Kunstprojekt:Wenn das Facebook-Profil und die Studentenbude sich ähneln

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Künstler Florian Freier kombiniert Bilder von Studentenapartments mit den Facebookseiten ihrer Bewohner - damit lässt sich erstaunlich viel über den Menschen dahinter erfahren. Oder?

Von Christiane Lutz

Die orangefarbene Bettdecke sieht aus wie das Schnitzel auf dem Teller. Das Bayern-Trikot am Fenstergriff passt zum Foto aus der Fröttmaninger Arena in der Timeline. Die Weltkarte an der Wand zum Profilbild von dem Mädchen, das auf einer Sanddüne sitzt, vielleicht in Marokko.

Erstaunlich, wie viel man über einen Menschen erfahren kann, den man nie getroffen hat, wenn man ein Foto seines Zimmers und sein Facebook-Profil ansieht. Für sein Fotoprojekt "Profile Page" hat der Münchner Künstler Florian Freier, Jahrgang 1979, genau das gemacht: Facebook-Profile und Zimmer nebeneinander gestellt: Im Ausstellungskatalog und auf seiner Website sind die beiden Elemente untrennbar miteinander verbunden.

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Florian Freier, der zurzeit in Barcelona lebt, arbeitete bereits während seines Studiums an der Münchner Kunstakademie als Webdesigner und Fotograf. Die Schnittstelle zwischen Fotografie und Digitalisierung interessiert ihn. In vielen seiner Arbeiten geht es darum, wie unsere digitale Existenz wieder verdinglicht werden kann. Die Frage, die er sich vor Beginn des Facebook-Projekt selbst stellte, lautete: "Was ist ein privater Raum heutzutage? Was ist überhaupt ein Raum? Und wie steht ein analoger Raum in Verbindung mit dem digitalen Raum?"

Das Hanns-Seidel-Haus, ein Wohnheim in der Studentenstadt, hatte es ihm angetan, er wollte, inspiriert von einem Foto von Andreas Gursky, herausfinden, wer in den mehr als 600 Apartments lebt. Studenten fand Freier zudem spannend, weil die heute 20-Jährigen als "Digital Natives" gelten, also als jene Generation, die nicht mehr weiß, dass es ein soziales Leben vor dem Smartphone gab.

Die Apartments eigneten sich besonders gut für sein Projekt, weil sie alle gleich sind. Das heißt: gleicher Grundriss, 16 Quadratmeter, gleicher Bodenbelag, ein Bett, ein Schreibtisch. Der Bewohner muss sein Leben in das, was an Raum da ist, hinein arrangieren. Wer individuell sein will, kann nur die Wände dekorieren oder bunte Teppiche auslegen. Auch auf Facebook ist der Grundriss erst mal für alle gleich: Profilfoto, Chronikfoto, Timeline. Aber der Raum ist nicht physisch begrenzt. Wer möchte, kann seine Freunde minütlich über sein Leben informieren.

"Das Internet schafft es zunehmend, die Realität abzubilden"

Viele Studenten öffneten Freier die Tür und wollten mitmachen. Bedingung: Sie mussten ihr Facebook-Profil für einen Screenshot hergeben (Namen und Gesichter wurden später unkenntlich gemacht) und durften ihr Zimmer nicht aufräumen, bevor Freier das Foto machte. Er sagt, er habe eigentlich so ziemlich alles gesehen im Wohnheim: Zimmer, in denen sich der Kram bis unter die Decke stapelte, asketisch leere Räume, "aber dann auf der Facebook-Seite das Zitat 'The only rule in life is: Don't be boring'".

Je mehr Menschen, Zimmer und Facebook-Profile er kennenlernte, desto besser verstand er: "Das Internet schafft es zunehmend, die Realität abzubilden. Früher ging es noch darum, sich im Netz andere Identitäten zuzulegen, bei Spielen wie World of Warcraft oder Second Life. Heute wollen die Leute mit ihrer echten Identität das teilen, was mit ihnen in Verbindung steht."

Gerade in sozialen Netzwerken wie eben Facebook oder Instagram wird viel Liebe und Zeit darauf verwendet, diese "echte Identität" aber bitte so gut wie möglich aussehen zu lassen. Auch bei Florian Freiers Projekt tummeln sich auffallend viele hübsche Urlaubsfotos auf den gesammelten Profilseiten und lustige Partybilder.

Was die Studenten lieber abbilden ließen

"Die Facebook-Seite gibt in Verbindung mit dem Zimmer ganz schön viel Aufschluss über eine Person", fand Freier. "Ich weiß allerdings nicht, was die Person ehrlicher abbildet - das Zimmer oder das Facebook-Profil." Freier wertet seine Kunst nicht aus, die hundert Fotografien ließ er auf der "Unpainted Media Art Fair" vor einigen Wochen in München unkommentiert an der Wand hängen.

Eine Feststellung machte Freier aber dennoch: "Beim Zimmer war die Bereitschaft der Studenten viel höher, mitzumachen, als bei der Frage nach dem Facebook-Profil." Er schließt daraus, dass Facebook inzwischen als der privatere Raum empfunden wird. Der Raum, in den Fremden Einblick zu gewähren als größerer Eingriff empfunden wird.

Einige der Teilnehmer allerdings sagten, dass sie ihr Profil nicht deshalb so ungern rausrückten, weil sie dort so viel Privates von sich preisgeben, sondern weil sie gerade nicht fanden, dass das Profil irgendeine relevante Aussage über ihre Persönlichkeit treffe. Noch dazu eine, die dem Zimmer gleichwertig ist. Vor voreiligen Schlüssen über die Persönlichkeit sei also doch gewarnt.

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Der junge Mann zum Beispiel, der das Bayern-Trikot am Fenstergriff hängen und ein Foto der Arena auf Facebook stehen hat, ist nicht etwa ein roter Ultra, sondern ein chinesischer Gaststudent, der aus Neugierde mal ins Stadion gucken wollte - und eigentlich Manchester-United-Fan ist.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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