Zwischen Volksbildung und Corporate Publishing:Das neue Staatsfeuilleton

Neben privatwirtschaftlich betriebenem Journalismus ist die neue Form von öffentlich finanziertem Kulturjournalismus oft sehr ansprechend und zeitgemäß gemacht. Aber das "Staatsfeuilleton" verdirbt auch die Preise.

Von Johan Schloemann

In keinem anderen Land der Welt begegnet man dem Kulturjournalismus mit einer solchen Mischung aus Spott und Respekt wie in Deutschland. Das liegt vielleicht auch am Kulturjournalismus selbst, in erster Linie aber liegt es an dem Begriff "Feuilleton", mit dem die größeren Zeitungen ihre Kulturteile betiteln.

Was einmal mit diesem "Blättchen" gemeint war, das "unter dem Strich" gedruckt wurde - nämlich kulturelles Interesse, wache Zeitgenossenschaft, literarisch inspiriertes Schreiben mit Leichtigkeit und Schärfe zugleich -, das ist vielerorts fast schon zum Schimpfwort geworden. Unter manchen ausgebufften Nachrichtenprofis reicht es jedenfalls schon für einen ironischen Schenkelklopfer, nur "das Feuilleton!" zu sagen. Sogleich sind damit Klischees aufgerufen, die auch eine Entlastungsfunktion haben: Abgehobenheit, Gestrigkeit, Kulturbetriebsblindheit und Recherchefreiheit. Suhrkamp und Tanztheater. Ha ha.

Das Prinzip Feuilleton breitet sich aus

Das ist insofern kurios, als zur selben Zeit das Prinzip Feuilleton sich in der Medienlandschaft ausbreitet, ja auf dem Siegeszug ist. Das gilt für die Schreibweisen und Präsentationsformen in der Sportberichterstattung, in den Reportagen, aber auch für den besseren Mode- und Gesellschaftsjournalismus, der sich bemüht, sogenannte weiche Themen geistreich, unterhaltsam und pointiert zu behandeln. Viele Zeitungsmacher haben verstanden: Nur mit besonderen, originellen, witzigen und hintergründigen Texten kommt man gegen das Tempo im Internet an.

Das Prinzip Feuilleton breitet sich jedoch nicht nur im privatwirtschaftlich betriebenen Journalismus aus. In den vergangenen Jahren ist auch eine neue Form von öffentlich finanziertem Kulturjournalismus entstanden, die man das Staatsfeuilleton nennen könnte.

Das funktioniert so: Öffentliche Kultur- und Wissenschafts-Institutionen betreiben inzwischen aufwendig gemachte Magazine, Programmhefte und Sonderpublikationen. Um sich damit aber vom Verbandsblatt, von der Hausmitteilung und auch von der reinen Programmerläuterung so weit wie möglich zu entfernen, machen sie alle Feuilleton. Dieses neue Staatsfeuilleton hat im deutschen Kulturföderalismus ein sehr weites Betätigungsfeld: Es reicht von den Theatern und Opern bis zu den Exzellenzuniversitäten, vom Begleitprogramm der Museen bis zu den Hochglanzheften der staatlichen Filmförderungsanstalten und Filmstiftungen, von den Literaturarchiven zu den Akademien, von den anspielungsreichen Kalauern in den Überschriften kulturwissenschaftlicher Tagungs-Flyer bis hin zu den Imagebroschüren von Kultusministerien.

Gut bezahlte Interviews

Nehmen wir an, eine große Oper plant eine Inszenierung des "Don Giovanni" von Mozart. Die hauseigenen Redakteure sagen dann: In unserem Magazin bringen wir nicht (nur) eine Werkeinführung oder ein Sängerporträt. Nein, viel besser: Wir bestellen bei der Schriftstellerin Sibylle Berg einen saftigen Essay über "Verführung heute". Das Stadttheater bringt eine antike Tragödie? Ein gut bezahltes Interview über den Opfertod gestern und heute mit Peter Sloterdijk im Programmheft geht immer. Ein Museum oder eine öffentliche Stiftung überlegt sich einen Schwerpunkt zum Ersten Weltkrieg? Neue Essays über Krieg und Gewalt von Herfried Münkler, A. L. Kennedy oder Carolin Emcke haben natürlich ihren Preis, sollten aber möglichst nicht fehlen. Das alles, versteht sich, in exquisit zeitgemäßem Layout und in aparter Typografie.

Das jüngste Heft von dt Magazin, dem Blatt des Deutschen Theaters Berlin, druckt ein Gespräch mit dem israelischen Schriftsteller David Grossman. Die Überschrift lautet: "Über gute Geschichten, Leben mit dem Tod - und schnelles Laufen". Unis machen Themenhefte im Stil gehobener Magazine, ob sie nun "Krieg & Frieden" oder "Ordnung & Chaos" heißen. Bekannte Schriftsteller, Professoren oder auch Zeichner und Künstler werden für "freie" Beiträge engagiert.

Die Theater geben sich immer öfter übergreifende Saisonthemen mit Feuilleton-Überschriften und entsprechendem Rahmenprogramm, mit feuilletonbekannten Philosophen und Schwerpunktheft. Mal haben die Beiträge mit den Inhalten und Akteuren der aktuellen Produktionen mehr, mal deutlich weniger zu tun.

Ein Magazin als Flaggschiff

Ein Flaggschiff des Staatsfeuilletons ist seit der Saison 2008/2009 Max Joseph, das Magazin der Bayerischen Staatsoper. Das Heft ist opulent, spielerisch, trendig und wurde für seine Gestaltung auch schon mit einem "Lead Award" ausgezeichnet. Wie viele der öffentlichen Kulturmagazine ist Max Joseph oft richtig gut gemacht, das müssen auch nichtstaatlich bezahlte Feuilletonisten neidlos anerkennen.

Im aktuellen Heft gibt es Texte der Schriftsteller Jochen Schmidt ("Mein idealer Tagesablauf") und Julya Rabinowich, Bilder des Fotografen Martin Fengel und vieles mehr. Die Auflage liegt bei 30 000 Exemplaren; davon kommen laut Staatsoper "knapp 4000 Stück" in den Kioskverkauf. Mit anderen Worten, das viermal im Jahr erscheinende Opernmagazin, das nur zum Teil von Oper und Musik handelt, ist wie seine Geschwister und Nachahmer hochgradig subventionierter Kulturjournalismus.

Ebenfalls eindrucksvoll sind die Aktivitäten der Kulturstiftung des Bundes. Man könnte meinen, diese sei dafür da, Videokunstfestivals, zeitgenössische Ausstellungen und Ähnliches von nationaler Bedeutung zu finanzieren. Das tut die Kulturstiftung auch durchaus; daneben aber hat sie sich zu einer Art von kulturwissenschaftlichem Bundes-Thinktank entwickelt, der nur schicker und stilvoller daher kommt als der Alltagsbetrieb an den Universitäten.

Unkonventionelles Magazin

Dazu hält sich die Bundeskulturstiftung auch ein mit der üblichen grafischen Unkonventionalität gestaltetes Magazin. Die Auflage des Blattes liegt bei 26 000. Dort schreiben nach dem beschriebenen Prinzip Autoren wie Alexander Kluge, Joseph Vogl, Thomas Macho, Hans Ulrich Gumbrecht und auch manchmal die Feuilletonisten großer Zeitungen.

Es ist nicht leicht, das neue Staatsfeuilleton im subventionierten deutschen Kulturföderalismus als Problem zu benennen. Zu leicht gerät man in das Netz von Neid und Betriebsnähe, von dem hier eingangs die Rede war. Viele gute Kollegen, viele geschätzte Autoren beteiligen sich daran. Aber man sollte sich trotzdem fragen, was für eine öffentliche Sonderwelt da herangewachsen ist.

Die staatlichen Organe zahlen auch oft stattliche Honorare, was den schrumpfenden Honorartöpfen vieler Zeitungen ebenso zusetzt wie den kleineren Kulturzeitschriften. Manches am Staatsfeuilleton ist Volksbildung, anderes aber ist eher "Corporate Publishing", nur dass die Firma hier der Staat ist und der Kunde sein Steuerzahler.

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