Asylunterkünfte:Die Reißleine gezogen

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Dürfen Flüchtlinge arbeiten, leben aber noch in staatlichen Unterkünften, weil sie auf dem freien Markt keine Wohnung finden, zahlen sie dafür eine Gebühr an den Freistaat. Diese wurde nun gekippt. Bis es eine neue Gebühr gibt, zahlen die Flüchtlinge nichts. (Foto: dpa)

Der Freistaat hat laut Verwaltungsgerichtshof zu hohe Wohngebühren von Flüchtlingen kassiert. Deswegen muss das Innenministerium deren Höhe neu berechnen. Solange zahlen Betroffene nichts für ihre Unterbringung. Asylhelfer sehen das Urteil mit Genugtuung.

Von Clara Lipkowski, Eching

In Jubel ist Franz Nadler nicht ausgebrochen, als das Urteil kam. Aber, und das sagt er sehr nachdrücklich mit ruhiger Stimme: "Es war eine echte Genugtuung." Nadler ist Flüchtlingshelfer in Dietersheim und wie viele seiner Kollegen in Bayern, hatte er das Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Spannung erwartet. Am 16. Mai dann kippte das Gericht die "Gebührenverordnung für Flüchtlinge". Nicht nur für die fünf klagenden Flüchtlinge ein Riesenerfolg.

Die Gebühren erhebt der Freistaat von Flüchtlingen, die arbeiten dürfen und in staatlichen Asylunterkünften wohnen, weil sie auf dem freien Markt noch keine Wohnung gefunden haben. Das Prinzip ist: Wer arbeiten darf, aber in staatlichen Unterkünften wohnt, zahlt dafür eine Nutzungsgebühr. Gut und richtig findet Franz Nadler dieses Prinzip. Was ihn aber extrem ärgerte, war die Höhe der Gebühren. Mit dem Urteil vom 16. Mai ist jetzt alles anders. Denn: Wie die Gebühr errechnet wurde, ist unzulässig. Die Gebühr ist außer Kraft gesetzt.

Wohnen nur gegen Gebühr
:311 Euro für ein Bett und einen Spind

Bleiben anerkannte oder arbeitende Flüchtlinge in Asylunterkünften wohnen, müssen sie als "Fehlbeleger" nicht nur "Miete" zahlen, teils werden auch hohe Nachzahlungen fällig. Manch einen treibt das in die Schulden.

Von Clara Lipkowski

Konkret heißt das: Der Freistaat hat die Höhe der Gebühren nach Kriterien festgelegt, die gar nicht auf die Situation der Flüchtlinge anwendbar sind. Damit hat er zu viel Geld von den Flüchtlingen kassiert. Zum Beispiel wurde die Gebühr anhand der landesweit üblichen Miete für Singlehaushalte von Sozialhilfeempfängern errechnet. Asylbewerberunterkünfte und derartige Privatwohnungen aber, heißt es in der Urteilsbegründung, "entbehren jeder Vergleichbarkeit in Hinblick auf Ausstattung und Standard." Auch deswegen fordern Flüchtlingshelfer seit Langem, die Gebühr müsse nach den tatsächlichen Unterbringungskosten erhoben werden.

"Ein Desaster" für die bayerische Regierung, sagt Nadler. Andere sprechen von einer "Ohrfeige"

Franz Nadler nennt das Urteil "ein Desaster" für die bayerische Regierung. Andere sprechen von einer "Ohrfeige". Tatsächlich ist das Ganze ziemlich peinlich für das Innenministerium. Dort musste man die Reißleine ziehen und alle Zahlungsaufforderungen stoppen. Seit Juni werden keine Bescheide mehr verschickt. Die Wohngebühren müssen derzeit nicht bezahlt werden.

Alleinstehende Flüchtlinge zahlten bislang pro Kopf 311 Euro, inklusive Energiekosten. Ein Iraker aus Dietersheim zum Beispiel arbeitet in der Gastronomie und zahlte über Monate die laufend anfallenden Gebühr für ein Zimmer, dass er sich mit vier anderen geteilt hat. Kleines Rechenbeispiel: In seinem Zimmer zahlten vier junge Männer die Gebühr. Für 35 Quadratmeter bekam der Freistaat so 1244 Euro. Wegen solcher Beispiele ist seit Langem unter Helfern und dem Bayerischen Flüchtlingsrat von "Abzocke" die Rede. Dass Flüchtlinge in einem Zimmer mit drei, vier, fünf anderen Bewohnern leben ist nicht ungewöhnlich. Manch einer zahlt dadurch 40 Euro pro Quadratmeter. Zur Ausstattung gehört mal ein Tisch oder Spind. So auch in Dietersheim. Beim Gang durchs Haus sagt Nadler: "Das hier ist alles andere als Luxus."

Ein junger Mann kommt jetzt auf ihn zu, grüßt ihn mit "Mister Franz". Nadler berät die Bewohner fast jeden Tag. "Ist okay, dass mein Freund nicht zahlt?", fragt der Mann. Später sagt Nadler: "Was meinen Sie, wie schwierig das ist, den Menschen hier zu vermitteln, dass sie plötzlich doch nichts zahlen müssen und dass dann nicht die Polizei kommt. Andere musste ich bremsen, die dachten, jetzt könnten sie für immer umsonst hier leben."

Solange es keine neue Gebühr gibt, zahlt keiner der Flüchtlinge

In Dietersheim sind aktuell 27 Personen von dem Urteil betroffen. Landkreisweit gibt es laut Sprecher der Regierung von Unterfranken, die die Bescheide verschickt, rund 930 Fälle. Bayernweit liegt die Zahl etwa bei 24 000 Fällen. Nichts zahlen müssen Betroffene bis der Freistaat die Gebühr neu errechnet hat. Wann das sein wird? Die spärliche Antwort aus dem Innenministerium: "Dies wird in Kürze geschehen." Aus der Regierung von Unterfranken heißt es: Im Sommer oder später.

Flüchtlingshelfer
:Vater, Bruder, Helfer, Freund

Franz Nadler wird in der Dietersheimer Flüchtlingsunterkunft von allen nur "Mister Franz" genannt. Seit 2015 haben rund 170 Flüchtlinge in der ehemaligen Schule gelebt und er war von Anfang an erster Ansprechpartner

Interview von Aladdin Almasri und Clara Lipkowski

Steht die neue Gebühr, werden auch die Dietersheimer mit entsprechenden Nachzahlungsforderungen zu rechnen haben - davon geht Regierungssprecher Hardenacke fest aus. Denn die Gebühr soll rückwirkend in Kraft treten. Es gelte schließlich das Prinzip, wer in staatlichen Häusern wohnt, muss immer dafür zahlen. Dem widerspricht Nadler und auch vom Flüchtlingsrat heißt es: Man kann in Zukunft keine Gebühr nachberechnen, die zeitweise gar nicht existiert hat. Das würde bedeuten, dass die Flüchtlinge mindestens seit Juni umsonst gewohnt haben, weil das Ministerium nicht in der Lage war, die Gebühren zu berechnen.

Und was ist mit dem Geld, das bis zum Urteil zu viel gezahlt wurde? Das will Nadler für seine Bewohner zurückfordern. Nach Auskunft eines Anwalts, muss er dafür aber erst die Zahl-Bescheide förmlich aufheben lassen. Automatisch, weil der Fehler beim Ministerium liegt, geht das offenbar nicht. Frage zum Schluss an Nadler: Was für eine Gebühr hielte er für gerecht? "Gemessen an der Qualität und Auslastung des Hauses weit unter 100 Euro." Dass sie schnell kommt, glaubt er nicht. "So einen Fehltritt kann sich der Freistaat ja nicht noch mal leisten."

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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