Olympia:Wie berichtet man über Sport, wenn man ihm misstraut?

Franziska van Almsick

Franziska van Almsick und ARD-Journalist Ralf Scholt in Rio de Janeiro.

(Foto: dpa)

Die Berichterstattung von ARD und ZDF aus Rio schwankt zwischen Begeisterung und Skepsis. Sie nehmen die moralische Empörung der Deutschen ernst - und tun trotzdem alles, um Quote zu machen.

Von Josef Kelnberger

Der Sport lebt von Siegern und Verlierern, Helden und Versagern, von Eindeutigkeit. Deshalb zu Beginn ein, natürlich sehr subjektiver, Superlativ: Der derzeit beste deutsche Sportkommentator ist Tom Bartels. Das epische Ringen zwischen Deutschland und Argentinien im Finale der Fußball-WM 2014 wird auf ewig mit dieser dröhnenden Bartels-Stimme verbunden bleiben.

Der ARD-Mann wurde von Marcel Reif ausgebildet, widersteht aber dessen Drang, dem Zuschauer in jeder Sekunde seine intellektuelle Witzigkeit aufzudrängen. Er hat während eines Live-Spiels schon mal minutenlang geschwiegen, um das Mikro irischen Fangesängen zu überlassen. Und als er am 13. November 2015 aus dem Stade de France das Spiel Deutschland - Frankreich übertrug, während des Terror-Angriffs auf Paris, gestand er dem Zuschauer in lapidaren Worten die eigene Überforderung.

Die eigene Überforderung eingestehen. Schweigen. Das wäre vermutlich die richtige Herangehensweise an die größte Herausforderung gewesen, die Olympia 2016 einem Fernsehkommentator auferlegte: Schwimmen, das Finale über 100 Meter Brust der Frauen. Tom Bartels hat sich leider für das Gegenteil entschieden. Er beteiligte sich mit einer Verve am "moralischen Volkssturm" (taz) gegen die Russin Julia Jefimowa, als kommentiere er Götzes Siegtor gegen die Argentinier. Was zeigt: Dieser unübersichtliche olympische Sport bringt selbst die Besten an ihre Grenzen.

US-Team hat die Konkurrenz in Grund und Boden geschwommen

"Jaaa, Lilly King schlägt Julia Jefimowa!" schrie Bartels ins Mikro. "Das war ein Sieg für den Sport." Jefimowa, eine zweimal des Dopings überführte Athletin, aber ganz legal am Start, galt in Rio als Verkörperung des russischen Staatsdopings, des Bösen schlechthin. Aber wollte Bartels wirklich die Hand für seine Lilly-Fee ins Feuer legen? Das US-Team hat die Konkurrenz in Grund und Boden geschwommen. Wenn man nun weiß, dass Schwimmen eine sehr dopinganfällige Sportart ist: Gegen wen müsste sich der Verdacht richten?

Doping, Kommerzialisierung, Gigantomanie. Die öffentlichen-rechtlichen Sender müssen sich nicht vorwerfen lassen, sie hätten die Geißeln des olympischen Sports anlässlich der Spiele in Rio ignoriert, ganz im Gegenteil. Andererseits haben die Sender viele Millionen für die Übertragungsrechte gezahlt und müssen Quote machen. Sportbegeisterung auf der einen Seite, tiefes Misstrauen gegenüber dem Sport auf der anderen - diese olympische Schizophrenie lässt sich nicht heilen. Man muss sie aushalten. Manchmal schien es gar, als wollten ARD und ZDF die Aufgabe in strikter Aufgabenteilung lösen.

Marietta Slomka spuckte das Wort "Sportstätten" voller Verachtung aus, als sie nach einem Feature über das Russen-Doping vom Heute-Journal angewidert nach Rio übergab. Wer den maximalen Gegensatz zur Slomka-Attitüde suchte, Belege für eine Komplizenschaft zwischen Athleten und Journalisten, wurde am Sonntagmorgen fündig: Der Interviewer nötigte den übernächtigten, verkaterten Ruder-Achter, tags zuvor Gewinner einer Silbermedaille, zu einer La Ola vor laufender Kamera. Das war nicht mehr Olympia. Das war Kegelverein.

Der Reflex liegt nahe, die Welt in Gut und Böse einzuteilen

Jeder einzelne Reporter muss mit der olympischen Schizophrenie klarkommen, und der Reflex liegt nahe, die Welt in Gut und Böse einzuteilen. Böse: das IOC, Verbände, Funktionäre. Gut: Athletinnen und Athleten, zumindest, solange sie nicht des Dopings überführt sind und gegen Funktionäre wettern. Allerdings brechen diese Grenzen immer wieder zusammen, nicht nur, wenn ein Nicht-Doper zum Doper wird. Zum Beispiel bei den Straßenradrennen in Rio. Sie zählten zu den faszinierendsten Übertragungen. Als Zuschauer wurde einem schier schwindelig bei der finalen Abfahrt. Als die Führenden dann stürzten, die Niederländerin Annemiek van Vleuten sogar in lebensgefährlicher Weise, wandelte sich die Bewunderung des Reporters für die Fahrer in Empörung über die Veranstalter. Wie konnte man so eine halsbrecherische Strecke auswählen? Von den Athleten kein Wort der Kritik - im Gegenteil: Die Gestürzten hatten einfach zu viel riskiert.

In Wahrheit sitzen sie eben alle in einem Boot: IOC, Sportverbände, Athleten und Fernsehen. Auch der deutsche olympische Sport lebt nicht zuletzt von den Abermillionen, die das IOC von Sponsoren und TV-Anstalten einsammelt und dann verteilt. Das Fernsehen gibt Geld und bietet bei Olympia Athleten eine Bühne, für die sich ansonsten vier Jahre lang kaum jemand interessiert. Manchmal sind es sogar einzelne Reporter, die eine Sportart repräsentieren, etwa der Reit-Experte Carsten Sostmeier. Er musste sich in Rio entschuldigen, nachdem er einer Vielseitigkeitsreiterin unterstellt hatte, sie habe "einen braunen Strich in der Hose". In der Dressur aber war er wieder ganz bei sich. Wer diesen Hohepriester der Reiterei ("Weihegold, streck dich zu Gold mit deiner Isabell im Sattel!") nicht ernst nimmt, kann sich zumindest gut mit ihm amüsieren.

Über die Quoten entscheidet letztlich das Abschneiden der Deutschen

Nach den Spielen von Rio müssen ARD und ZDF entscheiden, ob sie im olympischen Spiel bleiben wollen. Die europäischen Fernsehrechte liegen erst einmal bei der amerikanischen Discovery Communication mit ihrer Tochter Eurosport. Für den olympischen Sport in Deutschland wäre es jedenfalls ein großer Schaden, sollte er aus dem öffentlich-rechtlichen Rahmen fliegen. ARD und ZDF, so viel steht fest, verfügen über ein Heer hoch kompetenter Kommentatoren. Deren Wettkampfberichte werden zusammengebunden durch Studiomoderationen, Porträts und Interviews, die in ihrer Seifenopernhaftigkeit häufig ermüden.

Aber vermutlich muss das so sein, um die Zuschauer 16 Stunden lang täglich bei der Stange zu halten. Über die Quoten entscheidet letztlich das Abschneiden der Deutschen. Dem Turner Fabian Hambüchen sahen am Dienstag im Schnitt 7,38 Millionen Zuschauer zu, als er Gold am Reck gewann. Sogar 8,52 Millionen - Rekord! - waren es, als die Beachvolleyballerinnen Ludwig und Walkenhorst zwei Brasilianerinnen besiegten.

Typisch, Frauen in knappen Trikots bringen Quote, mag man nun sagen. Wie überhaupt die moralische Empörung über die Auswüchse Olympias nirgendwo so stark ist wie in Deutschland - eine Gegenreaktion auf die Überhöhung Olympias als Hort des Schönen und Guten, im Gegensatz zum schnöden Profifußball. Vielleicht sollte man Olympia aber lieber betrachten als gute Fernsehunterhaltung, nicht mehr und nicht weniger. Dann lassen sich auch die Widersprüche besser aushalten.

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