US-Fernsehen:Ein Flop im TV kann im Netz noch zum Erfolg werden

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Erstmals seit 1953 wurde in diesem Herbst keine neue TV-Serie abgesetzt. Das Zuschauerverhalten ist nicht mehr so greifbar.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Mehr als 50 Jahre lang haben die Produzenten amerikanischer Fernsehserien im Oktober und November nervös auf ihre Telefone geblickt und gehofft, dass die Dinger nur ja nicht klingeln - denn das bedeutete meist, dass ihnen der Chef eines Senders das Ende ihres Projekts nach nur wenigen Folgen verkündete. In diesem Jahr blieben bislang alle Handys stumm, zum ersten Mal seit 1953 laufen noch alle Serien, die in diesem Herbst gestartet sind. Zum Vergleich: In der vergangenen Saison waren 15 Formate noch vor der Ausstrahlung der jeweils sechsten Episode gestrichen worden.

Der Verzicht aufs Absetzen ist keineswegs ein Hinweis auf eine besonders erfolgreiche Spielzeit. Formate wie die Serienadaption des Kinofilms Minority Report, die Krimiserie The Player oder die Sitcom Truth Be Told werden von der Kritik verrissen und vom Publikum verschmäht. Es ist auch kein Beweis dafür, dass die Senderchefs nun plötzlich geduldig oder gar gnädig geworden wären. Es ist vielmehr ein weiteres Indiz dafür, wie stark sich die Industrie verändert und wie sie auf diese Veränderungen reagiert.

"Die neuen Sehgewohnheiten der Zuschauer lassen die Sender vorsichtiger werden", sagt Tom Nunan, der an der University of California in Los Angeles über das TV-Geschäft lehrt: "Sie wollen keinesfalls ein Juwel verfrüht absetzen."

Viele Menschen konsumieren Serien nicht mehr live, sondern erst später als Aufzeichnung, die genauen Zuschauerzahlen sind deshalb später verfügbar als früher. Das FBI-Drama Quantico etwa sehen durchschnittlich nur 6,3 Millionen Amerikaner, wenn es sonntags auf dem Sender ABC ausgestrahlt wird. In den sieben Tagen danach jedoch kommen noch einmal vier Millionen Zuschauer hinzu, und über Downloads und Streamingportale weitere 1,5 Millionen. Die Serie gilt deshalb als Erfolg und wurde kürzlich auf eine komplette Spielzeit mit 22 Folgen erweitert - noch im vergangenen Jahr wäre so ein Projekt wohl nach ein paar Episoden abgesetzt worden.

Niedrige Einschaltquoten sagen weniger aus

Ein weiterer Grund für die Geduld der Sender ist die Furcht, ein vielversprechendes Produkt an einen Konkurrenten zu verlieren. In der Vergangenheit war die Gefahr dazu noch relativ gering. Aber die neuen Streamingportale sind finanziell gut aufgestellt und noch dazu risikobereit, weil sie anders als die großen Sender nicht so sehr auf die Einschaltquoten achten müssen. Das Portal Hulu etwa übernahm die Sitcom Selfie, Manhattan Love Story und die Komödie The Mindy Project von herkömmlichen Fernsehsendern, Netflix führte die Krimiserien Longmire und The Killing, aber auch die Sitcom Arrested Development fort.

Dazu kommt, dass die zittrige Hand auf dem Abschaltknopf aufgrund immens gestiegener Produktionskosten von etwa acht Millionen Dollar für eine einstündige Folge ein bisschen ruhiger wird: Früher landeten nicht ausgestrahlte Folgen auf dem Müll, die Sender bezahlten und zeigten lieber Wiederholungen erfolgreicher Sendungen. Wenn nun aber 13 Folgen produziert sind und nur fünf versendet werden, dann bedeutet das einen Verlust von mehr als 60 Millionen Dollar. Dann lieber durchhalten bis zum Ende der georderten Episoden.

Genau das passiert gerade: Von einzelnen Projekten wird nicht mehr eine komplette Staffel bestellt, sondern zunächst einmal 13 Folgen. Die Serien bekommen dadurch genügend Zeit, Geschichte und Figuren zu entwickeln - was übrigens noch ein Trend ist, den die Sender von Streamingportalen übernommen haben, die in der Regel eine komplette Staffel zur Verfügung stellen. Eine Fernsehspielzeit in den USA ist vergleichbar mit einer Saison in der Fußball-Bundesliga, sie dauert von September bis Mai. Die ersten 13 Episoden werden bis Weihnachten ausgestrahlt - neue Serien bekommen also die Chance, sich bis zur Winterpause zu beweisen.

Welche Folgen das hat, das ist gerade bei Minority Report und The Player zu beobachten: Von beiden Serien waren 13 Folgen bestellt worden, die Sender werden zumindest die bereits abgedrehten Episoden (zehn beziehungsweise neun) auch ausstrahlen. Dann werden sie vorbei sein. "Sie laufen einfach aus, im neuen Jahr können die Sender neu beginnen - mit einer Kurzserie etwa bis Mai", sagt Nunan.

Was sich deshalb noch verändert hat: Serienerfinder hoffen jetzt, dass endlich ihr Telefon klingelt. Das könnte nämlich bedeuten, dass der Senderchef neue Folgen bestellen möchte.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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