US-Medien:"Politico" - der wichtigste Mann geht von Bord

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Der Chef-Korrespondent im Weißen Haus: Mike Allen, hier im Jahr 2012.

(Foto: AFP)

"Politico" hat den Politikjournalismus in Washington revolutioniert. Nun will ausgerechnet Mike Allen das Online-Magazin verlassen.

Von Matthias Kolb, Des Moines

Es ist das gleiche Ritual, das sich jeden Abend in Des Moines abspielt. Kurz vor der ersten Vorwahl in Iowa trifft sich die Elite des amerikanischen Polit-Journalismus an der Bar des Marriott-Hotels in der Hauptstadt und diskutiert über die jüngsten Gerüchte, sprich über Donald Trump. Doch am vergangenen Donnerstag galt die Frage "Warum in aller Welt macht er das?" ausnahmsweise nicht dem Umfrage-König der Republikaner.

Er - das war diesmal Mike Allen, der einflussreichste Polit-Journalist der USA und Verfasser des "Playbook"-Newsletters, den alle Mächtigen in Washington zum Frühstück lesen. Der 51-Jährige hat angekündigt, das Online-Magazin Politico Ende 2016 zu verlassen und mit Politico-Mitgründer Jim VandeHei eine neue Firma zu starten. Die Nachricht schockierte alle an der Bar, denn seit 2007 hat Politico die Art, wie über Politik und Wahlkämpfe berichtet wird, revolutioniert.

Allen und VandeHei hatten zum Start das Ziel "Win the morning" ausgegeben, das besagte, jeden Morgen Geschichten zu publizieren, über die den Rest des Tages geredet werden sollte. Atemlosigkeit und Aggressivität waren anfangs wichtiger als Tiefgang, doch wer auf dem neuesten Stand bleiben wollte, der musste Politico lesen. Dieser dauernervöse Newcomer sorgte dafür, dass heute auf den Websites von New York Times, Washington Post, CNN oder NBC im Minutentakt kurze Texte gebloggt werden.

Wer ein Gerücht streuen oder ein Buch bewerben will, wendet sich an Allen

Das Gesicht von Politico, das ist der stets lächelnde Mike Allen mit Brille und Halbglatze, der seit 2007 die wichtigsten Artikel gegen sechs Uhr morgens per E-Mail an seine Leser verschickt. Egal ob Demokraten oder Republikaner, Lobbyisten oder Aktivisten: Wer ein Gerücht streuen oder ein Buch bewerben will, der wendet sich an den energiegeladenen Allen.

Wie wichtig "Playbook" für Politico ist, verrät eine Zahl: Firmen zahlen bis zu 60 000 Dollar pro Woche, um eine Werbebotschaft in der E-Mail verstecken zu können. Mit dem so verdienten Geld lassen sich viele Jungjournalisten anheuern, die Artikel ins Internet stellen und Exklusivgeschichten nachjagen. Der Newsletter ist so wertvoll für Sponsoren, weil er intensiv studiert wird: Allen informiert die "Playbook Community" nicht nur über Streit im Weißen Haus, sondern auch über Geburtstage, Job-Wechsel, Verlobungen und Hochzeiten der DC-Elite.

Scheidungen vermeldet Allen nicht im "Playbook", doch genau eine solche findet gerade bei Politico statt. Jim VandeHei findet offenbar, dass sein Beitrag als Mitgründer nicht genug honoriert werde. Insider berichten von Streit zwischen ihm und Verleger Robert Allbritton, dessen Familie Politico gehört, über Budgetfragen und die Expansion-Strategie. 2015 wurde gemeinsam mit dem Axel-Springer-Verlag ein Europa-Ableger mit Sitz in Brüssel gestartet, und bis 2020 will man in allen 50 US-Staaten aktiv sein. Viel Geld verdient das Unternehmen mit der Organisation von Events sowie Politico Pro - gegen Gebühren erhalten Abonnenten Hintergrundinformationen zu Energie- oder Gesundheitspolitik.

"Dies ist kein Rosenkrieg, bei dem Teller und Töpfe durch die Gegend fliegen", sagt einer

VandeHei scheint überzeugt, dass der Politico-Erfolg ausreicht, um ein eigenes Medienunternehmen zu gründen und mehr zu verdienen. Dass sich Mike Allen ihm anschließt, verwundert Beobachter nicht: Beide arbeiteten früher bei der Washington Post und sind privat eng befreundet. Paul Farhi, Medien-Experte der Post, hält es für möglich, dass alle Seiten überleben oder gar profitieren. "Dies ist kein Rosenkrieg, bei dem Teller und Töpfe durch die Gegend fliegen." Dafür spricht, dass Allen und VandeHei erst Ende 2016 nach der Präsidentschaftswahl gehen - dies gibt dem Online-Magazin mit 450 Angestellten ausreichend Zeit, einen neuen "Playbook"-Autor zu finden.

Allen und VandeHei haben erklärt, keine direkte "Konkurrenz zu Politico" aufbauen zu wollen, doch Details sind unbekannt. Im ersten Newsletter, der nach den Neuigkeiten verschickt wurde, teilte Allen seiner "Playbook Community" nur mit, dass die neue Firma "die Welt ein weiteres Mal verändern" werde. Diese nebulösen Worte sorgten im Marriott-Hotel in Des Moines vorübergehend für noch mehr Gerede. In der Nacht auf Dienstag allerdings geben die Bürger ihre Stimmen in der ersten Vorwahl ab. Und das Abschneiden von Donald Trump dürfte dann, nicht nur an der Bar und bei Politico, wieder erstes Gesprächsthema sein.

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