Feuerwehr:"Dieses Jahr knacken wir die Million Notrufe"

Leitstelle der Feuerwehr, Heßstr. 120, Feuerwache 4, Schwabing

Insgesamt 20 Einsatzleitplätze befinden sich in der Integrierten Leitstelle, dazu zehn Notrufannahmen.

(Foto: Florian Peljak)

Die städtische Feuerwehr sitzt nun in einer topmodernen Leitstelle an der Heßstraße. Den Dachstuhlbrand von der Schnittwunde zu unterscheiden, bleibt trotzdem schwierig.

Von Thomas Jordan

Da braut sich gerade was zusammen im Norden von Schwabing. Ein ums andere rot-gelbe Feuerlöschfahrzeug blinkt auf dem Bildschirm ganz links vor Kevin Holzner auf. "Wohnung öffnen akut"- so heißt das in der Sprache der Telefonisten der Rettungsleitstelle von Feuerwehr und Rettungsdienst.

Wahrscheinlich ein Zimmerbrand mit eingeschlossener Person, tippt Brandinspektor Holzner. Es ist einer von 56 laufenden Einsätzen an diesem Nachmittag in der Stadt und im Landkreis München. Die Lage sei "richtig ruhig", kommentiert Holzner, der an seinem imposanten Schreibtisch mit den sechs aneinandergereihten Bildschirmen über Headset die eingehenden Notrufe annimmt.

Holzner, knapp 1,90 Meter groß, breite Schultern, dicker silberner Ring am Zeigefinger, die Haare nach oben gegelt, steht an einem der 20 halbkreisförmigen Pulte im "Führungsraum" der neuen integrierten Rettungsleitstelle der Feuerwehr in der Heßstraße in Schwabing. Seit gut vier Wochen sind der 37-Jährige und seine knapp 80 Kollegen von der Leitstelle in der neuen Feuerwache 4 untergebracht.

Kevin Holzner hat eine beruhigende, vertrauenserweckende Stimme, er spricht mit leichtem bairischem Einschlag. Ein bis eineinhalb Minuten braucht er, bis er weiß, wie dramatisch die Lage bei einem Notruf ist, und ob ein Rettungswagen reicht oder der Notarzt lieber gleich mitfährt. Da könne er manchmal im Gespräch auch etwas "vehement" werden, sagt er, schließlich soll so schnell wie möglich Hilfe vor Ort sein.

Mit dem Umzug von der Schwanthalerhöhe nach Neuhausen an der Grenze zu Schwabing und Maxvorstadt kommt dafür nun endlich auch bessere Technik zum Einsatz. "Früher mussten wir schätzen, wo der Bürger ist", sagt Holzner. Gerade bei Unfällen an Orten, die keine Hausnummer haben, war es für die Einsatzkräfte manchmal schwierig, die Unfallstelle ohne Zeitverlust zu finden. Nur maximal zehn Minuten sollten schließlich zwischen dem Eingehen eines Notrufs bis zur Abholung eines Verletzten vergehen. "Jetzt schicke ich die exakte Ortsangabe per GPS-Routing ins Navi der Rettungswägen."

Die neue Leitstelle hat aber nicht nur praktische, sondern auch "taktische Vorteile", wie ihr Leiter Florentin von Kaufmann betont. Man könne jetzt schneller abschätzen, wie dramatisch eine Lage sei, wenn alle Telefonisten und Disponenten in einem einzigen Raum zusammenarbeiten. Im alten Gebäude sei das aus Platzgründen nicht möglich gewesen.

Leitstelle der Feuerwehr, Heßstr. 120, Feuerwache 4, Schwabing

Kevin Holzner bleibt bei den vielen Anrufen kaum eine ruhige Minute.

(Foto: Florian Peljak)

"Bei spektakulären Einsätzen kommen oftmals mehrere Notrufe zum selben Thema. Wenn drei die Hand heben und über ein Feuer erzählen, dann weiß man schon: Da ist was." Gebe es dagegen nur einen einzigen Anruf zu einem Dachstuhlbrand, könne man sich fast sicher sein, dass "garantiert kein Dachstuhl brennt".

Es herrscht ein lockerer, leicht spöttelnder Ton in der Leitstelle. Die beiden Chefs, Oberbrandrat Florentin von Kaufmann und sein Stellvertreter, Brandrat Florian Hellmeier, kennen sich schon lange, beide haben Architektur studiert, bevor sie hauptberuflich zur Feuerwehr gingen. Vielleicht braucht man ein paar Späße zwischendurch zum Durchschnaufen in einer Einrichtung, die nonstop dafür zuständig ist, Menschen zu retten, und dabei höchste Konzentration verlangt.

Nachts vertreten sie das Rathaus

"Dieses Jahr knacken wir die Million Notrufe", sagt Hellmeier. Neben den knapp 3000 Anrufen, die täglich eingehen, ist das knallrote, vierstöckige Feuerwehrgebäude in der Heßstraße auch noch "Meldekopf" der Stadt München. Wer außerhalb der üblichen Sprechzeiten im Rathaus anruft, kommt in der Heßstraße raus. Im Notfall werden von dort aus die Verantwortlichen alarmiert. "Da haben wir schon so manchen aus der Oper geholt", grinst von Kaufmann.

Der 45-jährige Münchner kam vor mehr als acht Jahren als neuer Leiter, da war der gleichaltrige Hellmeier schon drei Jahre da. Und hatte schon fleißig Grundrisse für die neue Leitstelle gezeichnet. "Es gibt sogar ein Hellmeier-Fenster", sagt von Kaufmann. Der umtriebige Stellvertreter Hellmeier hatte mit seinem architektonisch geschulten Blick auf den Bauplänen erkannt, dass es ganz hinten in der Ecke des Führungsraumes zu dunkel sein würde, dort, wo die Rettungshubschrauber für ganz Bayern koordiniert werden. Kurzerhand zeichnete er selbst ein Fenster ein. "Und ich durfte es dann durchsetzen", sagt von Kaufmann.

Zieht man Banalitäten ab, bleiben täglich 100 schwere Fälle

Die Mitarbeiter der Leitstelle sind jedenfalls zufrieden mit dem Neubau in Schwabing. "Weitaus luxuriöser als früher" seien die neuen Räume an der Heßstraße, sagt Kevin Holzner, der sich im Gemeinschaftsraum gerade einen Kaffee macht. Durch eine offene Glastür geht man von hier aus in den Fernsehraum mit Massage-Sessel, in dem sich die Mitarbeiter in ihren Bereitschaftszeiten erholen können.

Geradezu drängen muss man sich in den zwei kleinen Fitness- und Gymnastikräumen ein paar Stockwerke darunter. Die große Turnhalle, die sich ebenfalls in dem vierstöckigen Gebäude versteckt, ist an diesem Nachmittag dagegen leer. "Jeder Feuerwehrler ist angehalten, eine Stunde Sport pro Tag zu machen, um fit zu bleiben", erklärt Holzner. In der neuen Leitstelle gibt es nun die Räume dafür.

Und weil eine Schicht hier 24 Stunden dauert, gibt es in dem vierstöckigen Gebäude auch Schlafräume. Immer zwei Feuerwehrleute teilen sich ein Doppelzimmer, Duschen und Toiletten sind für vier Leute ausgelegt. Früher waren es 20, die sich die sanitären Analgen teilten. Von echtem Luxus ist die neue Feuerwache 4 aber so weit entfernt wie eine Jugendherberge vom Hotel Vier Jahreszeiten.

Es ist ein kleiner Kosmos für sich, die Welt der durchtrainierten Kommunikationsprofis von der Feuerwache 4. "Wir fangen uns auch mal gegenseitig auf bei negativen Erlebnissen", sagt Holzner. Und davon gibt es viele, wenn man jeden Tag die Geschichten von Dutzenden Verletzten, manchmal Toten zu hören bekommt. 60 Anrufe können im Führungsraum gleichzeitig angenommen werden, auf den Bildschirmen vor sich sehen die Telefonisten, wie viele gerade warten. 90 Prozent der eingehenden Anrufe pro Tag seien "Banalitäten", wie Oberbrandrat von Kaufmann sagt, "von heftigeren Schnittwunden bis zu hingefallen, Hax' gebrochen".

Zieht man all die Fehlalarme und die Krankentransporte ab, bei denen kein Notfall vorliegt, blieben aber immer noch gut hundert schwere Fälle pro Tag übrig. "Das sind dann größere Zimmerbrände, Bombenfunde, Verkehrsunfälle mit eingeklemmter Person." Und in Ausnahmesituationen wie zuletzt bei einem Sturmtief können es dann in 24 Stunden schon mal 15 000 Anrufe in der Rettungsleitstelle sein.

Leitstelle der Feuerwehr, Heßstr. 120, Feuerwache 4, Schwabing

Im Neubau der Feuerwache 4 sind auch die Berufsfeuerwehr, die Abteilung "Mitte" der Freiwilligen Feuerwehr sowie der Katastrophenschutz untergebracht.

(Foto: Florian Peljak)

Wie geht der Telefonist Kevin Holzner mit all dem Stress um? "Mein Rekord sind 15 Tassen Kaffee", sagt der 37-Jährige. Was ihm aber mehr als der Kaffee helfe, um mit all den negativen Nachrichten klarzukommen, sei die mentale Fokussierung. "Am Abend muss im Kopf jeder Einsatz abgeschlossen sein." Zwischen zwei Notrufen macht er da schon mal ein paar Atemübungen, damit er sich wieder voll konzentrieren kann.

"Die Leute rufen schließlich an, weil sie in der aktuellen Situation hilflos sind." Und wenn das Telefon dann mal länger als eine Minute nicht läute, dann frage er sich, ob die Anlage vielleicht kaputt sei. Andererseits: "Wenn wir nichts zu tun haben, geht's dem Bürger gut". Allzu häufig kommt das allerdings in München nicht vor.

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