Ebersberg:700.000 Euro von der Kasse: Arzt trickst bei Abrechnungen

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Manchmal zwingt einen das System zum Schwindeln. Vielleicht war dieser Fall ein solcher (Symbolfoto). (Foto: Marijan Murat/dpa)

Ein Mediziner aus dem Landkreis Ebersberg will seine Praxis retten. Nun ist er wegen Betrugs angeklagt - auch, weil er ein Detail übersehen hat.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Es ist schon ein skurriler Fall, der gerade vor dem Ebersberger Amtsgericht verhandelt wird. Ein Herz- und Lungenspezialist aus dem Landkreis Ebersberg soll viereinhalb Jahre lang bei Patienten-Abrechnungen betrogen und seine Praxis so um knapp 700 000 Euro bereichert haben. Weil ihm die Prüfer der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) draufkamen, steht er dort seit längerem in der Kreide. Am Mittwoch begann nun der Strafprozess gegen den Mediziner. Es muss geklärt werden, ob er tatsächlich vorsätzlich betrogen hat, oder ob der Tatbestand weniger schwer wiegt - auch dafür gibt es eine Reihe von Hinweisen.

Die Staatsanwaltschaft München II wirft dem Angeklagten Betrug vor. Kein Zweifel besteht daran, dass er viereinhalb Jahre lang jeden Monat zwischen 20 000 und 35 000 Euro zu viel für Behandlungen abgerechnet hat, dies räumte er vor Gericht schriftlich ein. Die entscheidende Frage ist nun, wie Amtsrichter Markus Nikol das Ganze bewertet. Weil die Zeugenaussagen bis Mittwochnachmittag kein eindeutiges Bild ergaben, wurde der Prozess unterbrochen. Am Freitag, 28. Juli, wird die Verhandlung mit einem wichtigen Zeugen fortgesetzt. Um 10 Uhr geht es los, wahrscheinlich kommt es dann zu einem Urteil.

Bei der Schuldfrage geht es in die Details. Dem Facharzt wurde zum Verhängnis, dass er bei etwa 16 000 Patienten zwei verschiedene Behandlungen in einer Sitzung vornahm, dafür aber in der Abrechnung zwei unterschiedliche Tage als Termin angab, dies räumte er vor Gericht schriftlich ein. Korrekt wäre gewesen, die Behandlungen in zwei Sitzungen zu zwei Terminen durchzuführen, so erklärten es mehrere Zeugen von der KVB. Die Honorarprüfer der Kasse waren auf den Arzt aufmerksam geworden, weil die Umdatierungen den Eindruck vermittelten, dass er übermäßig viele Überstunden machen würde. Im Plausibilitätsgespräch mit KVB-Prüfern räumte er dann "einen Fehler" ein.

Für zwei Behandlungen muss ein Patient zwei Termine machen

Sehr deutsch an diesem Fall ist, dass dieser Fehler wahrscheinlich nie aufgefallen wäre, hätte der Arzt ein kleines bürokratisches Detail beachtet: Die Zeugen der KVB erklärten, dass es durchaus erlaubt sei, einen Patienten am Tag erst am Herzen und dann an der Lunge zu behandeln. Allerdings muss ein Patient dann zweimal kommen. "Also vor dem Mittagessen und danach nochmal?", fragte Verteidiger Hans-Jörg Webe . Ja, so erklärte es der Teamleiter der KVB-Prüfer, das wäre okay gewesen. Ein Arzt, der auf zwei Fachgebiete spezialisiert ist, muss seine Patienten also zweimal einbestellen. Vormittags zur Herzbehandlung, nachmittags zur Lungenuntersuchung. Anwalt Weber schaute selbst leicht ungläubig drein.

Der Angeklagte sagte während der Verhandlung nichts, für ihn ist der Fall eine existenzielle Angelegenheit. Mehr als eine halbe Million Euro hat er bereits an die KVB zurück gezahlt, 120 000 Euro stehen noch aus. Seine Praxis im Landkreis Ebersberg hat der Facharzt verkauft, seit Juni werden ihm jedes Jahr 4000 Euro gepfändet. Zwischendurch habe er seine Arztzulassung abgegeben, hieß es von der Verteidigung. Ob er sie inzwischen wieder hat, ließ sich nicht restlos klären, seine Verteidiger beantworteten wegen des laufenden Prozesses keine Nachfragen.

Warum aber wählte ihr Mandant überhaupt diesen riskanten Weg? Ausschlaggebend war womöglich, dass die KVB ihre Abrechnungspraktiken änderte, dadurch, so die Verteidigung, sei die Praxis in finanzielle Nöte geraten, eine Mitarbeiterin hätte er damals bereits entlassen müssen. Einbußen von 40 Prozent hätten einen Weiterbetrieb der Praxis unmöglich gemacht, hieß es in einem Schreiben des Arztes, das Richter Nikol im Gerichtssaal vorlas.

Es sei dem Internisten also nicht darum gegangen, sich zu bereichern, sondern die Praxis zu retten und Nachfragen von der Kasse zu vermeiden. Die Verteidigung argumentierte zudem damit, dass ihr Mandant bei all dem stets das Wohl der Patienten im Sinn gehabt hätte. "Er hat die Leistungen abgerechnet, aber auch erbracht", sagte Weber. Nur eben zum falschen Zeitpunkt.

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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