Pressefreiheit:Journalisten werden offenbar seit zehn Jahren beobachtet

07 07 2017 Germany GER G20 Hamburg Summit Meeting das int Pressezentrum

Von Freitag an hatten von den akkreditierten Journalisten nicht mehr alle Zugang zum Pressezentrum auf dem G-20-Gipfel in Hamburg.

(Foto: imago/Stefan Zeitz)

Regierungssprecher Steffen Seibert will erklären, warum Pressevertreter vom G-20-Gipfel ausgeschlossen wurden. Was er sagt, wirft aber nur immer mehr Fragen auf.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, und Ronen Steinke

Politische Gipfeltreffen in Deutschland bedeuten Arbeit auch für Tausende Journalisten, egal ob die G 7, die G 20 oder die EU-Spitzen rufen. Seit mehr als zehn Jahren werden bestimmte Journalisten dabei durch deutsche Polizeibeamte beaufsichtigt, heißt es aus Sicherheitskreisen. Das sei nichts Ungewöhnliches, sagt ein Beamter. Sondern schon häufiger vorgekommen. "Mindestens seit Heiligendamm", also seit dem G-8-Gipfel in dem Ostsee-Badeort im Juni 2007.

Das ist eine Neuigkeit. Dass sie zur Sprache kommt, liegt an einem Verdacht, den zunächst das ARD-Hauptstadtstudio aufgeworfen hat und der nun für Angela Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert unangenehm geworden ist.

Beim G-20-Gipfel wurden am vergangenen Freitagmittag plötzlich Namenslisten von Journalisten an Polizisten verteilt. 32 Personen standen darauf, die fortan keinen Einlass mehr bekommen sollten.

Alle hatten sie eigentlich der Sicherheitsüberprüfung des Bundeskriminalamts (BKA) standgehalten, auch dem kritischen Blick der Behörden einiger ausländischen Gäste. Einer hatte sogar am Rollfeld des Flughafens fotografieren dürfen, als Donald Trump dort landete; das erlauben die Amerikaner nicht jedem. Und nun sollte es "neue Erkenntnisse" geben, wonach sie ein Sicherheitsrisiko darstellten?

Mehr als ein Verdacht ist es nicht, was Betroffene wie der Hamburger Journalist Adil Yiğit seither in den Raum stellen: dass der türkische Geheimdienst, dessen Chef Hakan Fidan gemeinsam mit Staatschef Recep Tayyip Erdoğan in Hamburg war, die Deutschen angestiftet habe.

Eine Erklärung, die ihrerseits neue Fragen aufwirft

Zwar haben sechs betroffene Journalisten, mit denen die SZ sprechen konnte, sich in ihrer Arbeit alle intensiv mit kurdischen Protesten gegen die Regierung in Ankara beschäftigt. "Ich bin bisher nur in einem einzigen Land im Knast gelandet", sagt der Fotograf Chris Grodotzki, der für Spiegel Online arbeitet und 2014 kurzzeitig im Südosten der Türkei inhaftiert wurde. "Da ist die Frage schnell da, ob es einen Zusammenhang gibt." Aber es ist möglich, dass einige der anderen Namen auf der Liste auch eine andere Geschichte erzählen.

Um diesen Verdacht zu zerstreuen, erklärte also Seibert am Mittwoch: Die 32 Journalisten hätten zu jenen gezählt, die sich bei diesem Gipfeltreffen ohnehin nur in "Begleitung" durch BKA-Beamte in Sicherheitsbereichen bewegen durften. Von vornherein. So wie es gängige Praxis sei. Und der Sprecher des Bundesinnenministeriums ergänzte: Nein, neue Erkenntnisse über diese 32 Journalisten habe man dann nicht plötzlich erhalten, "sondern über die Verhältnisse". Das heißt, nur über die organisatorischen Abläufe. Die Räume etwa. Die BKA-Sicherheitsleute hätten einsehen müssen, dass sie die Eins-zu-eins-Überwachung verdächtiger Journalisten nicht würden leisten können, also schloss man diese eben ganz aus.

Die Erklärung wirft ihrerseits eher neue Fragen auf. Man habe über die Akkreditierungen "im Sinne eines größtmöglichen Zugangs" entschieden, erklärte Seibert zur Begründung. Die größte Härte für Journalisten, nämlich keine Akkreditierung zu bekommen, sollte vermieden werden. Deshalb die "Begleitung" durch BKA-Beamte.

Eine "Begleitung", von der bislang nichts bekannt war

Es gehe den Sicherheitsleuten nicht darum, auf die Inhalte der Berichterstattung Einfluss zu nehmen, hieß es auch in Sicherheitskreisen. Man wolle die Pressefreiheit auf diese Weise nicht schwächen, sondern stärken. Das Vorgehen habe den Sinn, die Anwesenheit auch solcher Journalisten bei internationalen Gipfeln zu ermöglichen, die "etwas auf dem Kerbholz" hätten. Wenn es die "Begleitung" nicht gäbe, müssten sie ja draußen bleiben. Die BKA-Leute hätten auch "nur" eine Bodyguard-Funktion. Sie würden den Journalisten nicht in den Notizblock gucken. Sie hätten kein Interesse daran, Gespräche mitzuhören. Es gehe allein darum zu verhindern, dass der Reporter zum Aktivisten mutiert. "Schuhe werfen, solche Dinge."

Wie viele Journalisten in der Vergangenheit auf diese Weise durch das BKA "begleitet" worden sein sollen, war zunächst nicht zu erfahren. Interessant ist freilich, dass die ganze Praxis bislang verborgen geblieben ist. Wenn es denn stimmt, dass BKA-Beamte sich bei Großereignissen an bestimmte Reporter heften, so wurde den Betroffenen davon nichts gesagt. Weder bei früheren Gipfeln noch bei diesem hätten ihm BKA-Leute erklärt, ihn "begleiten" zu wollen, sagt zum Beispiel Adil Yiğit, der für die taz und die Online-Zeitung Avrupa Postasi arbeitet.

So wie er machen sich auch andere Betroffene Sorgen um ihre Quellen, der Fotograf Rafael Heygster vom Weser Kurier, oder der Online-Redakteur Alfred Denzinger aus Stuttgart. Die Journalisten, die nun beim G-20-Treffen zurückgewiesen wurden, erzählen der SZ, dass das BKA ihnen nichts von einer "Begleitung" gesagt habe. "Ich hätte das gar nicht akzeptiert", sagt Chris Grodotzki. "Ich hätte sofort meine Gewerkschaft angerufen."

Eine Aufsicht der Polizei über einzelne Journalisten, während diese ihrer Arbeit nachgehen - wenn es das gab, dann stellt sich die Frage, auf welcher gesetzlichen Grundlage es fußt.

In Sicherheitskreisen wurde am Mittwoch nur die allgemeine Klausel des Paragrafen 5, BKA-Gesetz, genannt. Demnach "obliegt" es den BKA-Leuten, Verfassungsorgane und deren Gäste zu beschützen. Wie, steht dort nicht. Vom besonderen Schutz für Journalisten, wie er andernorts in Sicherheitsgesetzen ausbuchstabiert wird, steht dort auch nichts.

Was dann noch an Details zu erfahren war, machte das ganze Bild eher noch eigenartiger. Von den 32 Journalisten, die aus Sicht der BKA-Sicherungsgruppe beim G-20-Gipfel ein Risiko darstellten, soll letztlich kein einziger "begleitet" worden sein in Hamburg. So weit sei es nie gekommen, denn keiner der verdächtigen Journalisten habe einen Sicherheitsbereich betreten. Und der Fotograf, der ans Rollfeld des US-Präsidenten durfte, ganz ohne Aufseher? "Eine Panne", heißt es.

Die Deutsche Journalisten-Union will im Namen von acht betroffenen Journalisten eine Klage gegen Seiberts Bundespresseamt einreichen, um Aufklärung zu bekommen. SPD und Grüne im Bundestag haben zudem bereits die Bundesdatenschutzbeauftragte angerufen, und auch die Geheimdienstkontrolleure im Parlament wollen sich die Sache nun einmal genauer erklären lassen.

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