Landkreis:Bewegende Auftaktveranstaltung zur Themenwoche Demenz

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Hilfsangebote für Demenzkranke wollen Annerose Stanglmayr, Sabine Tschainer und Christa Kurzlechner (von links) noch besser bekannt machen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Einhelliger Rat der Experten: Nur gemeinsam können Angehörige und Helfer Betroffene auffangen.

Von Petra Schafflik, Dachau

Wie sie sich 1939 spontan für den Schuldienst beworben hat, als der Dorflehrer in die Armee einrücken musste, daran erinnert sich Irene genau. "Und ich wurde genommen" - ihr Gesicht, vom Alter gezeichnet, strahlt. Lebendig und präzise erzählt die ehemalige Lehrerin von ihrem Berufsleben, doch als es in den Speisesaal des Altenheims gehen soll, in dem sie lebt, ist sie irritiert: "Speisesaal, was ist das?" Eindrucksvolle Gespräche mit Menschen, die wie Irene an Demenz erkrankt sind, hat der Medienpädagoge und Fotograf Josef Jonietz in einer "Black Box Demenz" zusammengestellt. Zu sehen war seine Präsentation am Sonntag im Adolf-Hölzel-Haus, wo mit einer Auftaktveranstaltung die Themenwoche "Demenz" im Landkreis eröffnet wurde. Ziel sei es, Hilfs- und Unterstützungsangebote stärker bekannt zu machen, die Erkrankung in den öffentlichen Blick zu rücken, erklärte Landrat Stefan Löwl (CSU). In einer alternden Gesellschaft werden mehr Menschen an Demenz erkranken. "Da hilft nicht schönreden und ignorieren, nur hinschauen", sagte Löwl. Noch ist das öffentliche Interesse für das schwierige Thema ausbaufähig: Der Landrat sprach vor knapp 30 Zuhörern.

Interesse bekundeten an der Demenz-Veranstaltung vor allem Fachleute: Im Publikum waren neben Mitarbeitern der Beratungsstellen im Landratsamt und Vertretern sozialer Verbände mit dem Röhrmooser Bürgermeister Dieter Kugler (CSU) und Kreisrat Sebastian Leiß (FW Dachau) nur zwei Kommunalpolitiker. Die interessierten Bürger im Saal ließen sich dagegen an einer Hand abzählen. "Vielleicht können und wollen sich noch nicht alle mit dem Thema beschäftigen", mutmaßte der Landrat. Gerade weil Angehörige von Demenzkranken in der Betreuung permanent präsent sein müssten und daher "angebunden sind", sei der Saal nicht dichter besetzt, vermutete der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath, während Organisatorin Christa Kurzlechner hofft, dass sich das Interesse noch entwickelt und zu den 14 Veranstaltungen, die bis kommenden Sonntag auf dem Programm stehen, "noch möglichst viele kommen."

Ausbau von Unterstützungsangeboten

Schon die Auftaktveranstaltung bot mehr als nur offizielle Grußworte. Nicht nur die vom Dachauer Forum organisierte Black Box Demenz bot einen eindringlichen Zugang zum Thema. Auch das sachliche, dabei nicht minder bewegende Statement der Dachauerin Renate Kornführer berührte die Zuhörer. Kornführer schilderte, wie sie die Alzheimer-Erkrankung bei ihrem Mann Helmut erlebt und begleitet hat. Als dem kompetenten Experten - "seine Leidenschaft galt der Ornithologie, der Jagd und dem Fischen" - fast unmerklich langsam die Organisation seines Alltags aus den Händen glitt, der Erkrankte aber selbst immer sagte: "Alles in Ordnung." Mit großer Offenheit schilderte Kornführer den Weg von der Diagnose zur Suche nach Unterstützungsangeboten, sie betonte die große Bedeutung eines engagierten sozialen Umfelds von der Familie bis hin zur verständnisvollen Nachbarschaft.

Schicksale wie diese werden angesichts einer alternden Gesellschaft häufiger werden. Um sich darauf vorzubereiten, beteiligt sich der Landkreis als eine von drei Regionen in Bayern an einer wissenschaftlichen Demenz-Studie, erläuterte Landrat Stefan Löwl. "Ziel ist es, die Versorgungssituation zu verbessern." Weil bei Demenz keine Heilung möglich ist, müsse sich der Fokus auf den Ausbau von Unterstützungsangeboten richten. Und die Gesellschaft sich öffnen für ein Miteinander mit Betroffenen. "Demenz gehört zum Leben." Auch der CSU-Landtagsabgeordnete Seidenath plädierte dafür, die Erkrankung "rauszuholen aus der Ecke der Stigmatisierung." Christa Kurzlechner, die sich im Landratsamt um die demografische Entwicklung kümmert und die Veranstaltungsreihe organisiert hat, blickt schon in die Zukunft: "Es wird eines Tages normal sein, in Café oder Supermarkt auf Menschen zu treffen, die sich anders verhalten."

"Tüteligkeit" im Alter

Mit einem aufmunternden Ausblick ließ die Münchner Theologin und Gerontologin Sabine Tschainer die Veranstaltung ausklingen. Mit der öffentlichen Aufmerksamkeit nehme zwar auch die Angst vor Erkrankung zu. Aber nicht jede "Tüteligkeit" im Alter entwickle sich zur Demenz. Wer sich Sorgen macht um sich oder einen Angehörigen, dem riet Tschainer zur Differentialdiagnose in einer Fachklinik. "Nicht verdrängen, sondern sofort eine Gedächtnissprechstunde aufsuchen." Empfehlungen, mit Gehirnjogging, Bewegung, Rotwein oder Vitaminen einer Demenz-Erkrankung vorzubeugen, verwarf die Expertin. Wissenschaftliche Belege fehlten, "wir haben nichts." Angehörigen von dementiell Erkrankten riet sie mit Nachdruck, sich von Anfang an Unterstützung zu holen und ein Netzwerk aufzubauen. Nur so sei die enorme, auch emotionale Belastung zu verkraften. Die Versorgungssituation in Dachau beurteilt die Expertin schon jetzt durchaus positiv. "Der Landkreis ist gut aufgestellt." Genau auf diese vorhandenen Hilfsangebote stärker aufmerksam zu machen, das ist ein Ziel der Themenwoche, die noch bis kommenden Sonntag dauert.

Veranstaltungen der Themenwoche "Demenz" am Dienstag, 20. September: Vortrag "Gelungene Kommunikation trotz(t) Demenz" in Dachau, Bürgertreff-Ost (Ernst-Reuter-Platz 1a), 13 bis 17 Uhr; Marktplatz mit Aktionen und Informationsständen unter dem Titel "Gehirnschmalz - und wenn es nachlässt?" in Bergkirchen, Bruggerhaus (Römerstraße 3), 14 bis 16 Uhr, Vortrag "Vergesslichkeit im Alter - normal oder krank?" in Karlsfeld, Bürgertreff (Rathausstraße 65), Beginn 19.30 Uhr.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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