Redaktionsbesuch:Der Staat und die Macht

Iowa: The First Battleground For The 2016 Presidential Nomination

In Iowa sind sogar die Scheunen patriotisch: Bei den US-Vorwahlen abstimmen dürfen aber nur die Bürger des Bundesstaates.

(Foto: Brendan Hoffman/AFP)

Iowa ist nicht gerade der Nabel der Welt, weshalb die Zeitung "Des Moines Register" über Themen wie defekte Rauchmelder und College-Sport berichtet. Doch alle vier Jahre zieht der Wahlzirkus durch die US-Provinz.

Von Matthias Kolb

Die Attacke kommt wie meist nach dem Eigenlob, der Auftritt in Iowa Mitte Dezember macht da keine Ausnahme. Gerade noch hat Donald Trump diverse Umfragen runtergerattert, die ihn alle vorne sehen, nun knöpft er sich unter dem ohrenbetäubenden Jubel seiner Anhänger die Medien vor. "Ihr habt eine der unehrlichsten Zeitungen hier, in eurer Nachbarschaft", ruft Trump. "Der Des Moines Register ist die schlimmste Zeitung, sehr unehrlich." Der Milliardär redet sich noch weiter in Rage und attackiert die Chefreporterin persönlich: "Und am schlechtesten ist Jennifer Jacobs. Sie stellt die Dinge falsch dar. Aber egal, mich stört das nicht!"

Dass sich Trump gern mit Fox News streitet und anderen Sendern vorhält, nur seinetwegen hohe Einschaltquoten zu erzielen, gehört zum Grundrauschen dieses verrückten Wahlkampfs. Dabei schimpft Trump nicht einfach los: Er attackiert jeden, der ihm auf dem Weg ins Weiße Haus gefährlich werden könnte - und der Register hat durchaus das Zeug dazu.

Donald Trump ist kein Fan der Zeitung. Ein Leitartikel empfahl ihm den Rückzug

Obwohl Iowa nicht gerade der Nabel der Welt ist (und obwohl die einflussreichste Zeitung dieses Bundesstaats seit Jahren an Auflage verliert und werktags nur noch 190 000 Leser erreicht), werden ihre Artikel alle vier Jahre weltweit beachtet. Denn hier im dünn besiedelten Iowa, zwischen Maisfeldern und Schweinefarmen, werden traditionell die ersten Stimmen im US-Vorwahlkampf abgegeben. Also sind seit Tagen Tausende Journalisten im Mittleren Westen unterwegs, um die Kandidaten zu beobachten, wie diese in den letzten Tagen um Wähler werben.

"2012 war es intensiv, aber dieses Jahr ist es verrückt", sagt Jason Noble. Der 32-Jährige sitzt in einem Coffeeshop im Zentrum von Des Moines und verschickt E-Mails mit seinem Smartphone. Er ist einer von fünf Register-Reportern, die seit Monaten in Iowa mit Hillary Clinton, Ted Cruz, Bernie Sanders oder Marco Rubio unterwegs sind und ihre Twitter-Follower mit Live-Updates versorgen. Die New York Times hat zwar 2015 einen Korrespondenten in Iowas Hauptstadt Des Moines installiert, doch die beste Informationsquelle bleibt der Register.

Das liegt nicht nur am stets aktuellen "Candidate Tracker", der angibt, wann welcher Politiker wo auftritt, sondern an einer umfassenden Berichterstattung. "Bei jedem Event kann etwas passieren, das das Rennen verändert. Wir dürfen nichts verpassen", erklärt Noble. Die Zeitung, die sonst Artikel über defekte Rauchmelder und die sportlichen Erfolge der College-Teams auf der Titelseite druckt, gehört zum Gannett-Konzern, der auch das luftig-bunte Massenblatt USA Today verlegt.

"Die Register-Artikel über die Aussichten der Kandidaten werden also landesweit gelesen", erklärt Timothy Hagle, Politik-Professor an der Iowa State University. Abgesehen von Trump und Tea-Party-Star Cruz haben alle Kandidaten mit den Redakteuren der Meinungsseite des Register diskutiert, um sie von ihren Plänen zu überzeugen. Der Register kürt wie alle US-Zeitungen seine Favoriten - und weil Iowa zuerst abstimmt, wird auch in Washington registriert, dass das linksliberale Blatt empfiehlt, am 1. Februar Clinton beziehungsweise Rubio zu wählen.

Dass Donald Trump seinen Arbeitgeber attackiert, wundert Jason Noble nicht: "Er inszeniert sich als absoluter Außenseiter, also redet er schlecht über uns. Seit Monaten bekommen wir keine Akkreditierungen für seine Events." Alles begann, als der Register Trump per Leitartikel im Juli aufforderte, seine Bewerbung zurückzuziehen. Der Arbeit der Reporter schadet der Entzug der Akkreditierung nicht, stehen sie so doch mehrere Stunden mit Trump-Fans in der Schlange, um die Auftritte des 69-Jährigen mitverfolgen zu können. "Es ist mühsam, aber bereichernd", sagt Noble. "Trumps Erfolg lässt sich auch über seine Anhänger erzählen. Viele fühlen sich im Stich gelassen und sehen alle Politiker als käuflich an. Trump lässt sich von Lobbyisten nichts sagen, weil er seinen Wahlkampf selbst finanziert."

Während Noble zum nächsten Auftritt von Jeb Bush eilt, beginnt Carol Hunter im vierten Stock des gläsernen Hochhauses, in das sich der Register eingemietet hat, mit der Detailarbeit. Eine Wand des modernen Newsrooms erinnert an die 16 Pulitzer-Preise, die das Blatt in seiner 114-jährigen Geschichte gewonnen hat. "Neben den fünf Politik-Reportern setze ich bis zu zehn weitere Kollegen ein, um die Kandidaten zu begleiten", sagt die 59-Jährige. Wenn die Politiker mit Privatjets fliegen, kommen die Reporter im Auto nicht hinterher. Teamwork ist also unerlässlich. Nachrichtenchefin Hunter koordiniert die Berichterstattung für alle Kanäle - neben der Zeitung und der Website, auf der oft zusätzliche Reportagen und Analysen erscheinen, sind das Facebook und Twitter sowie eine eigene App zur Vorwahl.

Alle wissen natürlich, was am 2. Februar passieren wird: Die Karawane zieht weiter

Dass das Interesse am Register so groß ist, liegt auch am Wahlsystem: Die Bürger treffen sich in 1681 Mini-Bezirken und diskutieren mitunter stundenlang, welchen Bewerber sie unterstützen. Immer wieder gelingt es Außenseitern wie 1976 Jimmy Carter oder zuletzt Barack Obama, sich mit Siegen in Iowa den Weg ins Weiße Haus zu ebnen. Vor acht Jahren hatte die Umfrage-Expertin des Register übrigens Obamas Sensationserfolg genauer vorhergesagt als die großen Institute. Dass Trump über die Zeitung herzieht, liegt auch daran, dass der Milliardär in deren Umfragen bisher nie den Spitzenplatz einnahm - was ihn stören muss, weil es nicht zu seinem Sieger-Image passt.

Jason Noble und seine Kollegen geben im Stundentakt Interviews, um etwa den BBC-Hörern das Vorwahlsystem zu erklären. Dabei verteidigen sie Iowa gegen die Kritik, dass dessen sehr weiße Bevölkerung die US-Gesellschaft nicht repräsentiere. Oft fällt dieser Spruch: "Iowa stimmt nicht als Erstes ab, weil unser Staat so wichtig ist. Wir sind wichtig, weil wir als Erste über die Kandidaten abstimmen." Er beschreibt, was auch Ausländern auffällt: Die 3,1 Millionen Bürger des Bundesstaates sind gut informiert, stellen den Politikern kritische Fragen und nehmen ihre Pionier-Rolle verdammt ernst.

Gleiches gilt für den Register. "Die Zeitung investiert alles in die Wahl-Berichterstattung", sagt David Yepsen. Er arbeitete 34 Jahre als Redakteur in Des Moines, bevor er 2009 Professor an der Southern Illinois University wurde: "Zu meiner Zeit hatten wir mehr Personal und haben weniger berichtet. Ich habe Sorgen, dass wichtige Texte heute in der Masse untergehen."

Die Führungsmannschaft von Chefredakteurin Amalie Nash scheint entschlossen, den momentanen Trubel zu nutzen, um die Marke Register noch bekannter zu machen. Viel Lob gibt es für eine zehnteilige Podcast-Serie über die Geschichte der Vorwahlen in Iowa. An junge Leute richteten sich die Events "Give a Damn Des Moines", bei denen etwa das Vorwahl-System mit Biermarken simuliert wird - wie bei der Abstimmung in der Nacht zum Dienstag wird erst diskutiert, und dann geht jeder in die Ecke seiner Lieblingsbrauerei.

Doch wie viele etablierte Medienhäuser tut sich auch der Register schwer, die junge Zielgruppe zu erreichen. Im Gespräch mit sechs Studenten der Drake University nennt keiner die Zeitung als wichtige Quelle. Neben Facebook nutzen Hillary-Fans wie Clay Pasqual CNN.com oder Politico, während Jung-Republikaner Fox News oder konservative Blogs bevorzugen. "Wenn ich diese Zeitung lese, dann entdecke ich keine Fehler", sagt Kelvey Vander Hart, die für Ted Cruz schwärmt. Der Register sei aber viel zu liberal und bilde ihre Interessen nicht ab: "Letzte Woche haben hier in Des Moines 17 000 ein Konzert von christlichen Rockstars besucht. Darüber wurde nicht berichtet."

Jason Noble weiß schon, was am 2. Februar passieren wird. Es ist schließlich alle vier Jahre das Gleiche: Die Karawane wird weiterziehen. "Kaum sind die Ergebnisse bekannt, fliegen Kandidaten zum Wahlkampf nach New Hampshire - und die Satellitenwagen der TV-Sender rasen hinterher", sagt er. In Talkshows bei MSNBC oder Fox News wird er nicht mehr eingeladen werden, doch Noble freut sich nach all dem Jubel und Trubel auf den Moment, wenn wieder Normalität einkehrt, er wieder über Regionalpolitik berichten kann. Vorher wird er via Twitter noch diese Nachricht versenden: "Danke für das Riesen-Interesse, liebe Follower. Hoffentlich lest Ihr auch mit, was ich über Debatten im Parlament von Iowa tweete."

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