Wohnen nur gegen Gebühr:311 Euro für ein Bett und einen Spind

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Zimmer in Flüchtlingsunterkünften wie hier in München teilen sich oft mehrere Personen. In Dietersheim bekam der Freistaat für die "Miete" eines solchen Zimmers bis zu 1244 Euro. (Foto: Robert Haas)

Bleiben anerkannte oder arbeitende Flüchtlinge in Asylunterkünften wohnen, müssen sie als "Fehlbeleger" nicht nur "Miete" zahlen, teils werden auch hohe Nachzahlungen fällig. Manch einen treibt das in die Schulden.

Von Clara Lipkowski, Landkreis

Als Mustafa Abdel den Bescheid in den Händen hält, will er sofort weg aus der Asylunterkunft in Dietersheim, seine Sachen packen und erst einmal bei einem Freund unterkommen. Auf dem Behördenschreiben steht: Für die Nutzung der Unterkunft von Dezember 2015 bis April 2017 sind 4202 Euro fällig. Sofort zu überweisen auf folgendes Konto. Flüchtlingshelfer Franz Nadler muss den panischen Iraker beruhigen. "Er weiß ja nicht, wie er das bezahlen soll", sagt Nadler.

Was dem 26-Jährigen, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, gerade passiert, trifft auch viele andere Flüchtlinge im Landkreis. Asylhelfer aus Zolling, Neufahrn, Moosburg, Eching und Freising berichten von Nachforderungen der Regierung von Unterfranken für die "Fehlbeleger". Das sind Flüchtlinge, die nach der Anerkennung in den Asylunterkünften wohnen bleiben. Eigentlich müssten sie raus, in eigene Wohnungen. Da Wohnraum im Landkreis aber knapp ist, dürfen sie gegen Gebühr bleiben. Zahlen müssen auch diejenigen, die im noch laufenden Asylverfahren arbeiten - wer Geld verdient, soll für die Unterbringung selbst aufkommen, so will es der Freistaat. Das Problem: Die monatliche Gebühr liegt oft weit über der ortsüblichen Miete.

311 Euro pro alleinstehender Person. Egal, ob im Einzel- oder Viererzimmer

Eine alleinstehende Person zahlt 311 Euro, inklusive Energiekosten. Egal, ob sie in einem Zwei- oder Fünfbettzimmer wohnt. Egal, ob es zwölf Quadratmeter hat oder 24. Mustafa Abdel, der in der Gastronomie arbeitet, zahlt die Gebühr für ein Fünf-Bett-Zimmer, das 35 Quadratmeter misst. Für die Fläche, die er allein nutzt, bedeutet das pro Quadratmeter 44 Euro. Zu den monatlichen laufenden Kosten kommen die Nachforderungen. In seinem Fall 4202 Euro.

"Was mich so erbost, ist, dass es nicht verhältnismäßig ist", sagt Asylberater Nadler. "Da steht ein Bett im Zimmer und ein Spind, da sind 311 Euro ein Witz." In dem Zimmer zahlen noch drei Bewohner die Gebühr selbst. Also erhält der Freistaat für diese 35 Quadratmeter 1244 Euro im Monat. Der Fall ist so kurios, dass schon ein RBB-Fernsehteam von "Kontraste" darauf aufmerksam wurde. Auch Flüchtlingshelfer Reinhard Kastorff aus Moosburg kritisiert: "Diese Pauschale nimmt keine Rücksicht auf die Lebensqualität in solchen Unterkünften." Aber: Dass der Freistaat sich das Geld zurückhole, sei nur verständlich. Und: "Arbeitet jemand, wird die Forderung ins Verhältnis zum Verdienst gesetzt."

Tatsächlich kann jemand, der anerkannt ist und durch die Gebühren unter das Existenzminimum zu rutschen droht, beim Jobcenter Aufstockung beantragen. Die Kosten derer, die anerkannt sind aber arbeitslos, übernimmt das Jobcenter grundsätzlich. Nicht anerkannte Flüchtlinge mit Job zahlen aus eigener Tasche, können aber Hilfe vom Sozialamt beantragen.

Zu Hochzeiten des Flüchtlingszuzugs fehlte die Zeit, die Gebühr zu berechnen

Die Gebühren fließen aus ganz Bayern nach Mellrichstadt in Unterfranken. Dort bearbeitet knapp ein Dutzend Sachbearbeiter der Zentralen Gebührenabrechnungsstelle die Fälle. Sprecher Johannes Hardenacke will nicht sagen, dass die Gebühren unverhältnismäßig hoch seien. "Hier nehmen Personen Leistungen in Anspruch, das rechnen wir pro Person ab", sagt er. Im Landkreis Freising sind das derzeit 183 Fälle, in ganz Oberbayern 6 400. Aus diesem Regierungsbezirk erhält der Freistaat somit laufend etwa 1,3 Millionen Euro. Die Nachforderungen berechnet die Behörde rückwirkend seit 2015 - es wurde versäumt, sie pünktlich einzufordern. Erst seit Ende 2016 gehen die Bescheide verstärkt raus. Hardenacke begründet das so: Zu den Hochzeiten des Flüchtlingszuzugs 2015 und 2016 hätten sich die Ämter erst einmal auf deren Unterbringung konzentriert. Erst dann habe man begonnen, abzurechnen. "Dass die Gebührenpflicht besteht, war aber allgemein bekannt", sagt er. Also hätten die "Fehlbeleger" Rücklagen bilden können.

Franz Nadler ist da ganz anderer Meinung. Weder die Flüchtlinge noch die Helferkreise seien informiert worden. "Selbst wenn im Kleingedruckten etwas versteckt war, das ist doch keine Art", sagt er. Der Neufahrner Asylhelfer Nikolaus Marzahn sieht das auch so. Er kämpft gerade dagegen, dass eine junge Somalierin wegen einer Nachzahlung von 933 Euro in die Schulden rutscht. Wie ihr gehe es vielen, sagt er. Deswegen fordert er, die Nachforderungen zu erlassen und die monatlichen Gebühren an die ortsüblichen Mieten anzupassen. Franz Nadler handelt nun mit der Behörde Ratenzahlungen für Mustafa Abdel aus. "Ich habe fünf Euro im Monat vorgeschlagen. Das würde gehen. Da hat der Sachbearbeiter nur geschmunzelt."

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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