Armutsbericht:Die Zahl der armen Münchner ist drastisch gestiegen

'Ich habe Hunger'

Auch in reichen Städten wie München leben viele Menschen in Armut.

(Foto: Paul Zinken/dpa)
  • Etwa 269 000 Menschen in München gelten als arm - die Quote erhöhte sich damit in den vergangenen fünf Jahren von 14,7 auf 17,4 Prozent.
  • Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und daraus resultierende niedrige Renten sind die Hauptgründe für die Armut der Menschen.
  • Allerdings bezieht nur knapp die Hälfte dieser Menschen in München staatliche Unterstützung.

Von Sven Loerzer

Fast jeder sechste Münchner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Etwa 269 000 Menschen waren im vergangenen Jahr von Armut betroffen, das sind rund 65 000 mehr als noch fünf Jahre zuvor. Damit erhöhte sich die Quote von 14,7 auf 17,4 Prozent. Die Lebensverhältnisse driften auseinander, "die Schere geht weiter auf", wie Bürgermeisterin Christine Strobl bei der Vorstellung des Münchner Armutsberichts 2017 sagte. Denn der Anteil der gut und besser verdienenden Menschen stieg im gleichen Zeitraum von 30 auf fast 34 Prozent.

Einen solchen Bericht erstellt die Stadt alle fünf Jahre. Das aktuelle, 268 Seiten starke Werk liefert eine Fülle von Daten zur sozialen Situation der Münchner Bevölkerung. Als wesentliche Ursachen der Armut nennt Sozialreferentin Dorothee Schiwy Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und daraus resultierende niedrige Renten: "Mit niedrigem Einkommen lässt sich in München mit seinen hohen Lebenshaltungskosten und Mieten nur schlecht leben."

Dennoch fühlen sich nicht nur die Reichen weit überwiegend, sondern auch 54 Prozent der Armen in München sehr wohl; weitere 40 Prozent eher wohl. Strobl wertet das als Indiz dafür, "dass viele Hilfsangebote greifen und die Menschen sich nicht allein gelassen fühlen".

Wann man arm ist

Grundlage des Armutsberichts bildet vor allem eine Befragung zur sozialen und gesundheitlichen Lage in München, bei der auch die Haushaltseinkommen ermittelt wurden. Daraus errechneten die städtischen Statistiker eine Armutsrisikoschwelle: Bei einem Einpersonen-Haushalt sind es 1350 Euro, bei einem Haushalt mit zwei Erwachsenen sind es 2025 Euro, bei einer Familie mit einem Kind unter 14 Jahren 2430 Euro.

Auf dieser Basis gelten 269 000 Münchner als arm, da sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Vergleichsbevölkerung verfügen. Am häufigsten arm sind Haushalte von Alleinerziehenden (42,2 Prozent), am häufigsten reich dagegen Paarhaushalte ohne Kinder (12,2 Prozent).

Seltener Anspruch auf Hilfen

Nur knapp die Hälfte der Armutsbevölkerung (129 000 Menschen) bezieht staatliche Unterstützung wie Sozialhilfe oder Hartz IV. Während die absolute Zahl leicht gestiegen ist, ist die Quote in den meisten Stadtvierteln leicht zurückgegangen. Bürgermeisterin Strobl wertet dies als Hinweis darauf, dass mehr Besserverdienende nach München gezogen sind. Zudem seien die unteren Einkommen nicht so stark gestiegen wie das Durchschnittseinkommen, mithin müssten offenbar immer mehr Menschen mit wenig Geld, aber ohne Anspruch auf staatliche Unterstützung auskommen.

Hartz IV für 75 000 Münchner

Der Arbeitsmarkt in München boomt, unter den westdeutschen Großstädten hat die bayerische Landeshauptstadt seit Jahren mit Abstand die geringste Quote von Hartz-IV-Beziehern. Und doch ist deren absolute Zahl seit 2011 von 72 600 auf fast 75 000 gestiegen. Darunter sind mehr als 22 000 Münchner im erwerbsfähigen Alter, die seit mehr als vier Jahren ununterbrochen das Arbeitslosengeld II erhalten - also Langzeitarbeitslose.

"Es gelingt mit den vorhandenen Förderinstrumenten nicht, diese Menschen wieder in eine dauerhafte Beschäftigung zu integrieren, von der sie unabhängig von staatlicher Unterstützung leben können", so beschreibt der Armutsbericht das Problem. Mehr als 22 000 Kinder in München, fast zwölf Prozent aller Kinder, wachsen in Hartz-IV-Haushalten auf - häufig eine schwere Hypothek für ihre gesamte Entwicklung.

Wohnungslose Kinder und arme Rentner

1600 Kinder haben kein Zuhause

Der heiß umkämpfte Münchner Wohnungsmarkt mit seinem knappen und teuren Angebot verschärft für Menschen mit geringem Einkommen die Probleme, mit dem Geld auszukommen. Anhaltend hoher Zuzug und der Geburtenanstieg bescheren der Stadt nicht nur ein hohes Bevölkerungswachstum, sondern immer mehr Wohnungslose, die in Notunterkünften untergebracht werden müssen. Ende 2016 waren es bereits 7300 Personen, darunter fast 1600 Kinder. Bis Ende dieses Jahres rechnet die Stadt mit mehr als 9000 Wohnungslosen.

Ende 2016 warteten 8200 Haushalte mit höchster Dringlichkeit auf eine Sozialwohnung - aber nur 2800 Wohnungen wurden im vergangenen Jahr vergeben. Auch die Wohngeldnovelle 2016 hilft in München nur wenig: Durch diese Gesetzesreform erhöhte der Bund die Mietobergrenzen und erwartete, dass somit etwa 60 Prozent mehr Menschen das Wohngeld erhalten können. Die Zahl der Empfänger stieg in München aber nur von knapp 3900 auf 4400. Da die anerkannte Miethöchstgrenze unter dem hiesigen Mietniveau liegt, ist die Reform nur begrenzt wirksam. Insgesamt 44,7 Prozent der armen Haushalte in München müssen mehr als 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben.

Ausländer ohne Schulabschluss

Bildung gilt als Schlüssel für die Tür zum Arbeitsmarkt. Wer die Schule ohne Abschluss verlässt, hat wenig Chancen: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre ist der Anteil dieser Jugendlichen zwar von 9,2 auf 6,1 Prozent gesunken. Bei ausländischen Schülern ist der Anteil mit zuletzt 11,2 Prozent mehr als doppelt so hoch, wie bei deutschen (4,4 Prozent). "Wir müssen verstärkt auf die Bildungsgerechtigkeit schauen", sagt Strobl deshalb.

So sei etwa der Anteil der Schüler, die ins Gymnasium wechseln, umso niedriger, je größer der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund an einer Schule ausfalle. Die Schulen bekommen inzwischen ein an ihrem Bedarf orientiertes Budget, und auch mit zusätzlichen Förderangeboten versucht die Stadt, mehr Chancengleichheit herzustellen.

15 000 reicht ihre Rente nicht

Unter Armut leiden immer mehr Menschen im Alter, weil ihre Rente und ihr Erspartes nicht zum Leben reichen. Etwa 14 800 Münchner bezogen Ende 2016 Grundsicherung im Alter. Nach Prognosen des Amtes für Soziale Sicherung kann die Zahl bis 2035 auf 26 000 steigen. "Insbesondere die Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen und in Teilzeit arbeiten, sowie diejenigen mit Berufsunterbrechungen und Frühverrentung werden im Alter unterhalb der Armutsgrenze leben", heißt es im Armutsbericht.

Wer arm ist, ist öfter krank

Wer in Armut lebt, leidet häufiger unter Krankheiten und Beschwerden; fast neun Prozent der Armen bezeichnen ihren Gesundheitszustand als schlecht oder sehr schlecht. Auch auf die Lebenserwartung hat die soziale Ungleichheit nach bundesweiten Analysen des Robert-Koch-Instituts langfristig Auswirkungen: Die mittlere Lebenserwartung eines Neugeborenen liegt bei Frauen aus der niedrigsten Einkommensgruppe um 8,4 Jahre und bei Männern um 10,8 Jahre niedriger, als bei Personen aus der höchsten Einkommensgruppe.

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