TV-Kritik: ZDF-Film über Dutschke:Windeln wechseln mit Rudi

Lesezeit: 4 min

Weichmacher aus dem Diskurszerstäuber: Das ZDF kostümiert die Revolution mit einem Doku-Drama zum Leben des Studentenführers Rudi Dutschke.

Bernd Graff

Ein schlechter Film. Er geht los mit der Original-Meldung des Attentats. Am 11. April 1968 schoss der Hilfsarbeiter Josef Bachmann vor dem Westberliner SDS-Büro auf dem Kurfürstendamm dreimal auf Rudi Dutschke, traf ihn zweimal in den Kopf und verletzte ihn lebensgefährlich. Im Mittelteil des ZDF-Films, der von Gattin Gretchen Dutschkes Biographie Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben inspiriert wurde, ist diese Szene rekonstruiert zu sehen: Christoph Bach in der Rolle Dutschkes und eine Revolverhand in der Rolle Bachmanns.

Christoph Bach spielt Rudi Dutschke im ZDF-Film. (Foto: Foto: ZDF)

Nur: Dutschke geht hier nicht seiner Beschäftigung als Revolutionär des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und Studentenführer nach, sondern ist auf dem Weg, Nasenspray für sein krankes Baby zu besorgen. Zuvor sah man ihn schon mit Gretchen Dutzidutzi machen, sowieso das Kindchen herzen und Windeln wechseln. Natürlich noch so richtig altmodische, heute alternativ wiederaufgefrischte Stoffwindeln, weil wir ja in einem historischen Ausstattungsfilm sind.

Und damit sind wir beim Grundton dieser dramatisierten ZDF-Doku: Der gesamte Dutschke, so wie die Macher Daniel Nocke und Stefan Krohmer ihn darstellen, ist befreit von Politik und Revolution, eigentlich überhaupt jeder Ambition, und heruntergedimmt auf das massenkompatible Sei-ohne-Sorge-Maß des ZDF, nach dem alles bekömmlich ist, wenn es nur luftig leicht, heiter betrachtet, familiär gestützt und ordentlich gekämmt dargestellt wird.

Gleich zu Anfang wird schon auf das Charisma Dutschkes und die "Gottesgnade" aufmerksam gemacht, die sein Redetalent darstellte. Und in der Form von Heiligenverehrung geht es weiter: Hinter Dutschke sind alle nur Frisöre. Dem ZDF würde selbst eine Doku über einen Selbstmordattentäter der Taliban mutmaßlich zum folkloristisch-exotischen Event mit Feuerwerk geraten.

Entsprechend ist der "doku-fiktionale Film" zu Rudi Dutschke so lecker wie Trockenfleisch, das man mit viel schaumigem Sirup übergossen hat. Den Rudi Dutschke des Christoph Bach hat man dafür in jeder Szene proper und vorbildlich schwiegersohnhaft aus dem Ei gepellt - seine Erscheinung ist ganz offensichtlich orientiert an der Figur des Taxi-Drivers, den De Niro im gleichnamigen Film für Martin Scorsese gespielt hat.

ZDF: Rudi Dutschke
:Auf der Reste-Rampe

Er war das Sprachrohr seiner Generation. Und ein Rätsel der 68er-Studenten-Bewegung. Jetzt zeigt das ZDF eine Dokufiktion über Rudi Dutschke.

In Bildern

Sagen wir es so: Es muss im ZDF ein Abteilung "Ausstattung" geben, die entweder vor kurzem schwerstens gerüffelt wurde und sofortige Besserung gelobte oder aber generell so beflissen arbeitet. Anders ist nicht zu erklären, dass das Westberlin der sechziger und siebziger Jahre für Dutschke mit einer Detailversessenheit und Vernarrtheit in Kleinigkeiten rekonstruiert wurde, die wie Fernarmdrücken mit der amerikanischen TV-Serie Mad Men wirkt.

Immer ins rechte Licht gerückt werden Devotionalia und Nostalgia der Sixties: ein gewienertes VW-Käfer-Glück mit Frauendutt und Männerrollkragen, Kompott-Hütchen und Schlaghosen, Hornbrillen und BH-Tüten. Dagegen wäre ja auch gar nichts zu sagen, wenn sich diese Doku nicht operettenhaft darin erschöpfte und anscheinend nur ihre immer fleckenlose Ausstattung zelebrieren möchte.

Nein, das stimmt nicht ganz: Denn neben dem Geschichtskintopp und dem Flirren alter Dinge, die Liebhaber-Highlights auf jedem Antikmarkt östlich des Rio Pecos wären, dokumentiert der Fernsehfilm auch ein geradezu weibisch keifendes Gezänk alter Weggenossen Dutschkes. Schlimmer ist es in keinem Treppenhaus der Revolution zugegangen. Man sieht den aktuellen Bernd Rabehl, den Mitgründer der Berliner Sektion der "Subversiven Aktion", der immer noch nicht begreifen kann, dass Rudi mit dem "naiven" Gretchen anbandelte, die ihnen "so wahnsinnig auf den Wecker" ging.

Gaston Salvatore, der Schriftsteller und Weggefährte, der im Film als mannhafter Übersetzer der Schriften Che Guevaras gezeigt wird und beim Solidarspülen in der WG-Küche, ärgert sich - heute im Original - offenbar darüber, dass ihn Rabehl als Chauffeur Dutschkes bezeichnet hat, dabei habe er doch den berühmten Berliner Vietnam-Kongress organisiert. "Tut das ein Chauffeur?" Und so weiter.

Fast infam: Den aktuellen Salvatore zeigt die Kamera einmal über den Rand zahlreich geöffneter Weinflaschen hinweg, dann ein gefülltes Glas neben sich und immer mit Zigarettenpackung und Feuerzeug in den Händen. Ganz so, als ob die alten Streit-Zausel ihre diskursbewehrten und müsliverkrusteten Wohngemeinschaftsküchen nie verlassen hätten.

Da man Dutschke nun auch im ZDF nicht ganz ohne Verweise auf seine politische Arbeit und Absichten zur Darstellung bringen kann, werden Szenen nachgespielt: etwa die seiner und Rabehls Aufnahme in den SDS. Man sieht die beiden Kandidaten brav, während über ihre Köpfe hinweg von Vorzeige-Kader-Kommis über sie hersalbadert wird - so platt, als ob Anke Engelke die Szene vertextet hätte.

Andererseits: Rudis Redetalent rührt im Film daher, dass er "mal Sportreporter werden wollte" - was als Begründung ungefähr so sinnfällig ist wie die Verwandtschaft von Zebra und Zebrastreifen. Wenn man ihn dann doch einmal zu den enthusiasmierten studentischen Massen reden hört, dann wird sein Satzbau beschrieben: Sätze, die nicht zu Ende gehen, bei "denen man sich Sorgen machte, ob er wohl den Faden verlieren würde" und "kriegte er den Satz zu Ende, dann waren alle erschöpft und dankbar". Die Revolution der 68er, die das ZDF uns vorstellt, muss demnach so inhaltsschwer und aufregend wie das Kinderspiel "Ich packe mein Köfferchen und tue hinein ..." gewesen sein.

Das ist schon deswegen ärgerlich, weil das Filmteam doch auch Köpfe befragt hat, die dem Ding intellektuelle Flughöhe hätten vermitteln können. Claudius Seidl etwa, Chef des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, ist zwar kein Zeitgenosse Dutschkes, sondern eine Generation jünger, brachte die absolute Ironiefreiheit und den verbissenen Ernst dieser Epoche ins Spiel und erkannte im Kern eine Tragödie, in der Dutschke vielleicht gar nicht der Held gewesen sein mag.

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar erklärte die Figur Dutschke als gleichzeitig authentisch, hartnäckig wie unschuldig. Doch ihre Äußerungen verhallten. Unverständlich auch, dass offenbar kein heutiges Mitglied des Springer-Verlages zu Dutschke vors Mikrofon zu bekommen war.

In den Pressemitteilungen des ZDF zum Film heißt es: "Zwar entstand Dutschke auf der Basis genauester Recherche, doch erhebt das Dokudrama keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gar Deutungshoheit." Offen gestanden: Wo rein gar nichts gedeutet wird, ist schon dieser Verzicht eine Farce.

Dutschke: Doku-Drama über das Leben des revolutionären Studentenführers. 27. April 2010, ZDF, 20:15 Uhr. (90 Minuten)

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: