wählerschichten erschließen lassen, dies aber einen Preis hat: eine innerparteiliche Zerreißprobe, wenn es darum geht, die Interessen der Menschen und der Natur abzuwägen.

© SZ vom 10.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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