TV-Kritik: Anne Will:FDP-General Lindner - kein böses Wort

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Westerwelle oder Merkel? TV-Talkerin Anne Will erforschte eine Wahlniederlage - und fand in Christian Lindner ein Opfer.

Hans-Jürgen Jakobs

Hochmut kommt vor dem Fall, und nach dem Fall kommt die Talkshow. Da saß er nun, der arme Tropf von der FDP, jener Partei, die noch vor gut sieben Monaten durch die Wolken gestoßen war, der Sonne entgegen - und die am Sonntag bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen auf das Niveau einer Pünktchen-Nischenpartei abgestürzt war.

TV-Talkerin Anne Will: Die Suche nach den Schuldigen. (Foto: Foto: dpa)

Generalsekretär Christian Lindner konnte noch so oft die Formel vom "enttäuschenden Ergebnis" benutzen, die ARD-Moderatorin Anne Will wollte mehr: die ganz große Reue, die große Selbstgeißelung vor Millionenpublikum. Am liebsten die Auflösung der Berliner Koalition.

"Wer hat Schuld?" - diese Frage bewegte die TV-Gastgeberin eine Stunde lang. So musste der sichtlich genervte Liberale tapfer die Berliner Koalition, seinen Parteichef und die Kanzlerin verteidigen. Da darf es als große Leistung gelten, dass dem 31-Jährigen kein böses Wort über Guido Westerwelle über seine Lippen kam.

Als die Moderatorin böse analysierte, die FDP habe ja nur sechs Prozent erreicht (Ziel: "zehn Prozent plus X"), fuhr Lindner erregt auf: "6,8 Prozent!" Als ob acht Zehntel die Liberalen retten würden. Der Blonde von der Halbstarken-Partei hatte sichtlich Mühe seine Botschaft zu platzieren, in Düsseldorf hinterlasse man ein geordnetes Land.

"Das ist Science-Fiction"

In der Talkshow-Welt, die mitunter die Welt der Berliner Republik geworden ist, gilt ja jemand als Shootingstar, wenn er auf einem Parteitag eine zündende Rede hält. Und nachdem Aufsteiger Lindner die Liberalen vor einigen Wochen rhetorisch begeistert hat, firmiert er in der Presse als erster Anwärter auf den FDP-Parteivorsitz, den derzeit noch Westerwelle okkupiert. "Das ist Science-Fiction", entfuhr es dem entgeisterten Generalsekretär, als ein Anne-Will-Einspielfilmchen ihn wieder einmal zum künftigen Ober-Liberalen machte.

Der FDP-Mann schien sich zu fragen, auf welchem Planeten er gerade gelandet war. Man könne von Lindner wirklich nicht verlangen, dass er öffentlich seinen Parteivorsitzenden kritisiere, half ihm ein wenig ironisch Richard David Precht, der Bestsellerautor ( Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?). Doch was immer Lindner redete: Der Eindruck blieb, dass sein Guido Westerwelle diese Wahl vergeigt hat.

Die Berliner SPD-Größe Klaus Wowereit streute ordentlich Salz auf die Wunden. Die Deutschen würde es nun mal nicht lieben, wenn der Außenminister nicht eine gewissen Neutralität wahre, sondern sich auch noch als Innenpolitiker aufführe. Westerwelle als Hartz-IV-Experte und Held der roten Teppiche überall auf der Welt, das geht in der Sicht des Sozialdemokraten nicht zusammen.

Gut auf Krawall gebürstet ging Wowereit in fast jeden Dialog, der sich ihm bot, und verbreitete die Erkenntnis, Schwarz-Gelb sei abgewählt worden. Die FDP solle nur so weitermachen, ihr Charakter als Klientelpartei liege jetzt offen zutage, polterte der SPD-Vize ("Bleiben Sie, wie Sie sind!"), was dem armen Lindner ein heftiges "Absurd!" entlockte. Angesichts des Wowereit'schen Wortschwalls musste Anne Will schon zu ihrem äußersten Mittel, dem Einspielfilm, greifen, um den Regierenden Bürgermeister der Hauptstadt zum Schweigen zu bringen. Wowereit machte trotzdem weiter.

"Johannes Rau wäre in Ohnmacht gefallen"

Das desaströse Wahlergebnis seiner Partei, die an Rhein und Ruhr den historischen Tiefpunkt von 2005 noch einmal unterbot, konnte jedoch auch der Berliner SPD-Rammbock nicht in einen Triumph verwandeln. "Johannes Rau wäre in Ohnmacht gefallen", erinnerte Autor Precht an die Zeit der absoluten SPD-Mehrheit unter dem einstigen Ministerpräsidenten. Aber die SPD in NRW sei immer rechts, so wie die CDU dort immer links sei, meinte Precht, es ändere sich nicht wirklich etwas.

Je länger diese Talkshow lief, umso deutlicher wurde es, dass hier politische Verlierer saßen, Versager, die sich auf der Schlachtbank strecken durften. "Klasse, dass Sie da sind!", hatte Anne Will eingangs ihren Gästen geschmeichelt - doch ihre Redaktion hatte erst überhaupt keinen Vertreter der Grünen und der Linken eingeladen, jener Parteien, die in Nordrhein-Westfalen am Sonntag so gepunktet hatten. Vom Niedergang des Jürgen Rüttgers, von seinen Affären, von dem Intrigenhaufen der NRW-CDU, war hier kaum die Rede.

Es ging ja um die ganz Großen, um Guido Westerwelle, den Maßlosen, und um Angela Merkel, die Zaudernde, die wochenlang um eine Griechenland-Hilfe und Euro-Stabilisierung gepokert hat, die Deutschland immer teurer zu stehen kommt.

Von wegen Mallorca

Im Fernsehstudio war Julia Klöckner ihre Verteidigerin, jene CDU-Parteifreundin, die im nächsten Jahr Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz werden will und die bei der Bundespräsidenwahl schon mal als voreilige Twitter-Botin aufgefallen war. "Wir haben ja noch dreieinhalb Jahre Zeit", fiel ihr zur Berliner Regierungsarbeit ein. Und: "Wir sind ja bisher nicht auf Mallorca gewesen." Es wird also gearbeitet, hieß das. Im Casino-Ton der Anne-Will-Debatte ging ihr Pro-Merkel-Zwitschern unter.

Wahl in Nordrhein-Westfalen
:"Die SPD ist wieder da"

SPD-Frontfrau Hannelore Kraft lässt die Genossen jubeln, während nicht mal Schornsteinfeger der CDU helfen können. Die Grünen feiern und die Liberalen sind neidisch.

Bilder von den Wahlpartys

Abgehoben dagegen die Kanzlerinkritik des rechtsliberalen Weltwoche-Chefredakteurs Roger Köppel, der in deutschen Talkshows regelmäßig den Provokateur aus der Schweiz geben darf. Der Eidgenosse vermisst Führung, und so wie er das sagt, versteht er darunter Reformen im Sinne des neoliberalen Dresdner CDU-Parteitags und des Steuer-Vereinfachers Paul Kirchhof. Damals war Merkel noch nicht Regierungschefin und Köppel noch Chefredakteur der Welt. Bei solchen Wahlergebnissen wie jetzt in NRW seien "immer die Chefs schuld", hinterließ der Eidgenosse als Andenken.

Christian Lindner hat dann doch noch revoziert. Ja, die Steuerentlastung für Hoteliers hätte man nur im Rahmen einer gesamten Mehrwertsteuereform angehen sollen, bekannte der FDP-Generalsekretär, der an diesem Abend die Rolle des Bambi unter Jungtieren hatte. Und eine Entschuldigung bot er ebenfalls feil: "Die CSU hatte ja auch Wünsche."

So viel zur Wahrheitsfindung. Der Rest ist Science-Fiction.

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