Fassbinder-Stück am Residenztheater:Wie wir begehren

Unter Martin Kusej ist das Residenztheater bislang nicht so richtig in die Gänge, dafür manchmal ganz schön aus der Kurve gekommen. Doch nun ist der Erfolg da - mit dem Fassbinder-Stück "Die bitteren Tränen der Petra von Kant". Und der Zuschauer fühlt sich ertappt, ein mieser kleiner Voyeur zu sein.

Christine Dössel

Martin Kusejs Intendanz am Münchner Residenztheater startete mit einer Fehlzündung. In seiner Eröffnungsinszenierung erkundete der sonst so entschlossene Freischärler der Regie Schnitzlers Weites Land mehr mit dem Monokel als mit der Machete und machte daraus ein für seine Verhältnisse erstaunlich konventionelles Konversationstheater. Seither ist das Haus nicht so richtig in die Gänge, dafür manchmal ganz schön aus der Kurve gekommen.

Fassbinder-Stück am Residenztheater: Ein Wahnsinns-Parforceritt im Flaschenfeld: Bibiana Beglau in Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant".

Ein Wahnsinns-Parforceritt im Flaschenfeld: Bibiana Beglau in Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant".

(Foto: Hans Jörg Michel/Residenztheater)

Jetzt aber ist er endlich da, der Erfolg, der vielleicht den Durchbruch bedeutet - oder zumindest den Anfangskrampf löst. Die bitteren Tränen der Petra von Kant ist ein großer Theaterabend auf kleiner Bühne, inszeniert vom Hausherrn persönlich als Auftakt einer Reihe zu Ehren des 1982 in München verstorbenen Rainer Werner Fassbinder.

Vier internationale Gastspiele werden bei "Postparadise Fassbinder Now" im Marstall bis Ende des Monats zu sehen sein, begleitend dazu gibt es Filme, Lesungen, Gespräche - ein kleines Festival für RWF zu dessen 30. Todestag.

Die bitteren Tränen der Petra von Kant ist ein Kammerspiel über die Ökonomie und Machtpolitik in menschlichen Beziehungen, das im Pelzmäntelchen eines lesbischen Liebesmelodrams daherkommt. Fassbinder hat es 1972 verfilmt, ohne aus der Genese des Stoffs als Bühnenstück einen Hehl zu machen. Es ist, im Gegenteil, ein ausgesprochen theatralischer, nie je den plüschig dekorierten Innenraum verlassender, ganz auf die - weniger handelnden als sprechenden - Figuren konzentrierter Film.

Margit Carstensen gibt darin mit theaterdivenhafter Extravaganz die mondäne Titelheldin, eine berühmte Modeschöpferin, die gerade ihren zweiten Gatten und längst auch sich selbst verloren hat. Als sie das Model Karin Thimm kennenlernt (gespielt von der jungen Hannah Schygulla), verliebt sich Petra auf Anhieb und fängt mit der karrierebewussten Blondine ein Verhältnis an. Es wird ihr das Herz brechen - auch wenn das, was Petra für Liebe hält, nur eine spezielle Form von Geschäfts- und Abhängigkeitsbeziehung ist.

Nur noch sich selbst gespiegelt

Wie der Film spielt auch Kusejs Inszenierung in einem abgekapselten Raum ohne Außenperspektive, einem Gefängnis, das die Menschen vom eigentlichen Leben trennt und auf sich selbst zurückwirft. Einen fabelhaften Kasten hat ihm Bühnenbildnerin Annette Murschetz dafür mitten in den Marstall gebaut: An allen vier Seiten von halbdurchsichtigem Spiegelglas umgeben, gewährt dieser Guck-Kasten, um den herum die Zuschauer sitzen, je nach Lichtschaltung Einblick in sein helles, steriles Inneres - oder eben nicht.

In den vielen Blacks, die Kusej setzt, verschwindet der Raum plötzlich wie im Nichts, dann sehen die Zuschauer im schwarzen Glas nur noch sich selbst gespiegelt. Es ist ein faszinierendes Vexierspiel mit Schwarzweiß- und Reflexionseffekten, das Kusej da gelingt - eine Art Schauprozess über den Kapitalismus unserer modernen Gefühlswelt, hart, eindringlich, frostig kalt.

Entblößte Figuren

Schlaglichtartig setzt Kusej die Lebensgefängnisinsassen des Stücks unseren (Ein-)Blicken aus, führt deren Seelenstriptease als Peepshow vor. Dazwischen die Blacks mit ihrem teils aggressiven Funktionsstörungs-Soundtrack (Musik: Jan Faszbender) - die Pausen wirken, als müsse man Münzen nachwerfen. Es ist ein sehr intimer Theaterabend, er entblößt die Figuren, denunziert sie aber nicht, er gaukelt uns hautnahe Teilnahme vor, bleibt aber hinter der Scheibe. Man muss an diese Einwegspiegel bei Polizeiverhören denken und fühlt sich dabei ertappt, ein mieser kleiner Voyeur zu sein. Auch das gehört zu den bitteren Tränen: dass man sie (er)kaufen kann.

Hans Jörg Michel Residenztheater

Weiß, wie man mit dem Körper Karriere macht: Andrea Wenzl als Karin.

(Foto: Hans Jörg Michel/Residenztheater)

Der schneeweiße Boden im Kasten-Inneren ist übersät mit leeren Glasflaschen. Sie sind, bevor sie mit zunehmendem Wut-, Liebes- und Leidensfuror von den Darstellerinnen umgemäht, zerbrochen und später mit weißen Matratzen überlagert werden, fein säuberlich angeordnet, eine Monokultur des schönen Scheins, leer, hohl und fragil wie Petra von Kants Luxusleben. In dieser Welt aus Glas, deren Zersplitterungsgefahr der suggestive Soundteppich in klirrenden Klängen aufgreift, geht Petras Restsehnsucht nach Nähe und Liebe scheppernd zu Bruch.

Wie die wunderbare Bibiana Beglau das spielt, wie sie von herrischer Arroganz in den zärtlichen Modus einer Liebenden mit Suchttendenz und maßlosem Besitzanspruch wechselt, um am Ende Höllenqualen des Schmerzes zu durchstehen, wie kalt und glühend sie sein kann, wie hochfahrend und am Boden zerstört, wie sie das alles aus ihrem schmalen, knochigen Körper zu holen und diesen selbst ins Spiel zu bringen, ja schier aufs Spiel zu setzen versteht - das ist ganz große Klasse. Ein Wahnsinns-Parforceritt auf Monster-High-Heels, quälend manchmal, dem zuzusehen.

Ohnehin ist das schauspielerisch ein starker Abend. Sechs Frauen - alle gut. Knapp bekleidet und selbstbewusst-sexy wie eine von Castorfs Berliner Volksbühnen-Ladies stakst Andrea Wenzl mit Blondhaarperücke in und über das Flaschenfeld. Als Jungmodel Karin mit düsterem Familienhintergrund und handfesten Berufsplänen verfügt sie über eine aufreizende Luder-Mischung aus Kleinmädchen- und Sex-Appeal und wandelt dabei hinreißend kokett auf den Spuren von Kathrin Angerer und Birgit Minichmayr. Wunderschön die nächtliche Liebesszene zwischen ihr und Petra. Kusej, eben doch ein verkappter Romantiker, spielt dazu Johnny Cashs "The first time ever I saw your face". Das macht danach die Fallhöhe noch größer.

Aber auch die Nebenfiguren sind präzise gesetzt und von Michaela Steiger (Petras Vamp-Freundin Sidonie), Elisabeth Schwarz (Mutter) und der herrlich frischen Elisa Plüss (Tochter Gabi) pointiert gezeichnet. Sie alle sind Schmarotzer im Macht- und Geldimperium der Petra von Kant, welches selber als Ausbeutungssystem funktioniert.

Devote Sklavin in diesem Privatwirtschaftsgeflecht ist Marlene, Petras stets stumm anwesende Assistentin, der Chefin in unerfüllter Liebe ergeben. Sophie von Kessel ist in dieser Rolle mit bubenhafter Kurzhaarfrisur so etwas wie ein lebendes Menetekel, der schwarze Rabe der Aufführung, gespenstisch, hochkonzentriert, unheilvoll. Mit aufgerissenen, tief umschatteten Augen, die nie blinzeln, schreitet sie in strenger Gouvernanten-Robe den Raum aus. Fassbinder lässt Marlene am Ende wortlos gehen. In Kusejs Sado-Maso-Gruselkabinett wählt sie einen anderen Ausweg.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: