Beginnen wir mit Blasphemie: True Detective ist eine schreckliche Fernsehserie. Die Handlung ist verworren und durch einen gordischen Knoten festgezurrt, den bis zum Staffelende am Sonntag auf dem Bezahlsender HBO noch nicht einmal Alexander der Große durchschlagen könnte. Die Dialoge sind dem Handbuch für Hobby-Philosophen entnommen und bisweilen derart hanebüchen, dass sie schon wieder komisch daherkommen. Und Highways als Hinweis darauf, dass Korruption sowohl horizontal als auch vertikal verlaufen kann, mögen eine feine Metapher sein, ein gelungener Übergang zwischen Handlungssträngen und auch schön anzusehen. Von der 50. Darstellung an, was etwa der Mitte der dritten von acht Folgen entsprach, war es dann doch eher nervig.
Die erste Spielzeit der Serie, in der Woody Harrelson und Matthew McConaughey nicht nur einen Kriminalfall in Louisiana lösten, sondern nebenbei das Leben, das Universum und den ganzen Rest erklärten, war einfach nur grandios, gewagt erzählt und virtuos umgesetzt.
Die aktuelle Staffel ist in Los Angeles angesiedelt, es geht sehr viel um Korruption und noch mehr um Sex - also weniger ums Universum als vielmehr um den ganzen Rest des Lebens -, doch trotz herausragender Leistungen der neuen Darsteller Colin Farrell, Vince Vaughn und Rachel McAdams ist die Staffel alles andere als virtuos oder grandios.
Ist True Detective nun eine schlechte Fernsehserie, die abgesetzt gehört - oder hat sie trotz einer schwächeren zweiten Spielzeit eine Fortsetzung verdient, um eine Aufnahme in die Ruhmeshalle der Erzählkunst doch noch zu rechtfertigen?
In diesem Augenblick hätte die Geschichte enden müssen
Diese Frage wird derzeit auf den Pressetagen der Journalistenvereinigung Television Critics Association (TCA) in Beverly Hills debattiert - und man muss sie angesichts der vergangenen Fernsehspielzeit auf einer anderen, womöglich größeren Ebene stellen: Wird das goldene Zeitalter des Fernsehens zu einem goldenen Käfig des Erzählens?
Was genau derzeit passiert, lässt sich recht deutlich an der Netflix-Serie House of Cards ablesen. Zwei Staffeln lang gibt Kevin Spacey den sinistren Politiker Frank Underwood, der als Washington-Isnogud unbedingt Präsident anstelle des Präsidenten werden will. Er bewegt beim Schachspiel sowohl weiße als auch schwarze Figuren, er spielt seine Gegner durch moralisch fragwürdige und bisweilen kriminelle Manöver aus und schlägt den König. Was ist das für ein prächtiger Moment, als Underwood am Ende der zweiten Staffel als US-Präsident im Oval Office steht, triumphierend in die Kamera blickt und zweimal mit dem Ring auf den Tisch klopft. Genau in diesem Augenblick hätte die Geschichte enden müssen.
Es gibt jedoch eine dritte Spielzeit, in der Underwood der unbewegliche König ist, der sich gelangweilt gegen harmlose Attacken farbloser Angreifer wehrt. Es wirkt wie eine Schachpartie, deren interessante Stellung sich zu einem Matt aufgelöst hat. Das Spiel ist vorbei, im New Yorker war über die dritte Staffel zu lesen: "Sie fühlt sich wie ein ausgedehnter Epilog an. Es wird Zeit, dass dieses Kartenhaus einstürzt."
Auch andere Serien hatten Schwierigkeiten, an die erzählerische Virtuosität vergangener Spielzeiten anzuknüpfen: Bei Homeland purzelten die Zuschauer aufgrund der Handlungsschwenker benommen von der Couch. Bei Scandal gibt es mittlerweile nur noch Bösewichter, bei The Mindy Project nur noch Langweiler. Die Rückblenden in Orange Is The New Black wirkten zuletzt eher erzwungen als der Entwicklung der Figuren förderlich, The Blacklist hangelt sich von Cliffhanger zu Cliffhanger und baumelt so permanent über dem Abgrund.
Piper Chapman (Taylor Schilling) sitzt hinter Gittern in Orange Is the New Black.
(Foto: Netflix)Es waren allesamt gewiss keine scheußlichen Staffeln, jedoch eben nicht wegweisend wie die Spielzeiten zuvor. All diese Serien, sie sind gefangen im eigenen Erfolg.
Mit Wasserskiern über einen Hai
Natürlich: Das goldene Zeitalter des Fernsehens wurde in den vergangenen 60 Jahren derart häufig ausgerufen, dass es so scheint, als würde es sich um eine einzige durchgehende güldene Periode handeln. In beinahe jedem Jahrzehnt gab es bedeutsame Projekte: Playhouse und The Twilight Zone in den 50ern etwa, Soap und Taxi in den 70ern, danach Cheers und Frank's Place, später The X-Files und The Simpsons und im neuen Jahrtausend dann The Sopranos und Lost sowie zuletzt Mad Men und Breaking Bad.
Und es gab zu jeder Zeit Serien, die grandios begannen und deren Qualität derart sank, dass seit den 70ern der Begriff "Jump the Shark" verwendet wird, wenn sich eine Serie hoffnungslos verfahren hat. Er stammt aus Happy Days: In der Comedy des späteren Pretty Woman-Regisseurs Gary Marshall hüpft Protagonist Fonzie in einer Folge tatsächlich mit Wasserskiern über einen Hai.
Der beinahe zwangsläufige Qualitätsverlust wurde lange mit der festgefahrenen Struktur des seriellen Erzählens im US-Fernsehen begründet: Inklusive Werbepausen dauert ein Drama exakt 60 Minuten, zwischen Herbst und Frühjahr werden pro Staffel etwa 24 Folgen ausgestrahlt, über die Lebensdauer eines Formats entscheidet die Gunst des Zuschauers - der deshalb jede Woche zum Einschalten verführt werden muss.