Freising:Generation "Isar-Chillen"

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Im Sommer herrscht abends auf den Kiesbänken am Fluss ein ganz eigenes Lebensgefühl. Die jungen Leute sitzen am Lagerfeuer, feiern, tanzen und spielen Flunkyball. Was den Burschen noch fehlt, ist eine Dönerbude

Von Anne Gerstenberg, Freising

Vögel kreisen durch die Luft, im Hintergrund läuten die Glocken des Freisinger Doms. Es ist abends um acht, der Himmel, der sich hinter den Heiligenstatuen der Korbiniansbrücke in allen orange- und rosafarbenen Tönen färbt, verschwimmt und verschwindet schließlich gänzlich hinter einer Dunstglocke aus Rauch, die über der Isar wabert. An jedem beliebigen Abend eines heißen Sommertages sieht man auf den Kiesbänken an der Isar die immer gleiche Szenerie. Unzählige Jugendliche sitzen in kleineren und größeren Gruppen verteilt um die Lagerfeuer, deren brandiger Geruch schon von weitem wahrnehmbar ist. Sie sind hier jeden Tag, genießen ihre Sommerferien gemeinsam an der Isar.

"Isar-Chillen" ist ein geflügelter Begriff für eine ganze Generation, Ausdruck für eine eigene Kultur, einen Lifestyle, den hunderte Jugendliche miteinander teilen. Hier an der Isar in Freising kennt jeder jeden, man gesellt sich mal zu der einen, mal zu der anderen Gruppe. Manche kennen sich schon aus der Schule oder aus dem Sportverein. Aber eigentlich kennt man sich von der Isar. Auch Anschi, Cari, Bene, Martin, Maxi, Sasha, Timo und Simon verbringen ihren gesamten Sommer hier direkt am Fluss. Die 16- bis 18-Jährigen sind eine bunt gemischte Truppe. Die einen haben gerade ihren Abschluss gemacht, die anderen haben Sommerferien, manche stoßen erst nach der Arbeit dazu.

Die Regel "Kein Bier vor vier"

"Bei uns ist jeder Tag der gleiche", lacht Maxi, der jeden Abend mit seiner "Isar Crew" am Start ist. Die Gruppe trifft sich nachmittags beim Supermarkt am Bahnhof und deckt sich mit Getränken und Snacks ein, dann geht es auf zur Isar. Die Regel "Kein Bier vor vier" gilt auch in den Sommerferien. "Nur manchmal", erklärt Simon mit einem Zwinkern, "da ist nach vier eben auch vor vier." Und Maxi erklärt den Ablauf eines Abends an der Isar: "Wir genießen unser Bier, hören natürlich nur gute Musik und reden, feiern, tanzen."

Die Jüngeren müssen um Mitternacht nach Hause, die Älteren ziehen irgendwann weiter ins "Abseits", eine Kneipe. Am nächsten Tag wird ausgeschlafen, und dann geht es wieder los. Außer am Sonntag, der ist Erholungstag. Und Augustiner ist ihr Lieblingsbier - nur in Notfällen wird ausnahmsweise das Freisinger Urhell getrunken, etwa dann, wenn das geliebte "Gustl" ausverkauft ist.

Die Isar ist so beliebt bei den Jugendlichen, weil sie dort ganz in Ruhe ihren Abend verbringen können. Manchmal kontrolliert die Polizei wegen des Alters oder der Drogen, aber ansonsten sind die Jugendlichen hier für sich. "Wir können Musik hören, ohne die Anwohner zu stören, es ist zentral und trotzdem genug Platz für alle", freut sich Cari, die froh um diesen schönen Platz ist. "In der Innenstadt können wir nicht feiern, da werden wir nur als Verschlechterung des Stadtbilds wahrgenommen", sagt Sasha, "und in Freising gibt's ja sonst nix".

Knutschende Pärchen, tiefsinnige Gespräche

Das Gelände haben die Jugendlichen schon zweckmäßig für sich aufgeteilt. Auf die Treppe hinter der Korbiniansbrücke zieht man sich für tiefsinnige Gespräche zurück, es gibt eine spezielle Bank für knutschende Pärchen; wenn einer "mal muss", geht er in den Wald, und ein langer flacher Weg wird zum "Flunkyball"-Spielfeld. Bei dem beliebten Trinkspiel treten zwei Mannschaften gegeneinander an. Wenn die eine Mannschaft den zwischen den Linien platzierten kegelähnlichen Gegenstand umwerfen konnte, darf sie in der Zeit, in der die andere Mannschaft den Kegel wieder aufstellt, ihr Bier trinken. "Unsere Nationalsportart", lacht Martin.

Die Jugendlichen haben viele Ideen, wie man ihr geliebtes Fleckchen Erde noch verbessern könnte. "Eine Dönerbude hier an der Isar wäre super", finden die Jungs, die abends immer Heißhunger bekommen. Ihr großer Traum wäre aber, mal ein Live-Konzert mit einem ihrer Idole an der Isar zu erleben. "Man könnte hier ein ganzes Festival veranstalten", träumt Simon. Und Timo bestätigt mit leuchtenden Augen: "Das gäbe einen riesigen Andrang."

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Dabei ist den Jugendlichen wichtig, ihren Ort zum Feiern auch sauber zu halten. Es herrscht eine Gruppendynamik, bei der sich die Feiernden gegenseitig zu Sauberkeit anhalten. "Unsere Flaschen stellen wir den Pfandsammlern hin. Die machen den Sommer über bestimmt ein halbes Vermögen mit uns", sagt Timo. Bei dem Problem mit dem Müll sei allerdings auch die Stadt säumig, die nicht in regelmäßigen Abständen die aufgestellten Mülleimer leere. "Selbst mit den besten Vorsätzen kann ich meinen Müll nicht entsorgen, wenn der Mülleimer überquillt", erklärt Cari.

Je später der Abend, desto größer wird die Gruppe, immer mehr stoßen dazu. "Was geht", begrüßt man sich. "Nix, chillen", kommt die immer gleiche Antwort. Doch so wenig ist "nix" gar nicht in dieser eigenen Lebenswelt an der Isar. Es beschreibt eine ganz eigene Kultur.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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