Facharztmangel:Praxis ohne Nachfolger

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Nicht nur die Reihenfolge, auch die Nachfolge. Immer öfter ohne Erfolg. (Foto: M. Reichel/dpa)

Risiko zu hoch, Arbeitszeiten zu lang - wegen Nachwuchsmangels muss ein Gröbenzeller Allgemeinarzt seine Praxis schließen. Das Problem liegt im System, sagen manche.

Von Julia Bergmann, Gröbenzell

Nach 25 Jahren im Beruf bleibt Thomas Greiffenhagen nur noch die Kapitulation. Am 31. März wird er seine Allgemeinarztpraxis in Gröbenzell für immer schließen. Zwei Jahre lang hat er nach einem Nachfolger gesucht, verschiedene Vermittlungsstellen kontaktiert und inserierte, wo immer es möglich war. Ohne Erfolg. "Ich hätte meine Praxis tatsächlich nicht einmal verschenken können", sagt der 67-Jährige.

Der Facharztmangel gelangt in die Münchner Peripherie

Greiffenhagen steht nicht alleine da. Wie ihn plagt viele Allgemeinärzte die Sorge darum, wie es mit ihrer Praxis, ihren Patienten und Mitarbeitern weitergehen soll, wenn sie in den Ruhestand gehen. Erstaunlich ist aber, dass es mittlerweile auch Praxen im städtisch geprägten Osten des Landkreises trifft. Die ersten Vorboten eines Ärztemangels, vermeintliches Exklusivproblem ländlicher Regionen, sind nun auch in der Münchner Peripherie angekommen. "Viele meiner Patienten können es gar nicht glauben", sagt Greiffenhagen.

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"Sicher wird es immer schwieriger, für eine Allgemeinarztpraxis einen Nachfolger zu finden", bestätigt Jakob Nies, der stellvertretende Vorsitzende des ärztlichen Kreisverbands Fürstenfeldbruck. Von einem deutlichen Ärztemangel im Landkreis könne aber noch nicht die Rede sein, betont er. Standorte im östlichen Landkreis profitierten immer noch von ihrer Nähe zu München, seien nach wie vor attraktiv.

Natürlich gebe es innerhalb des Landkreises ein Gefälle zwischen ländlichem Westen und den Gemeinden und Städten im Osten. Die Patienten müssten sich aber noch nicht vor einer medizinischen Unterversorgung fürchten. Rund 280 niedergelassene Ärzte gibt es im Landkreis, mehr als die Hälfte von ihnen ist älter als 51 Jahre, viele werden in den kommenden Jahren aufhören zu praktizieren.

Dem Nachwuchs ist das Risiko zu groß

Eine Begründung für die Arzt-Knappheit sehen sowohl Greiffenhagen als auch Nies darin, dass der medizinische Nachwuchs das Risiko einer Praxisübernahme und damit der Selbständigkeit scheut. Zudem wirken auf Jüngere meist die langen und ungeregelten Arbeitszeiten unattraktiv. Viele junge Allgemeinärzte entschieden sich eher für eine sichere und risikoärmere Anstellung an medizinischen Versorgungszentren.

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Immer weniger wollen oder können ihre Einzelpraxis auf dem Land aufrechterhalten. "Es ist natürlich schwierig, wenn man alles zentral organisiert. Die Leute werden älter, weniger mobil und haben immer wieder einen fremden Ansprechpartner", sagt Greiffenhagen. Und auf lange Sicht könne es zur Folge haben, dass ältere Menschen in ländlichen Regionen ohne hausärztliche Versorgung früher ins Altenheim ziehen müssten, meint Rudolf Summer, der Leiter des Gesundheitsamts. Auch er ist vom Ärztemangel im Landkreis betroffen. Noch vor fünf Jahren hätten sich auf Stellenausschreibungen des Gesundheitsamts mehrere Fachärzte beworben. Heute sei es schwierig, überhaupt jemanden zu finden.

Problematisch sei auch, dass die Medizin weiblicher werde, meint Alexander Wiedemann, Kreisdelegierter des Bayerischen Hausärzteverbands und Eichenauer Allgemeinarzt. Und zwar deshalb, weil Frauen aufgrund der Mehrbelastung durch Beruf, Haushalt und Kindererziehung häufiger Teilzeitanstellungen anstrebten. "Bei gleichbleibender Zahl der Köpfe wird die Stundenanzahl insgesamt geringer", sagt Wiedemann. Auch deshalb plädiert er dafür, dass man mehr jungen Menschen das Medizinstudium ermöglichen müsse.

Ein guter Arzt braucht mehr als gute Noten

Wiedemann betont, dass der Numerus Clausus (NC) als Zulassungsbeschränkung für das Studium bedenklich sei. "Wer den NC von 1,0 schafft, geht normalerweise nicht in die Allgemeinmedizin", meint er. Häufiger strebten diese Studenten die Forschung an. Zudem müsse ein guter Hausarzt neben Fachwissen auch Empathie mitbringen und "gut mit Leuten können". "Das alles wird in einem Zeugnis nicht bewertet", sagt Wiedemann.

Dass seine Praxis nun vor dem Aus steht, damit hat Greiffenhagen sich schweren Herzens abgefunden. Die Suche habe an seinen Nerven gezehrt. Die Gesundheitspolitik habe es den Hausärzten unter anderem mit ihrem gedeckelten Honorarsystem und der Bürokratie immer schwerer gemacht, als Hausarzt zu praktizieren. Leid tue es ihm lediglich um seine sechs Mitarbeiter und seine Patienten, von denen er viele bereits seit Jahren kennt. "Das ist schon herb. Sie sind mir ans Herz gewachsen."

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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