Forschungsprojekt:Hitlers eifrige Helfer

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Der Festzug zum Tag der Deutschen Kunst auf der Ludwigstraße in München am 10. Juli 1938. (Foto: Scherl/SZ-Photo)
  • Was die Politik der Nazis in München konkret bedeutete, entschied sich vielfach ganz lokal in den Referaten der Stadt. Die einen wurden drangsaliert, die anderen gefördert, das Regime vernetzte sich.
  • Nun ist ein Forschungsprojekts der Rolle Münchens während der NS-Zeit auf den Grund gegangen. Im Rahmen des Projekts sind drei umfangreiche Arbeiten entstanden.
  • Hier stellen wir Ihnen die Ergebnisse der drei Bände vor.

Von Jakob Wetzel

Für Historiker schien die Sache lange klar zu sein: Der Staat der Nazis war straff geführt, zentral gelenkt und im Einzelnen von der Partei beherrscht - wen interessierte da schon, was eine kleine Kommunalverwaltung tat? Man habe sich lieber auf die Regierung in Berlin, auf einzelne Personen und auch auf Herrschaftsstrukturen konzentriert, sagt der Münchner Geschichtswissenschaftler Hans Günter Hockerts. Die Analyse von Strukturen sei ja auch bequem gewesen: Man musste keine Namen nennen und trat niemandem zu nahe. Doch diese Zeit ist vorbei.

Die Stadt soll lediglich Befehlsempfängerin gewesen sein? In München zeigen angehende Historiker derzeit, wie falsch diese Vorstellung war. Denn was die Politik der Nazis konkret bedeutete, wie die einen drangsaliert, die anderen gefördert wurden, wie das Regime sich am Ort präsentierte oder vernetzte, entschied sich vielfach erst in den Referaten der Stadt.

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Am Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) koordinieren Historiker seit 2009 ein ehrgeiziges Forschungsprojekt, das vor allem von Doktoranden vorangetrieben wird; sie arbeiten mit dem Stadtarchiv zusammen. Nun legen sie drei Bände mit Ergebnissen vor.

München sei damit Vorreiter, sagen der emeritierte Lehrstuhlinhaber Hockerts und seine Nachfolgerin Margit Szöllösi-Janze: Für andere Städte gebe es zwar vereinzelt Studien, nirgends aber forsche man so umfassend und langfristig wie hier. Dabei sei der Anstoß aus der Stadtverwaltung selbst gekommen: 2007 fragte das Referat für Gesundheit und Umwelt bei der LMU an, ob die Uni die Geschichte des Hauses untersuchen wolle. Später kam eine Anfrage des Sozialreferats. 2009 entschied dann der Stadtrat, die Geschichte der ganzen Verwaltung untersuchen zu lassen, und zwar von einer unabhängigen Stelle, nicht einfach vom Stadtarchiv.

"Hut ab", sagt Hockerts dazu. Die LMU wolle aber nicht nur Lokalforschung betreiben, sondern am Beispiel München zeigen, wie das Herrschaftsgefüge im Nazi-Reich generell funktionierte, welche Handlungsspielräume die Kommunen tatsächlich hatten, wie das Regime versuchte, die Bürger an sich zu binden, wie diese sich verhielten - und auch, was in München, dem Geburtsort der NSDAP, vielleicht besonders war.

Die Kommunen waren ein offener Raum

Stelle man sich das Nazi-Regime als ein Gebäude vor, dann seien die Stadtverwaltungen das Parterre gewesen, sagt Szöllösi-Janze - also derjenige Ort, an dem die Bürger mit dem Regime in Kontakt traten. Wo sonst? Dabei seien die Kommunen nicht zuletzt ein offener Raum gewesen, ein Ort, an den die Bürger Beschwerden richten konnten, ohne dabei zu riskieren, in ein Konzentrationslager gesperrt zu werden, ergänzt Hockerts. So finden sich in den Akten Klagen etwa über steigende Verkehrstarife ebenso wie darüber, Juden würden heimlich öffentliche Bäder nutzen, obwohl es ihnen verboten sei.

In der Vergangenheit publizierten die Forscher bereits Analysen über die städtische Sozial- und Gesundheitspolitik, künftig sind Studien über die Stadt als Arbeitsplatz und über die Ratsherren geplant. Die nun vorgestellten Bände widmen sich den städtischen Verkehrs- und Versorgungsbetrieben sowie Münchens Finanzen, zudem erscheint ein Sammelband zur Image-Politik der Stadt. Beginn ist im Stadtarchiv an der Winzererstraße 68 um 19 Uhr.

Gezeigt wird dabei außerdem ein München-Werbefilm von 1939: ein Film, der München als Touristenziel präsentieren und dabei werbewirksam den Aufstieg der Nazis in all das Brauchtum, die Kultur und die sprichwörtliche bayerische Gemütlichkeit einbetten sollte. Das Ergebnis freilich habe dem Regime nicht gefallen, sagt Szöllösi-Janze: Wegen einer Panne seien die staatlichen Zensurbehörden nicht eingebunden gewesen. Nun wirkten die Nazis in dem Film wie ein dunkler Fremdkörper. Der Image-Film wurde daher einzogen, er durfte nicht mehr gezeigt werden.

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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