Offener Brief:Leiter von KZ-Gedenkstätten warnen vor AfD

Sonnenuntergang

In der KZ-Gedenkstätte Dachau geht die Sorge um die bundesdeutsche Erinnerungspolitik um.

(Foto: Niels P. Jørgensen)
  • Die Leiter mehrerer KZ-Gedenkstätten befürchten einen "schweren Schaden für die Erinnerungskultur", wie es in einer gemeinsamen Presseerklärung heißt.
  • Es dürfe nicht zugelassen werden, dass die parlamentarische Stimme bundesdeutscher Kulturpolitik in den Händen jener liegt, die eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert haben.

Von Helmut Zeller, Dachau

Der Aufstieg der rechtsextremen AfD zur drittstärksten Kraft im Bundestag lässt erschreckende Folgen für die Erinnerungspolitik in Deutschland befürchten. Daran lassen Aussagen einzelner AfD-Vertreter vor der Wahl kaum Zweifel. So hatte etwa der thüringische Landeschef Björn Höcke das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet, oder der Spitzenkandidat Alexander Gauland, der forderte, dass man auf die deutschen Soldaten beider Weltkriege "stolz" sein solle.

Für die KZ-Gedenkstätte Dachau, die sonst kaum politische Stellungnahmen abgibt, ist das Maß voll. Sie warnt vor einer möglichen Übernahme des Vorsitzes im Kulturausschuss durch einen AfD-Politiker. Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte, steht nicht allein: Auch die anderen vom Bund institutionell geförderten Gedenkstätten, Bergen-Belsen, Buchenwald, Flossenbürg, Mittelbau-Dora, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen befürchten "schweren Schaden für die Erinnerungskultur", wie es in einer gemeinsamen Presseerklärung heißt.

Es dürfe nicht zugelassen werden, dass die parlamentarische Stimme bundesdeutscher Kulturpolitik in den Händen jener liegt, die eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert haben. Die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten unterstützt deshalb eine überparteiliche Initiative von Kulturschaffenden in Deutschland. Sie hat sich mit einem "Offenen Brief - Für Freiheit und Vielfalt in Kunst und Kultur" an den Ältestenrat des Bundestages gewandt. Die Historikerin Hammermann und ihre Kollegen teilten, so die Presseerklärung, die Sorge, dass bei Übernahme des Vorsitzes im Ausschuss für Kultur und Medien durch einen Vertreter der AfD-Fraktion im In- und Ausland beträchtlicher Schaden drohe.

Die Erklärung wurde von zehn Gedenkstättenleitern unterzeichnet, unter anderem von Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, von Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Bayern. Auch Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald-Dora, der das Dachauer Symposium für Zeitgeschichte mitgestaltet, warnt eindringlich: In einem langen Prozess der gesellschaftlichen Verständigung habe sich eine bundesdeutsche Erinnerungskultur entwickelt. "Die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen ist ein unverzichtbarer Bestandteil des demokratischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland. Sie wird von maßgeblichen Funktionsträgern der AfD infrage gestellt." Gauland und andere wollen offenbar einen Schlussstrich ziehen: Man müsse den Deutschen "diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten".

Die KZ-Gedenkstätten fordern die Bundestagsfraktionen, die sich der Freiheit der Kultur und dem Gedenken an die Opfer des NS-Regimes verpflichtet wissen, dazu auf, eine Übernahme des Ausschussvorsitzes durch die AfD-Fraktion zu verhindern. Das verlangen neben Politikern aller zuletzt im Bundestag vertretenen Parteien Kulturschaffende wie die Schauspielerin Iris Berben, Shermin Langoff, Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin, Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, und Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins.

Doch so einfach ist das nicht: Der Ältestenrat hat auf die Zusammensetzung der Ausschüsse keinen unmittelbaren Einfluss, außerdem sind auch in diesem Gremium alle Fraktionen vertreten - künftig also auch die AfD. Die Fraktionen handeln die Ausschussvorsitzenden unter sich aus, einigen sie sich nicht, wird eine mathematische Formel angewendet. Ob die AfD den Kulturausschuss übernehmen könnte, ist noch völlig unklar.

Die Kulturpolitik ist Ländersache, der Bundestagsausschuss kümmert sich um die kulturellen Institutionen von gesamtstaatlichem Interesse. Er befasst sich mit der deutschen Erinnerungskultur, der europäischen Kulturpolitik und internationalen Kulturbeziehungen. Doch die politische Kultur hat schon Schaden genommen: Die AfD, eine völkisch-nationalistische, islamfeindliche und mitunter antisemitische Partei, droht, den mühsam errungenen Konsens über die Notwendigkeit des Erinnerns zu zerstören.

Auch die Holocaust-Überlebenden sehen den Aufstieg der AfD mit Sorge. "Mit ihrer Wahl wird in den Deutschen Bundestag eine menschenverachtende Kälte einziehen, die Überlebende des Holocaust gerade in Deutschland für überwunden gehalten hatten", teilte der Exekutiv-Vizepräsident des Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, mit.

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