Die SPD-Basis zur Große Koalition:"Nicht in Stein gemeißelt"

Lesezeit: 3 min

Die Sozialdemokraten im Landkreis werden dem Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD wohl trotz Bauchschmerzen zustimmen. Sie fürchten sich aber auch nicht vor einem vorzeitigen Ende von Schwarz-Rot.

Von Helmut Zeller

Bis zum 12. Dezember haben die SPD-Mitglieder Zeit, ihre Stimme für oder gegen den 185 Seiten dicken Koalitionsvertrag abzugeben, der am Samstag in ihren Briefkästen landen soll. (Foto: dpa)

Der Juso-Kreisvorsitzende Sören Schneider hat ein vollgepacktes Wochenende: Seine Partei nominiert am Samstag die Landrats- und Kreistagskandidaten, nach der Marathonsitzung hilft er noch seinem Bruder beim Umzug - und dann ist da noch das 185 Seiten starke schwarz-rote Regierungsprogramm, das gründlich studiert werden will. Schließlich entscheiden der 27-jährige Dachauer und die etwa 475 000 anderen Mitglieder der SPD über die große Koalition. "Das ist eine große Verantwortung", sagt er. So viel weiß Schneider jedoch schon: Dem Koalitionsvertrag wird er eher nicht zustimmen. Das wäre, wie er sagt, das falsche Signal für die SPD-Wähler. Schneiders Position dürfte im 550 Mitglieder starken SPD-Kreisverband jedoch nur eine Minderheit vertreten. Vierkirchens Bürgermeister Heinz Eichinger rechnet mit einer satten Mehrheit für den Koalitionsvertrag.

Im 36 Mitglieder zählenden Ortsverein Vierkirchen jedenfalls zeichnet sich schon mal breite Zustimmung ab. Es hätte auch fatale Folgen, meint Eichinger, wenn der Koalitionsvertrag, den Union und SPD nach einem Verhandlungsmarathon am Mittwoch vorlegten, bei der Basis durchfiele. Die Sozialdemokraten hätten schon Verantwortung übernommen, als sie entschieden hatten, überhaupt in Koalitionsgespräche zu treten, sagt Bürgermeisterkandidat Harald Dirlenbach, SPD-Ortsvereinsvorsitzender in Vierkirchen. Dirlenbach sieht noch eine "Gefahr": Manche Genossen könnten in dem Koalitionspapier ihnen persönlich wichtige Punkte vermissen. Aber jedes Parteimitglied sollte das Gesamtergebnis im Auge haben, wie Dirlenbach meint.

Und da ist "deutlich SPD-Politik" dabei, erklärt der Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Martin Güll. "Wir müssen uns um die Menschen kümmern", sagt er. Die SPD habe viel reingebracht: Rente mit 63, doppelte Staatsbürgerschaft, flächendeckender Mindestlohn. Güll ist fast jeden Abend auf einer Nominierungsversammlung seiner Partei für die Kommunalwahlen 2014. Die Stimmung an der Basis beschreibt er so: Alle haben Bauchschmerzen, doch die Mehrheit wird der Neuauflage der großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel nach vier Jahren Schwarz-Gelb grünes Licht geben. Zum Beispiel Petershausen am Dienstag: Auf Gülls Nachfrage signalisierten die Parteimitglieder zwar kein frohes, aber doch ein Ja. Das reicht Güll, der ein klarer Befürworter der großen Koalition ist und voll des Lobes für Parteichef Sigmar Gabriel.

Doch so sicher kann Güll sich der SPD-Basis nicht sein: Im Dachauer Ortsverein, dem größten im Landkreis, kann sich die Hälfte der 150 Mitglieder mit einer Paarung Merkel/Gabriel so gar nicht anfreunden. Viele wollen zustimmen, genauso viele nicht, beschreibt Stadtrat Florian Hartmann die Stimmung im Ortsverein. Er selbst, habe sich noch nicht entschieden, sagt der Oberbürgermeisterkandidat Hartmann. Zuerst müsse er den Koalitionsvertrag lesen. Den bekommen die Dachauer per Post aus Berlin am Samstag, im Internet ist er schon abrufbar. Dann muss alles rasch gehen: Am 2. Dezember verschickt die Parteizentrale die Wahlunterlagen, am 13. Dezember müssen sie ausgefüllt in Berlin vorliegen. Einen Tag später wird ausgezählt und die Parteispitzen von Union und SPD können dann die Verteilung der Ministerien, sechs für die Sozialdemokraten, bekanntgeben. Denn Gabriel erwartet, dass die Basis "mit Sicherheit" zustimmt. Für die Zaudernden gibt es Entscheidungshilfe: Martin Burkert, Sprecher der Landesgruppe Bayern in der Bundestagsfraktion, kommt am 3. Dezember nach Bergkirchen. Im Gasthaus Groß erläutert er den Koalitionsvertrag und "nach einer offenen und breiten Diskussion", heißt es im Einladungsschreiben, könnten alle SPD-Mitglieder abstimmen. Für Deutschland wäre es dann das dritte Mal nach 1966-1969 und 2005-2009, dass Union und SPD gemeinsam regieren.

Franz Trinkl, Ortsvereinsvorsitzender Karlsfeld, hört bei einigen schon Sorgen heraus: "Merkel spielt gern Königin von Europa, Seehofer gibt den populistischen Querschläger." Die SPD dürfe dann im Stillen die innenpolitische Drecksarbeit machen. Doch die Karlsfelder Genossen sähen das entspannt - und werden wohl zustimmen. Im Ortsverein Hebertshausen überwiegen dagegen die kritischen Stimmen. Die Vorsitzende Marianne Klaffki, Fraktionssprecherin im Kreistag, gibt zu bedenken, dass die handelnden Personen von CDU und CSU weitestgehend dieselben sind wie bei der letzten großen Koalition. "Darin mussten wir zu viele Kompromisse eingehen, das hat weder dem Land gut getan, noch der SPD, noch dem sozialdemokratischen Profil."

Wenn man mitgestalten wolle, dann müsse man auch die eine oder andere Kröte schlucken, sagt Dirlenbach. Für den Juso Schneider sind es entschieden zu viele. Im Juso-Kreisverband, mehr als 60 Mitglieder zählt er, sind aber nicht alle seiner Meinung. Kanzlerin Merkel könne auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarungen mit ihrer gefährlichen Europapolitik fortfahren, sagt Schneider. Die SPD-Forderung nach einem Mindestlohn werde erst 2015 beschlossen - bis dahin könne noch viel geschehen. Zum Beispiel die große Koalition auseinander brechen.

"Wir werden sehen, wie lange sie hält", sagt der Kreisvorsitzende Güll. Das Ende wäre für ihn erreicht, wenn die Gaben des Koalitionsvertrages, die alle unter Finanzierungsvorbehalt stehen, nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Die Union lehnt Steuererhöhungen jedenfalls ab. Güll sagt: "Die Koalition ist nicht in Stein gemeißelt."

© SZ vom 30.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: